Johanna Danneberg - Bis ins Hochland, dann nach links

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Mella Blume aus Berlin hat ein untrügliches Gespür für den Weg des geringsten Widerstands, einen staubtrockenen Humor, ein Sortiment altbackener Blusen – und ist, mit Anfang 30, krachend gescheitert. Sie bricht auf zu einer Wanderung in Schottland, mit lila Schuhen und einem viel zu schweren Rucksack. In der windigen Einöde des Hochlands beginnt sie zu erkennen, was alles schief gelaufen ist; und dass sie selbst daran nicht ganz unschuldig ist. Dann findet Mella ein Lamm, begegnet Calvin, einen Schaffarmer mit philosophischer Ader – und begeht den vielleicht größten Fehler ihres Lebens…

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Johanna Danneberg

Bis ins Hochland, dann nach links

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Inhaltsverzeichnis Titel Johanna Danneberg Bis ins Hochland dann nach links - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Johanna Danneberg Bis ins Hochland, dann nach links Dieses ebook wurde erstellt bei

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Impressum neobooks

Kapitel Eins

Erst viel später ist mir klar geworden, dass alle Menschen, die ich auf meiner Wanderung treffen sollte, schon an jenem ersten Spätnachmittag mit mir im Pub in Milngavie saßen. Bloß, dass ich die meisten von ihnen damals gar nicht beachtet hatte. Darin war ich ziemlich gut - niemanden zu beachten außer mir selbst.

Aber von vorne: angekommen in Schottland bin ich an einem Dienstagmittag im Mai, Flughafen Glasgow; von dort aus nahm ich einen Bus in die Innenstadt, um diese mit einem Nahverkehrszug wieder zu verlassen, und nur wenige Stunden nach der Landung des Flugzeugs fand ich mich in der Fußgängerzone einer Kleinstadt namens Milngavie wieder, und fragte mich zum wiederholten Male, wie man das eigentlich aussprach: „Milngavie“. Bei dem Schaffner im Zug hatte es geklungen wie ein Wort, das in einen Bottich Joghurt fällt.

Überhaupt, das schottische Englisch wies nur geringe Ähnlichkeit auf mit dem breit geknautschten Amerikanisch der Touristen, die in Berlin nach dem Weg zur „Wall“, zum Berghain oder zum nächsten Biosupermarkt fragen.

Berlin, meine Heimatstadt, war noch nie weiter weg gewesen. Stattdessen ein wohlwollender Nieselregen, die Fußgängerzone, und ein Wegweiser.

„Fort William: 96 miles“ stand dort. Dahinter führte eine Treppe hinunter zu einem Fußweg, der sich im regennassen Park verlor.

Über den Stufen der Treppe spann sich ein Schild, auf dem mit verschnörkelten Lettern stand: „West Highland Way“.

Das war er also, der Beginn des West Highland Way. Hätte durchaus ein bisschen dramatischer gestaltet sein können, fand ich. Mit Neonbuchstaben zum Beispiel. Oder einer Dudelsackkappelle - immerhin wandert man nicht alle Tage 96 Meilen durchs schottische Hochland.

Ich sah mich um. Dudelsäcke waren nicht in Sicht, und es trug auch niemand einen Schottenrock; dafür erledigten ganz normale Menschen ihre Feierabendeinkäufe.

Mit dem Handy filmte ich Wegweiser, Treppe, und zum Schluss mich selber, sah mir die Aufnahme an, und kam zu dem Schluss, dass ich der einzige Lichtblick in der trostlosen Szenerie war: meine hellblonden, fast weißen, kinnlangen Haare vom Wind zerzaust, ein paar Sommersprossen, die meinen Teint betonten, und natürlich hatte ich mein unwillkürliches Fotogesicht aufgesetzt: ein breites Grinsen ohne Zähne. Meine Schwester sagt, ich sähe dann aus wie ein Clown. Ich schickte das Filmchen an Falks Handy. Er würde es Lilly vorspielen, bevor er sie nachher ins Bett brachte. Nach kurzem Zögern sendete ich noch eine Textnachricht hinterher: „Bin gut angekommen. Gehe gleich los. Ein dicker Kuss an Lilly. Mella“

Danach steckte ich das Handy weg. Und ging nicht los. Feine Regentropfen wehten mir ins Gesicht, und ich zog den Fleecepulli über. Ein älterer Herr spazierte mit seinem Hund vorbei und nickte mir zu, als würden wir uns kennen.

„Wer früher losgeht, kommt eher an“, rief er mir mit rollendem „R“ zu.

