Falk seufzte. Robs hatte den Rest seines Zimmers im gewohnten Zustand hinterlassen: auf dem zerwühlten Bett lagen verschiedene Kleidungstücke, ein leerer Umzugskarton stand daneben, ein Handtuch war über die Lehne des Stuhls geworfen, der Schreibtisch war übersät mit Notizen und Büchern. Gleich neben dem Schreibtisch befand sich die Tür zur Terrasse – im Sommer ein herrlicher Ort für ein Bierchen in der Sonne, und ganzjährig ihre Abstellmöglichkeit für die leeren Kästen.
Robs hat’s gut, dachte Falk. Der muss sich jetzt nicht mit diesem verdammten Schwert rumärgern! Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer seines Freundes, der jedoch nicht dran ging.
Es half alles nichts. Er musste die Sachen zurück in das Haus bringen. Er würde den Beutel einfach wieder dort ablegen, wo sie ihn gefunden hatten. Und am besten brachte er es jetzt gleich hinter sich.
*
Falk stand schon im Flur, seinen Wanderrucksack auf dem Rücken, darin der Lederbeutel mit dem Schwert und dem Brief, als er Schritte auf der Treppe hörte. Dann klopfte es an der Wohnungstür. Hektisch nahm Falk den Rucksack ab und warf ihn ins Nebenzimmer auf die Couch. War ihm schon jemand auf der Spur?, ging es ihm durch den Kopf, nur um sich im nächsten Moment zu ermahnen, wie albern dieser Gedanke war.
„Hey, Falk!“, hörte er dann Peter rufen, den Onkel von Robert. „Bist du zu Hause?“
Falk atmete aus.
„Jo, bin da! Warte!“
Er ging zur Tür und öffnete. Peter stand im Halbdunkel der Treppe, ein kleiner drahtiger Mann, den Falk noch nie ohne sein kariertes Holzfällerhemd gesehen hatte, dessen Ärmel er je nach Jahreszeit mehr oder weniger weit aufkrempelte.
„Was gibt’s denn?“, fragte Falk und im selben Moment fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich immer noch ziemlich verschreckt aussah, also bat er Peter mit einer Geste hinein und überlegte, wie er sich am besten verhalten sollte, um wie nach einem ganz normalen Freitagabend zu wirken.
„Willst du ein Bier?“, fragte er, während er in die Küche ging und den Kühlschrank öffnete. „Ach nee, sorry, ich hab gar keins da.“ Er lachte verlegen und richtete sich wieder auf.
Peter stand im Flur, die Hände in den Hosentaschen.
„Nicht schlimm.“, brummte er. Als er die Kabel sah, die an der Decke entlang aus dem Wohnzimmer kommend die Treppe hinauf in Falks Dachzimmer führten, runzelte er die Stirn.
„Was verkabelt ihr denn hier?“
„Nur unsere Computer, dann können wir im Netzwerk zocken, du weißt schon…“
„Achso, achso“, nickte Peter und machte weder Anstalten, sich weiter in die Wohnung hinein zu begeben, noch, wieder hinaus.
„Ja, also wie gesagt, ich kann dir leider nichts anbieten…“, setzte Falk an, ohne zu wissen, wie er den Satz beenden sollte.
„Nee, lass mal, Falk. Ich bin eigentlich nur kurz hochgekommen, weil ich euch was erzählen wollte. Stell dir vor, oben, bei der Straße rüber zum Hausbergviertel, da am Fuchsturm vorbei, da ham se ne Tote gefunden!“
„Was, ernsthaft?!“
Fieberhaft überlegte Falk, was er mit seinen Händen anstellen sollte. Schließlich steckte er sie ebenfalls in seine Hosentaschen. Die beiden standen sich gegenüber, Peter im Flur, er selber in der Küche.
„Ja, irgendwelche Jungs haben sie beim spielen da oben entdeckt. Sie lag in dem alten Holzhaus, ich weiß nicht ob du es kennst. Steht schon seit Jahren leer. Keine Ahnung, wann da zum letzten Mal jemand gewohnt hat.“
„Das gibt’s doch nicht!“
„Doch. Ich hab's eben von der Nachbarin gehört. Kam gerade von Arbeit, wollte den Wagen parken, da quatscht sie mich schon an. Die von gegenüber, die immer den ganzen Tag aus ihrem Fenster glotzt.“
„Ach, die alte Stasitante.“
„Ja, die hat's nicht verlernt. Die Kids, die die Leiche gefunden haben, sind wohl gleich nach Hause gerannt und haben es ihren Eltern erzählt. Und irgendwie hat die Nachbarin es dann auch gleich erfahren.“
Falk machte ein zustimmendes Geräusch, aber in seinem Kopf dröhnte es, als würde eine Eisenbahn durchrasen. Er musste jetzt dieses Gespräch überstehen! Sollte er nachfragen, interessiert tun? Oder besser gleichgültig? Währenddessen fuhr Peter fort:
„Keine Ahnung, wer die Tote ist und wie sie gestorben ist. Aber man muss aufpassen heutzutage. Ich hab meinen Kindern erst mal verboten, draußen zu spielen. Ihr solltet auch die Augen offen halten.“
Falk nickte eifrig.
