Es ist schon beinahe dunkle Nacht, man sieht fast nur noch Umrisse, als wir den Reißverschluss von unserem Zelt schließen. Beide genieren wir uns trotzdem beim Ausziehen, ich noch mehr als Ulla, sehen uns nicht an, obwohl wir unheimlich neugierig aufeinander sind. Bei meinen ersten Erfahrungen mit Frauen wussten immer die, was zu machen ist. Nun bin ich derjenige, der es eigentlich wissen müsste. Ich bin mir absolut nicht so sicher, wie ich sein sollte. Nur ja nichts tun, was sie nicht will, was ihr unangenehm sein könnte oder gar wehtun würde. Ulla will mich und sie will mich ganz, das fühle ich bei jeder unserer Berührungen. Dann ist es soweit. Sie öffnet sich mir und ich dringe so vorsichtig wie ich kann in sie ein. Nur ein klein wenig zuckt sie, dann ist bei uns jede Kontrolle vorbei, wir versinken ineinander, alles um uns rum, alles was uns vor Kurzem noch bedrückte und ängstigte ist weggewischt. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkommt uns. Wir sind nur noch eins. Eine Einheit von Körper und Seele, schwebend über dem Irdischen.
Ach könnte das doch anhalten bis zu unserem Lebensende.
Es dauert lange, bis uns die Realität wieder erfasst, bis wir wieder ganz zurück sind, auf unseren schmalen Luftmatratzen, in dem engen Zelt in das langsam die Kühle der Nacht im Schatten der Berge einkehrt.
So stelle ich mir das Paradies vor, wenn es denn eines gibt.
Die ganze Nacht liegen wir eng aneinander gedrückt, gut zugedeckt, ohne jede Bewegung, aus Angst, die Nähe, die Wärme des anderen zu verlieren. Als wir am Morgen aufwachen, liegen wir noch genauso da, wie wir am Abend eingeschlafen sind. Wir schauen uns in die Augen, lächeln, sind froh, den Anderen zu sehen, zu wissen, dass diese Nacht kein Traum war. Jetzt besitzen wir die endgültige Gewissheit: Wir gehören zusammen und wir werden zusammenbleiben für immer, alle Widerstände werden wir überwinden und noch oft so glücklich sein wie in dieser Nacht. Wir glauben das, wir wissen das, ohne groß darüber gesprochen zu haben, niemals werden wir uns trennen, solange wir am Leben sind.
Heute ist Pfingstsonntag, Kirchtag, Tag der Erleuchtung. Wir besuchen die große Festmesse im St.-Martins-Münster in Fischbachau. 10 Minuten vor dem Gottesdienst sind wir schon in der prächtigen und dazu noch aufwendig geschmückten Kirche. Überall Blumen und Fahnen. Gerade noch rechtzeitig sind wir, um ganz hinten einen Platz, einen Stehplatz, zu bekommen. Nebeneinander sitzen dürften wir eh nicht. Die Frauen und Mädchen sitzen auf der linken Seite, die Männer und Buben rechts, durch den breiten Mittelgang getrennt. Stehen dürfen wir wenigstens nebeneinander aber nicht uns anfassen oder sonst wie berühren. Viele schwarze Lederhosen, graue und grüne Janker, viele dunkle Dirndl mit hellen Schürzen sind zu sehen und noch mehr Fahnen werden hereingetragen, dann kommen die Ministranten und zum Schluss unter dem, von vier ganz in Schwarz gekleideten Männern, getragenen und einem großen Heiligenbild bestickten Baldachin der Herr Hochwürden mit der Monstranz so seinem Kopf vorangetragen, dass sein Gesicht gar nicht zu erkennen ist. Orgelspiel und Kirchenchor und Weihrauch, der Pfarrer zelebriert mit dem Rücken zum Volk und in lateinischer Sprache. Das Volk antwortet in Latein, trotzdem es sicher, genau wie ich, nicht weiß, was die Worte bedeuten, die sich von Generation zu Generation weitervererbt haben. Obwohl ich seit Jahren nicht mehr in der Kirche war, erfasst es mich doch, bewegt mich, bringt mich zum Nachdenken über mein Verhältnis zu Gott, Religion und Glauben.
Seit 2 Jahren gibt es in Rom einen neuen Papst, den Johannes Nummer 23. Der Mann ist mir, anders als sein Vorgänger Pius, recht sympathisch. Ich habe den Eindruck, der hat nicht vergessen wie Armut und einfaches Leben schmeckt, da er doch aus einer großen Familie und einem sehr kleinen Bauernhof kommt. Es soll ja in nächster Zeit ein großes Vatikanisches Konzil veranstaltet werden, das die Kirche dem Volke näher bringen und die Differenzen zwischen den Glaubensrichtungen verringern will. Mir bringt dieses Konzil vielleicht auch die Kirche und den Glauben wieder näher.
