Falk ertappte sich bei der Überlegung, ob sie irgendwo in dem Haus Fingerabdrücke hinterlassen hatten. Die Haustür hatte offen gestanden, die hatten sie nicht berührt. Und als er die Geschehnisse noch einmal durchging, war er sich ziemlich sicher, dass sie auch den Kachelofen nicht angefasst hatten, als sie den Beutel hoch genommen hatten. Immerhin was.
Gut war auch, dass Fanni nichts von dem Schwert mitbekommen hatte. Im Grunde konnte sie noch nicht einmal wissen, ob sie das Haus tatsächlich betreten hatten oder nicht. Und so, wie Robs sie abserviert hatte, konnte Falk nur hoffen, dass sie den gestrigen Abend einfach so schnell wie möglich würde vergessen wollen.
Falk versuchte, den weiteren Heimweg zu rekonstruieren, nachdem sie das Schwert eingepackt hatten. Zuerst waren sie ziemlich zügig losgelaufen, später dann waren sie gemütlich gegangen. Auffällig verhalten hatten sie sich dabei nicht, im Gegenteil, sie hatten sich ganz normal unterhalten. Begegnet war ihnen auf dem gesamten Heimweg sowieso niemand, kein Wunder, das Viertel war nach Einbruch der Dunkelheit für gewöhnlich wie ausgestorben. Trotzdem, woher zum Teufel wollte er wissen, dass nicht doch noch jemand mitbekommen hatte, dass sie in dem Haus gewesen waren!
Falk merkte, dass seine Gedanken sich im Kreis drehten. Zu dem Haus konnte er den Beutel nicht mehr bringen, das stand schon mal fest. Er sollte sich wirklich der Polizei stellen, schließlich hatte er sich ja nichts vorzuwerfen. Außer Diebstahl. Und Hausfriedensbruch. Und wer weiß was noch Allem. Wenn das sein Chef mitbekäme! Er wäre seinen Job los! Nein, die Polizei war ausgeschlossen, er durfte unter gar keinen Umständen mit der Sache in Verbindung gebracht werden!
Falk fasste einen Entschluss: er würde das Schwert sorgfältig abwischen, damit keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren von ihm oder Robs daran zu finden wären. Und heute Nacht würde er den Beutel mitsamt seinem Inhalt in die Saale werfen.
*
In der Küche fand er einen Eimer, in den er heißes Wasser füllte und dann eine halbe Flasche Geschirrspülmittel dazu gab, so dass es ordentlich schäumte. Er brachte den Eimer und seinen Rucksack nach oben in sein Zimmer, zog den Lederbeutel hervor und legte das Schwert auf die Dielen neben seinem Bett. Dann klingelte sein Handy.
„Jetzt meldet er sich.“, sagte Falk halblaut und zog das Telefon aus seiner Hosentasche. Es war aber nicht Robs, der anrief, sondern Michael. Freitagabend!, dachte Falk flüchtig. Vermutlich wollte ihn sein Freund zu irgendeiner Party mitnehmen.
„Jo“, meldete er sich mit wenig Elan in der Stimme. „Was gibt’s?“
„So einiges“, klang die tiefe Stimme von Michael Budarcik aus dem Telefon. „Was machst’n heut Abend?“
„Werd nen ruhigen machen. Ist gestern dann doch ziemlich spät geworden, bei Konrad.“
„Alles klar. Hat Robser die Frau noch rumgekriegt? Wie hieß sie gleich – Franzi?“
„Fanni. Nee, hat er nicht. Wird auch nicht mehr passieren.“
Micha fragte nicht weiter nach, was Falk ihm hoch anrechnete.
„Du kannst mal Konrad anrufen.“, sagte er. „Der meinte gestern, er wolle heute was starten.“
„Jo werd ich. Na dann, mach dir mal nen entspannten Abend.“
„Ich meld mich morgen bei dir.“
„Gut, bis dann.“
Falk klappte sein Handy zu, froh, das Gespräch so unkompliziert beendet zu haben, und wendete sich wieder dem Schwert zu, das er nun aus der Scheide zog. Er hatte sich Schwerter eigentlich länger vorgestellt, und auch mit mehr Verzierungen, mit Edelsteinen besetzt, oder so ähnlich.
Ob das hier ein echtes Schwert war, ein richtiges Kriegsgerät, aus dem Mittelalter? Er wog es in der Hand, dann stand er auf und führte eine schwungvolle Acht in der Luft aus. Es ließ sich problemlos führen und lag gut in der Hand. Falk nahm eine Wasserflasche, die voll neben seinem Bett stand, und verglich das Gewicht. Er schätzte das Schwert auf anderthalb bis zwei Kilo. Kritisch hob er die Waffe vor sein Gesicht – beim kämpfen wäre zusätzliches Zierzeug wahrscheinlich eher hinderlich, vermutete er. Es war eben ein Gebrauchsgegenstand gewesen. Mit einem Ausfallschritt trat er weit nach vorne und stach das Schwert vor sich in die Luft. Dann lachte er leise und setzte sich wieder hin.