„Auf jeden Fall, werd ich tun. Ich sag auch Robs Bescheid. Krasse Geschichte.“
„Naja.“, machte Peter abschließend. „Wo ist Robert überhaupt? Immer unterwegs, was?“
Erleichtert über den Themenwechsel nahm Falk seine schwitzenden Hände aus den Hosentaschen und lehnte sich an den Türrahmen zwischen Flur und Küche.
„Ja, der ist grad bei so ner Sache von der Uni, Trainingslager, irgendwo im Harz. Ist heute Morgen losgefahren und kommt erst nächste Woche wieder.“
„Achso. Training, ja? Die Studenten, die machen doch nur Party, dachte ich.“, erklärte Peter und zwinkerte Falk zu. Als Dachdeckermeister hatte Peter immer schon ein diffus kollegiales Verhältnis zu Falk gepflegt, da der ebenfalls nicht studiert, sondern eine Ausbildung als Bauzeichner bei Krehmer gemacht hatte. Als in seiner Firma dann händeringend jemand gesucht wurde, der sich um „diesen ganzen Internetz-Kram“, wie sein Chef es ausgedrückt hatte, kümmern konnte, hatte Falk sich über eine Zusatzausbildung weiter qualifiziert, und war seitdem der offizielle EDV-Verantwortliche für die ganze Firma. Demnächst sollte er sogar noch jemanden zur Unterstützung bekommen. Für Peter lag Falks Arbeit damit deutlich näher an seiner eigenen Vorstellungswelt als das Studentenleben seines Neffen.
„Also gut Falk, wollt euch nur Bescheid sagen.“
Er wandte sich um, öffnete die Wohnungstür und meinte über die Schulter:
„Du denkst an die Miete?“
„Klar, Peter, ich überweise sie gleich, äh, nachher.“
„Ok. Will dich auch gar nicht weiter stören. Das mit dem Bier, das machen wir mal ein anderes Mal.“
„Kein Ding. Mach‘s gut!“
Die Tür schlug zu und Falk wartete, bis Peters Schritte auf der Treppe verklangen. Dann ging er rüber ins Wohnzimmer und starrte seinen Rucksack, der auf der Couch lag, an, als wäre er eine Kofferbombe. Da drin war der Lederbeutel. In dem Beutel war das Schwert. Und der Briefumschlag. Für Mark. Von Marie. Marie, ob das die Frau war, die nun tot in dem alten verfallen Haus gefunden worden war? Was hatte sie in dem Haus gemacht? War sie tatsächlich gestern Abend schon dort gewesen, als er und Robs den Beutel mitgenommen hatten? Hatte sie das Schwert und den Umschlag in das alte Haus gebracht? Wahrscheinlich, denn sie wollte die Sachen wohl jemandem namens Mark übergeben. Jetzt war sie tot! Und in seinem Rucksack befanden sich diese seltsamen Gegenstände, die ganz und gar nicht für ihn bestimmt gewesen waren. Das war nicht gut, das war gar nicht gut!
Bei dieser Schlussfolgerung angekommen begann Falk, ziellos in der Wohnung umherzustreifen. Erneut versuchte er, Robs zu erreichen, aber es meldete sich nur eine Tonbandstimme: der Teilnehmer sei momentan nicht erreichbar. Er wird keinen Empfang haben, dachte Falk. Oder er hat sein Ladegerät vergessen. Oder sein Handy verloren. Wer wusste das schon, bei Robs.
Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, war Falk unterdessen wieder in der Küche angelangt. Er würde der Polizei alles erzählen müssen. Vielleicht würden sie nachsichtig sein. Dass er den Beutel mitgenommen hatte, das war ja bloß eine bescheuerte Wette gewesen. Bloß, dass es jetzt eine Leiche gab. Warum bloß war Robs gerade jetzt nicht da, er steckte schließlich genauso da drin wie er selber!
Was, wenn die Frau nicht einfach so gestorben war? Was, wenn sie umgebracht worden war? Vielleicht von diesem Mark? Das waren wichtige Details, die Polizei würde so etwas wissen wollen! Aber würden er und Robs dann nicht sogar selbst als Verdächtige gelten?
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