Für
Kazimierz Albin
Władysław Bartoszewski
Esther Bejarano
Alex Deutsch
Liliane und Raphaël Esrail
Eva Fahidi
Dorota und Noah Flug
Benjamin Fondane
Hans Frankenthal
Heinz Galinski
Rosa und Maurice Goldstein
Kurt Goldstein
Albert Grinholtz
Kurt Hacker
Paul Halter
Hannah und Roman Kent
Noah Klieger
Marischa und Adam König
Felix Kolmer
Leon Lendzion
Dagmar Lieblová
André Montagne
Berry Nahmias
Józef Odi
Alfred Oppenheimer
Angela Orosz-Richt
Edward Paczkowski
Józef Paczyński
Zofia Posmysz
Éva Rácz
Leon Schwarzbaum
Barbara »Basia« Sadowska
Kazimierz Smoleń
Justin Sonder
Marios Soussis
Erzsebet Szemes
Tadeusz Szymański
Marian Turski
Gabor Verö
Erna de Vries
Sonja Vrščaj
Elie Wiesel
und all die anderen …
»vernehmlich werden die Stimmen, die über der Tiefe sind.«
Theodor Storm
Cover
Titel
Widmung Für Kazimierz Albin Władysław Bartoszewski Esther Bejarano Alex Deutsch Liliane und Raphaël Esrail Eva Fahidi Dorota und Noah Flug Benjamin Fondane Hans Frankenthal Heinz Galinski Rosa und Maurice Goldstein Kurt Goldstein Albert Grinholtz Kurt Hacker Paul Halter Hannah und Roman Kent Noah Klieger Marischa und Adam König Felix Kolmer Leon Lendzion Dagmar Lieblová André Montagne Berry Nahmias Józef Odi Alfred Oppenheimer Angela Orosz-Richt Edward Paczkowski Józef Paczyński Zofia Posmysz Éva Rácz Leon Schwarzbaum Barbara »Basia« Sadowska Kazimierz Smoleń Justin Sonder Marios Soussis Erzsebet Szemes Tadeusz Szymański Marian Turski Gabor Verö Erna de Vries Sonja Vrščaj Elie Wiesel und all die anderen …
Ihr müsst immer tapfer sein
Oliven sind groß
Durch die Knochen bis ins Herz
Eine Ameise kommt immer davon
Das Gesicht eines Menschen
Unter ihnen leben
Nachwort
Über den Autor
Impressum
Ihr müsst immer tapfer sein
Schon bald nach unserer Ankunft in Amerika fing ich an, mich für Tennis zu interessieren. An jedem Platz, an dem mein Bruder und ich vorbeikamen, blieb ich stehen, drückte mich an den Drahtzaun und beobachtete durch die Maschen hindurch die Menschen auf den Spielfeldern, bewunderte ihre weiße Kleidung, die Schnelligkeit des Spiels und die in meinen Augen unübertrefflich elegante Bewegung, mit der die Spielerinnen oder die Spieler den am Boden liegenden Ball mit dem Schläger am Fuß entlang hochzogen und er in Richtung der geöffneten Hand flog, die ihn fest und selbstverständlich auffing und umschloss. Außerdem liebte ich das Geräusch, wenn der Ball auf den Schläger traf. Immer war es Leon, der drängte: Komm, wir müssen weiter, wir können hier nicht ewig herumtrödeln. Murrend hob ich dann die schwere Tasche mit den Zeitungen und Werbeprospekten an, und wir drehten weiter unsere Runde. Einmal würden auch wir auf einem solchen Platz stehen, einmal würden auch wir dazugehören.
Später, als ich längst glaubte dazuzugehören, habe ich mir sogar neben unserem Haus auf dem Land einen Tennisplatz anlegen lassen. Das schien mir der Gipfel meiner Wünsche zu sein, und ich war dankbar, dass mir nach allem Schlamassel das Schicksal so gnädig war und mich sogar mit einem eigenen Tennisplatz beschenkte. Trotzdem ging ich zum Spielen auch in die benachbarten Clubs, in zweien von ihnen war ich sogar Mitglied. All das, was ich hier erzähle, beginnt in einem von ihnen, dem Lake View Country and Tennis Club, der genau elf Minuten Fahrtzeit von unserem Landhaus entfernt liegt. Vor vielen Jahren, nachdem in der Nachbarschaft gemunkelt worden war, dass jetzt auch Juden als Mitglieder akzeptiert würden, hatte ich sofort die Mitgliedschaft beantragt. Sie sollten doch sehen, was sie davon haben. Dass ich gleich in den zwei ersten Jahren meiner Mitgliedschaft Vereinsmeister geworden bin, erfüllte mich damals und erfüllt mich bis heute mit kindischem Stolz, so als hätte ich ihre Ignoranz und ihre Vorurteile endgültig in die Flucht geschlagen.