Aber, unsere gemeinsame Nacht gestern, das Schönste, das ich meinem zugegebenermaßen noch nicht sehr langem Erdendasein erlebt habe, bleibt für die katholische Kirche eine große Sünde, ich glaube sogar eine Todsünde, die wir beide eigentlich so schnell als möglich beichten müssten und nie wieder begehen sollten. Wir denken gar nicht daran. Ich glaube auch nicht, dass Jesus das als Sünde angesehen hätte. Liebe als Sünde, Sex, (dieses Wort gefällt mir eigentlich gar nicht) nur nach der Trauung und nur zum Zwecke der Zeugung? Wie gerne hätte ich ihn darüber ausgefragt, viele Fragen hätte ich an Jesus Christus, sie werden wohl bis an mein Lebensende auf Antwort warten müssen. Bringt mich dieser Gottesdienst der katholischen Kirche wieder näher? Ulla ist gläubig, das sieht man ihr an. Sie ist ganz bei der Sache und singt und betet alles, kennt jedes Gebet und jedes Kirchenlied auswendig. Singen kann ich nicht und beten? Ich denke mir, wenn ich die Gebete nur so mit leiere, ohne es wirklich zu glauben, dann wäre das eine Beleidigung des katholische Glaubens und der Gläubigen, also lasse ich auch das Beten sein, obgleich ich die meisten Gebete seit meiner Kommunikantenzeit noch nicht ganz vergessen habe und falte nur meine Hände, mache das Kreuzzeichen und knie mich nieder, wenn die Glöckchen dazu auffordern und die anderen das auch tun, verhalte mich ansonsten ruhig und unauffällig. Keiner merkt, dass ich eigentlich nicht so recht dazugehöre.
Fast 2 Stunden geht die Zeremonie, bevor der Pfarrer das Volk segnet sein "gehet hin in Frieden, der Herr sei mit euch" spricht und die Orgel noch mal zu einem gewaltigen Schlusschor braust. Langsam leert sich die Kirche. Die verheirateten Frauen haben es eilig. Sie müssen heim an den Herd. Die jungen Leute stehen noch ein wenig herum, Burschen mit Burschen und Mädchen mit Mädchen. Ein wenig wird hin und her gefrotzelt, dann löst sich auch das auf. Die verheirateten Männer stehen entweder zusammen und ratschen oder sie gehen noch auf eine Maß ins Wirtshaus, bevor sie den Weg an den heimischen Mittagstisch finden. Wir schlendern noch kurz über den Friedhof. Ulla gefallen die vielen schmiedeeisernen Kreuze und wahrscheinlich denkt sie ein wenig an ihren Vater. Wir gehen, jeder in seinen Gedanken durch das Dorf und zur Wallfahrtskirche Maria Birkenstein. Dort ist es ruhig, erst für den Nachmittag ist eine kleine Andacht angesagt. Das Vogelgezwitscher stimmt uns wieder fröhlich, wieder nehmen wir uns in die Arme, setzen uns auf eine Bank und lauschen nur dem Gesang der Vögel und dem Summen der Insekten. Ein ganzer und ein halber Tag bleiben uns noch an dem wir nur uns gehören, keinen Gedanken an Familie, Beruf, Hektik, Lärm und Ärger wollen wir in dieser Zeit verschwenden. Wir wollen nur uns gehören, uns fühlen und glücklich sein.
Der Hunger meldet sich auch an diesem schönen Sonntag zu Wort. Wir sind sparsame Leute und so werfen wir den Spirituskocher an und machen uns eine Gulaschsuppe heiß. Den Gasthausbesuch mit gedecktem Tisch Bedienung und Trinkgeld heben wir uns wieder für den Abend auf. Den heutigen Nachmittag nutzen wir nur zum Baden im Wolfsee. Moorwasser ist gesund, auch wenn's noch nicht ganz „bacherlwarm“ ist. Im Gegensatz zur Isar ist das Moorwasser so weich, als würde es einen streicheln. Unseren Liegeplatz suchen wir uns so, dass wir zum einen nicht so arg eingesehen sind und zum anderen für Ulla möglichst viel Sonne und für mich einigermaßen Schatten zu finden ist. Im Wasser albern wir herum, auf den Luftmatratzen liegend unterhalten wir uns über alles, was uns gerade so in den Sinn kommt, dabei stellen wir fest, dass uns viele Ansichten über alle möglichen Dinge gemeinsam sind.
Wir machen Pläne für die Zukunft. In 2 Wochen wäre wieder ein langes, sogar ein ganz langes Wochenende, Fronleichnam ist am Donnerstag, der 17. Juni, "Tag der Deutschen Einheit" am Freitag. Leider können wir ausgerechnet diese Tage nicht miteinander verbringen. Ullas Mutter hat da ihren 50. Geburtstag. Zusätzlich hat sich in Ottobrunn auch ein für uns unangenehmer Besuch aus Würzburg angesagt und sogar ein Großcousin von Ulla, der Generalvertreter einer Weltfirma im fernen Persien am Kaspischen Meer ist, wird mit seiner Familie da sein.
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