„Mann, bin ich froh dass wir die los sind.“, antwortete Falk.
„Wir? Ich bin doch derjenige, der fortan auf die süße Maus verzichten muss.“
„Eben nicht! Du wärst doch morgen gleich früh zu deinem Sportkurs aufgebrochen, und die Tante hätte bei uns zu Hause das Bad blockiert, wenn ich zur Arbeit muss. So wie neulich, wer was das noch gleich?“
„Meike hieß die. Mensch Falk, gut dass du mich an den verdammten Kurs erinnerst. Ich muss morgen schon um sechs am Institut sein.“
Sie erreichten die Eingangstür zu der Doppelhaushälfte, in deren Dachgeschoss sich ihre kleine Wohnung befand. Robs fummelte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, dann schlichen sie die enge Treppe hinauf, so leise wie möglich, um Roberts Onkel Peter, der unten mit seiner Familie wohnte, nicht zu wecken. Falk drängte hinter seinem Freund in die Wohnung, zog die Tür zu und ließ den Rucksack in der Küche auf einen Stuhl fallen.
Beide starrten eine Weile darauf.
„Meinst du echt, da war jemand? In dem Haus?“, fragte Robs.
Falk zögerte.
„Irgendwer muss diesen komischen Beutel ja dahingelegt haben.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war, den mitzunehmen.“, sagte Robs unvermittelt, und Falk ahnte, dass er Recht haben könnte.
Falk erwachte vom Weckerklingeln. Träume schlängelten sich wie Wiesel nach allen Seiten hin aus seinem Bewusstsein heraus. Er schaute sich im Dämmerlicht um und erkannte sein Zimmer: der Schrank, der Schreibtisch, der Computer. Er lag auf seinem Schlafsofa, in zusammen geknüllten Decken. Durchs Fenster sah er graublauen morgendämmernden Himmel. Das Display seines Handys zeigte sechs Uhr.
Falk zog die Decke hoch bis unters Kinn. Zwischen den Traumschatten tauchten die Geschehnisse des gestrigen Abends aus seiner Erinnerung auf. Mit einem Ruck setzte er sich auf, woraufhin in seinem Schädel ein hektisches Hämmern einsetzte, was ihm wiederum auch die Flasche Lambrusco wieder ins Gedächtnis rief, die bei irgendeiner Pizzalieferung dabei gewesen war, und die er und Robs gestern Abend auf den Schreck noch in der Küche geöffnet hatten.
Falk warf die Decke zur Seite, schnappte sein Handtuch, das über der Tür zum Trocknen gehangen hatte und stolperte die schmale Holztreppe vor seinem Zimmer hinunter. Er bog direkt ins Bad ab, griff nach Zahnbürste und Zahnpasta und ging dann zähneputzend weiter Richtung Küche.
Dort sah er es bestätigt: mitten auf dem Küchentisch, zwischen Werbezeitungen, der leeren Lambruscoflasche und zwei weißen Kaffeebechern aus der Unimensa, lagen der Lederbeutel von gestern Nacht und die Gegenstände, die sich darin befunden hatten. Da war das Schwert, wieder sorgfältig in seine Scheide gesteckt. Daneben lag ein Briefumschlag, den sie ebenfalls in dem Beutel gefunden hatten. Er war verschlossen und wog schwer in der Hand. Der Inhalt, hatten Falk und Robs vermutet, musste aus mehreren dicken Papierseiten bestehen. Auf dem Umschlag hatten nur vier Worte gestanden, mit blauer Tinte in gleichmäßiger geschwungener Handschrift geschrieben: ‚Für Mark von Marie’.
Dann sah Falk, dass Robert ihm auf der Rückseite eines Kassenzettels eine kurze Nachricht hinterlassen hatte:
‚Wir sehen uns in einer Woche. Sieh lieber zu, dass du das Zeug wieder zurückschaffst!’
Daneben war ein kleines grinsendes Gesicht gemalt.
Robert hatte es also tatsächlich pünktlich aus dem Bett geschafft, und war nun bereits unterwegs zu seinem einwöchigen Trainingslager, irgendwo im Harz. Wahrscheinlich würde er sich im Bus noch einmal zusammenrollen, ein paar Stündchen schlafen, und keinen Gedanken mehr an ihn, Falk, verschwenden, der sich jetzt mit diesem Mist herumschlagen musste.