Im Lake View spielte ich oft mit Barry, der nur wenige Straßen von meinem Büro in Manhattan entfernt sein Geschäft hatte. Er handelte mit Fliesen und Kacheln, renovierte Badezimmer und reparierte Heizungsanlagen. Im Lauf der Jahre hatte er sich selber zugekachelt, er war stockkonservativ und beurteilte das Leben ausschließlich auf Grund seiner Umsätze. Wenn man ihn fragte, wie geht’s, Barry?, hob er die Hand, zeigte vier Finger und sagte: Vier Angestellte. Was immer das heißen sollte. Aber er spielte ein verflixt gutes Tennis, so als liefe auf dem Platz der gute alte Barry herum, der Barry, den es gegeben haben musste, bevor er beschlossen hatte, sich mitsamt seinen Kacheln und Fliesen einzumauern. An einem Tag Anfang Mai hatten Barry und ich uns wieder einmal zu einem Match verabredet. Die Sonne brachte uns schon tüchtig ins Schwitzen, und als wir nach dem Spiel auf dem Weg zu den Duschen waren, die Handtücher lässig um den Hals gelegt, zeigte Barry beiläufig auf meinen Unterarm und fragte: Da, wo du warst, was gab es dort für Sportmöglichkeiten? Hast du dort mit dem Tennis angefangen?
In diesem Moment kam mir blitzartig ein Abend vor vielen Jahren in den Sinn, als Hannah, Eve, Ben und ich noch jung waren und uns regelmäßig einmal im Monat zum Dinner bei Katz‘s Delicatessen in der Lower East Side trafen. Auch das muss im Frühling oder Sommer gewesen sein, denn mein Freund Ben und ich trugen kurzärmelige Hemden und Hannah und Eve ärmellose Kleider. Bei keinem von uns hatten sie damals an Tinte für die Nummern gespart. Sie waren groß, krakelig und schwer zu übersehen. Nicht, dass es bei Katz‘s irgendwie aufgefallen wären. Dort saßen in diesen Jahren, die man ohne Übertreibung noch zu den Nachkriegsjahren rechnen konnte, viele, die auch Gezeichnete waren, aber dennoch entspann sich an diesem Abend zwischen uns vieren eine Diskussion, ob man sich die Nummer nicht doch besser entfernen lassen sollte, weil sie im alltäglichen, sommerlichen Umgang zu auffällig war und Menschen verschreckte oder auf Distanz hielt. Wir wollten nichts Besonderes mehr sein, wir wollten dazugehören. Das war alles. Es war Ben, der schließlich sagte: Auch wenn wir sie wegmachen lassen, wird sie nicht weg sein. Und es käme mir vor, als ließe ich meine Eltern und Geschwister im Stich, die dort geblieben sind. Ich kann sie nicht allein lassen. Sie lassen mich auch nicht allein. Das war das Ende der Debatte. Alle unsere Nummern sind geblieben. Und das ist der Grund, warum Barry nach diesem Match auf meinen Arm zeigen und seine Frage loswerden konnte.
Gleich nachdem ich vom Tennisplatz nach Hause gekommen war, rief ich Leon an, der mittlerweile Arzt am Mount Sinai Hospital in Chicago war. Ich erzählte ihm von Barrys Frage, die mich immer noch empörte, und hoffte, dass er in meine Empörung einstimmen und die Ignoranz dieser ahnungslosen und oberflächlichen Welt der Barrys mit mir verdammen würde. Aber Leon blieb ganz ruhig und sagte bloß: Erzähl ihm, wie es war. Setz dich mit ihm im Clubhaus an die Bar und rede. Du bist von uns beiden der Redner. Du musst es erzählen. Und du musst bald anfangen, sonst werden immer mehr solcher Fragen auf uns alle zurollen. Sie könnten auch fragen, ob wir beim Mittagessen die Wahl zwischen verschiedenen Menüs hatten oder ob sie für die Juden koscheres Essen angeboten haben. Oder ob wir Radio hörten und in der Lagerbibliothek Bücher ausleihen durften, ergänzte ich ihn. Wir lachten, und ich legte auf.
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