Das Schwert auf dem Schoß, zog er den Eimer Wasser heran, tauchte einen Lappen ein und begann, sorgfältig die Klinge, den Griff und den Steg abzuwischen, nicht ohne sich dabei flüchtig zu fragen, ob dieser Aufwand überhaupt notwendig war, schließlich wollte er die Sachen sowieso in die Saale schmeißen. Wobei es auch irgendwie schade um die schöne Waffe war. Erneut überlegte er, wie alt sie wohl war. Wann war eigentlich das Mittelalter gewesen, fragte er sich. Vor 1000 Jahren? Ob das Schwert wohl 1000 Jahre alt war? Nein, sicher nicht, wahrscheinlich war es nachgeschmiedet worden, für irgendwelche Freaks, die in ihrer Freizeit gerne Ritter spielten, eine Art Showwaffe oder so. Er fuhr mit der Fingerkuppe an der einen Seite über die Klinge. Nicht grade messerscharf, befand er. Bei genauem Hinsehen konnte er kleine Dellen an der Klinge erkennen, und Kratzer auf der Oberfläche.
„Wie wenn man jemandem ordentlich eins vor die Rüstung haut.“, murmelte Falk. Mit dem Lappen fuhr er dann in der Rille entlang, die in der Mitte der Klinge eingebracht war. Gleich unter dem Steg waren die zwei Zeichen eingraviert, die einzigen ungewöhnlichen Merkmale an der gesamten Waffe. Sie waren untereinander angeordnet, oben das Wagenrad, was auch eine Sonne darstellen konnte, wie er jetzt fand, darunter das schlichte „A“ im Kreis. Beide waren nicht viel größer als sein Daumennagel. Jemand hatte sie sorgfältig eingraviert, die Kanten waren glatt geschliffen und gleichmäßig abgerundet. Beide Zeichen waren klar und gradlinig, ohne Schnörkel, wie das Schwert selber. Falk hielt in seiner Bewegung inne und legte dann den Lappen beiseite.
Woher kannte er bloß dieses „A“? Je länger Falk darüber nachdachte, umso sicherer wurde er, dass er den Buchstaben in dieser Form und in genau dieser Kombination innerhalb des Kreises schon einmal gesehen hatte.
Sein Nacken begann zu schmerzen. Als sich dann auch noch sein Magen knurrend meldete, befand er, genug gearbeitet zu haben. Er legte das Schwert beiseite, wobei er den Lappen benutzte, um das Metall nicht mit den Händen zu berühren, und ging runter in die Küche. Dort setzte er Wasser in einem Topf auf und fing an, ein paar Zwiebeln und etwas Knoblauch klein zu schneiden.
Die einfachen Handgriffe beruhigten ihn. Pfeifend schaltete er im Wohnzimmer den Fernseher ein, dann warf er Spaghetti in das kochende Wasser, während er auf einer zweiten Herdplatte ein wenig Öl erhitze, worin er die Zwiebeln und den Knoblauch anbriet und schließlich eine Packung passierte Tomaten darüber goss. Die Wurst im Kühlschrank fiel ihm ein, und er schnibbelte sie ebenfalls klein und gab sie in die Soße. Mit ein wenig Salz und Pfeffer würde es eine ganz passable Mahlzeit abgeben.
Um sich die Zeit zu vertreiben, bis die Nudeln fertig waren, begann Falk im Wohnzimmer ein paar Liegestütze zu machen. Nach dreißig Wiederholungen legte er eine kurze Pause ein. Gerade wollte er einen neuen Satz beginnen, als sein Blick den Fernseher streifte – er hatte wahllos irgendein Programm eingeschaltet und war beim örtlichen Lokalsender gelandet, JenaTV. Auf dem Bildschirm wurde gerade sehr schlicht aufgemachte Werbung geschaltet, jeweils bestehend aus einem Standbild und dem Logo der beworbenen Firma: ein Hersteller für Getriebeteile im Gewerbegebiet Jena-Nord, ein Klamottenladen in der Innenstadt, und dann ein Goldschmiedegeschäft in der Unterlauengasse. Das Bild blieb für einige Sekunden auf dem Bildschirm, während im Hintergrund eine leise Musik dudelte.
Und dort, genau in der Mitte des Bildschirms, prangte groß und deutlich ein „A“ in einem Kreis. Über der oberen Hälfte war, leicht bogenförmig an den Kreis angepasst, der Name des Ladens geschrieben: „Argot“. Unter dem Kreis stand, etwas kleiner: „Goldschmiedemeister“.
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