Ob er hier wohl öfters Leute stehen sah, mit Wanderrucksack und Wanderstöcken, die sich vor dem Schild herumdrückten, als müssten sie gleich zur Matheprüfung? Ich sah an mir herunter, auf meine neuen lila Doc Martens, welche ich vergangene Woche extra eingelaufen hatte, ganz so, wie es im Reiseführer, „Der West Highland Way – Schottlands wildester Weg“, empfohlen wurde. Unter dem Pulli trug ich eine blau-weiß-gestreifte Bluse, und statt einer Hose schwarze Leggings und sandfarbene Shorts. Verzichtet hatte ich auf eine dieser Funktionshosen, die man in drei verschiedenen Höhen mittels Reißverschluss kürzen konnte, denn die fand ich furchtbar, da hatte ich mich geweigert, auch wenn meine Mutter mir dazu geraten hatte. Aber was wusste sie schon, ich hatte sie noch nie weiter wandern sehen als bis zum Italiener an der Ecke. Ekat hingegen, beste Freundin meiner Mutter und Patentante von mir und meiner Schwester, verfügte über mehr Expertise – Himalaya, Kilimandscharo, Elbsandsteingebirge und so weiter. Sie hatte gemeint, ich solle etwas Bequemes anzuziehen, worin ich mich wohl fühlte, denn ich würde das Zeug ja eine Woche lang ununterbrochen tragen. Ich hatte nachgehakt:

„Wie meinst du das, eine Woche ununterbrochen? Ich werde meine Klamotten ja auch mal wechseln.“, woraufhin sie mitleidig gelacht hatte. „Wenn du Zelt, Schlafsack, Isomatte, Gaskocher, Topf, Proviant, drei Liter Wasser, Zahnbürste und Zahnpasta, und den Wanderführer eingepackt hast, bleibt kein Platz mehr für Wechselklamotten. Mal abgesehen vom Gewicht. Mehr als 17, 18 Kilo sollten es nicht sein!“

Ekat hieß eigentlich Ekatarina, stammte aus Russland, und hatte mit meiner Mutter in den 1970er Jahren eine Wohngemeinschaft in Charlottenburg geteilt. Sie war eine Art moderne Schamanin, groß, hager, die Haare wuschelig kurz bis auf eine einzelne Dreadlocke, die hinter dem linken Ohr abstand. Sie schien immer in Bewegung zu sein und gleichzeitig alle Zeit der Welt zu haben. Ihrer Meinung nach lag das am Yoga und am Sex.

Ich hatte ihr nicht geglaubt, und noch zwei weitere Blusen (hellblau mit roten Sternen, waldgrün mit schwarzen Punkten), eine Skinny Jeans (wiegt ja fast nichts), mehrere Tops, eine leichte Strickjacke und ein Paar Turnschuhe auf den Haufen gepackt, auf dem ich letzte Woche alles gesammelt hatte, was mit sollte nach Schottland. Außerdem waren in meinem Rucksack noch sechs Unterhosen, dicke Socken und eine weitere Leggings gelandet, sowie Mütze und Regenjacke, Regenüberzug für den Rucksack, Taschenmesser und Kompass, eine karierte Campingdecke, rosa-weiß gepunktetes Plastikbesteck mit dazu passendem Teller und Schüssel, mein Tagebuch, Stift, Feuerzeug, Handy samt Ladekabel und Wechsel Akku, ein Paar Sandalen, ein Plastikbeutel mit dem nötigsten an Waschzeug (Shampoo, Conditioner, Duschbad) und Zahnpflegeartikeln, und ein echt kleines Handtuch. Das war's. Zusammen mit den beiden Wasserflaschen, sowie Haferflocken, Nudelgerichten, Instant Cappuccino und Müsliriegeln wog mein Rucksack nun genau 22 Kilo. Einzig das Pfefferspray hatten sie mir am Flughafen Berlin-Schönefeld bei der Gepäckkontrolle abgenommen. Das war wirklich ärgerlich gewesen, zumal sich der Vorfall, als ich gegen die Entscheidung protestiert hatte, ziemlich in die Länge gezogen hatte und ich am Ende, natürlich ohne das Pfefferspray, noch beinahe meinen Flug verpasst hätte.

Glücklicherweise hatte ich nach meiner Landung in Glasgow mittels einer schnellen Internetrecherche einen Laden in der Innenstadt ausfindig machen können, der auf Notfallvorsorge, Überleben in der Wildnis und biologische Kleinkläranlagen spezialisiert war. Dort hatte ich nicht nur eine Gaskartusche für meinen Kocher bekommen, sondern auch eine neue Dose Pfefferspray.

So ausgerüstet stand ich immer noch in der Fußgängerzone von Milngavie, und sah dem Mann und seinem Hund hinterher.

Dann tat ich das, was ich immer tue, wenn mir jemand einen guten Rat gibt: nämlich genau das Gegenteil. In diesem Fall hieß das, dass ich meine Wanderstöcke packte und in Richtung Pub stiefelte.

***

Wie in jeder britischen Kleinstadt lag der Pub von Milngavie an zentraler Stelle im Ort. Er hieß „The Jacobite's Arms“, was auf die blutige Tradition schottischer Aufstände gegen die Engländer hindeutete. Das wusste ich, weil ich im Vorfeld meiner Reise zu Recherchezwecken eine Fernsehserie geschaut hatte, in der sich eine zeitreisende Frau unversehens inmitten einer Armee schottenrocktragender Hochlandkrieger, den Jakobiten, wieder findet, und sich selbstverständlich in einen von ihnen verliebt. Nach 28 Folgen hatte ich das Gefühl gehabt, mich bestens mit schottischer Geschichte und Lebensart auszukennen, was sich nun bestätigte, als ich den Namen des Pubs las.

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