Eine Weile stand Falk unschlüssig in der Küche herum, dann beschloss er, dass er erst einmal zur Arbeit musste. Er ging zurück ins Bad, wusch sich den Mund aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser machte ihn munter. Hinterher warf er einen Blick in den Spiegel. Seine Haare, dunkelblond und tropfnass, hingen ihm bis zum Kinn, wo ein paar Bartstoppeln unmotiviert vor sich hin sprossen. Lohnte sich nicht, die heute zu rasieren, fand er. Dunkle Augenringe und die fahle Haut verrieten ihm, dass die Woche sich dem Ende zuneigte. Seine Augen, eng zusammenstehend, leuchteten hellgrau aus den tiefen Höhlen unter seinen Brauen hervor. Falk entschied, dass er nicht schlimmer aussah als sonst.
Während er sich abtrocknete, begann er, Stück für Stück zu rekonstruieren, was eigentlich gestern passiert war. Sie waren bei Konrad gewesen. Sie hatten gegrillt und ein paar Bierchen getrunken. Später hatte Konrads Freundin ihnen allen noch Schnaps aufgedrängt. Wir hatten wohl doch schon einiges getankt, dachte Falk, sonst wäre ich doch nie auf die Idee gekommen, auf dem Heimweg in das verdammte alte Haus einzusteigen. Und diesen Beutel mitzunehmen. Wobei ja eigentlich Robs Schuld war. Aber zumindest hatte er, Falk, mit der Aktion dafür gesorgt, dass diese Fanni hier nicht mehr aufkreuzen würde.
Falk stieg zu seinem Zimmer hoch und zog eine frische Boxershorts an, sowie die knielange weite Hose vom Vortag, ein frisches T-Shirt und einen schwarzen Kapuzenpullover.
Wo ist mein Rucksack, überlegte er. Ach ja, noch unten. Genau wie das andere Zeug.
Die Flasche Lambrusco hinterher in der Küche war irgendwie auch überflüssig gewesen, erkannte Falk angesichts des dumpfen Schmerzes im dem Bereich hinter seiner Stirn. Aber nach der Geschichte hatten sie einfach noch einen trinken müssen. Sie hatten einen Diebstahl begangen, soviel war ihnen klar gewesen. Dabei hatten ja nur aus Spaß ein wenig in dem alten verlassenen Haus herumschnüffeln wollten. Hatten sie ja schließlich früher auch schon gemacht, das Ding stand doch seit Jahrzehnten leer. Was hatte es bloß mit dem Lederbeutel und dem Schwert auf sich? Wie waren diese Sachen dorthin gekommen. Hatte sich wirklich jemand im Haus befunden, im oberen Stockwerk? Wer waren Mark und Marie?
Falk betrachtete das Schwert auf dem Küchentisch. Gestern hatten sie es aus seiner Scheide gezogen. Dunkel war das Metall der Klinge gewesen, fast schwarz, und vom Knauf aus bis zu etwas zwei Dritteln der Länge durch eine flachen Rinne in der Mitte geteilt. Zwischen Knauf und Klinge befand sich der schmale Steg, der gerade und schlicht gearbeitet war. Überhaupt war die Waffe auffallend schlicht, fand Falk, es gab keine Verzierungen bis auf zwei winzige Zeichen, die am oberen Rand der Klinge in der Rinne eingraviert waren.
*
Ein Blick auf die Uhr seines Handys sagte ihm, dass er dringend los musste. Nach kurzem Überlegen brachte Falk Schwert, Briefumschlag und Beutel nach oben in sein Zimmer, wo er alles unter sein Schlafsofa stopfte. Wieder unten in der Küche griff er nach seinem Rucksack, der seit dem Vorabend in einer Ecke lag, schüttete alles, was drin war, aus, so dass die leeren Bierdosen scheppernd auf den Küchenfußboden fielen, und setzte ihn auf. Dann zog er noch seine Wollmütze über den Kopf und die Wohnungstür hinter sich zu.
Leise ging er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, durchquerte den Flur der unteren Wohnung, wo Roberts Onkel Peter mit seiner Frau und den beiden Kindern lebte, und trat ins Freie. Die Wolken der letzten Nacht hatten sich verzogen und der Himmel war blau erleuchtet von den ersten Strahlen der Sonne – es würde einer dieser Tage werden, an denen die klare Kälte des herannahenden Herbstes tagsüber noch einmal von der Septembersonne vertrieben wurde.
Trotzdem war Falk froh über seine blaue Mütze, die er jeden Tag, sommers wie winters, trug, denn als er sein Fahrrad abgeschlossen hatte und die Straße bis zur Buswendeschleife entlang radelte, wehte ihm der Fahrtwind schneidend kalt um die Nase. Er ließ sich den Steinborn hinunter rollen, vorbei an kleinen Doppelhäusern, die bunt gestrichen waren, um die unterschiedlichen Besitzer anzuzeigen. Mit den von niedrigen Mauern begrenzten Vorgärtchen war diese Gegend viel bescheidener als das Villenviertel auf der anderen Seite des Hausbergs.
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