Es war genau dasselbe „A“ wie auf dem Schwert! Falk hastete nach oben in sein Zimmer und betrachtete das eingravierte Zeichen auf dem Schwert noch einmal von Nahem. Danach wurde er wieder unsicher. War es wirklich dasselbe Zeichen? Einen Buchstaben in einem Kreis als Symbol zu nutzen war sicherlich keine Seltenheit.
Und doch schien ihm die Ähnlichkeit zu groß, als dass es ein Zufall sein konnte. Er kannte diesen Goldschmiedeladen, war wahrscheinlich schon Hunderte Male daran vorbeigekommen, schließlich befand sich die Unterlauengasse direkt im Stadtzentrum, beim Marktplatz. Er erinnerte sich, dass vor dem Laden ein Schild über der Tür hing, auf dem das Logo zu sehen war. Deshalb war ihm das Zeichen wahrscheinlich auch von Anfang an schon so bekannt vorgekommen. Nachdenklich betrachtete Falk die Waffe, die auf seinem Bett lag, blank geputzt und matt schimmernd. Dann fielen ihm seine Nudeln wieder ein.
Kurz darauf saß er, den dampfenden Teller auf den Knien balancierend, im Wohnzimmer auf dem Sofa und beschloss, das Bündel heute Nacht nicht in die Saale werfen. Stattdessen würde er gleich morgen Vormittag zu diesem Laden fahren. Wenn das Logo des Goldschmieds tatsächlich dasselbe war wie das eingravierte Zeichen auf der Klinge, so würde er dort vielleicht in Erfahrung bringen können, woher das Schwert stammte, und wem es gehörte oder gehört hatte. Loswerden konnte er die Sachen später immer noch.
Zufrieden über seine Entscheidung und die gelungene Tomatensoße schaltete Falk zu einem uralten Actionfilm, aß seine Nudeln, schaltete den Fernseher in der nächsten Werbepause aus, trottete nach oben in sein Zimmer, zog sich aus und ließ sich mit einem erleichterten Grunzen ins Bett fallen, wo er sogleich einschlief.
Am nächsten Morgen erwachte Falk so ausgeruht wie seit Tagen nicht mehr. Er duschte, putzte sich die Zähne und rasierte sich, verzichtete auf ein Frühstück, und machte sich gegen zehn Uhr auf den Weg in die Stadt. Das Schwert nahm er, wieder in der Scheide und im Lederbeutel verstaut, in seinem Rucksack mit.
Auch heute war die Luft klar, und die Sonnenstrahlen hatten die morgendliche Kühle schon vertrieben. Falk bog in die Karl-Liebknecht-Straße ein, wo er den Straßenbahnschienen in Richtung Stadtzentrum folgte, vorbei an Mehrfamilienhäusern, kleinen Kneipen und Geschäften, einer Kfz-Werkstatt und einem Supermarkt.
Er erreichte die Camsdorfer Brücke. Die Saale war an die dreißig Meter breit an dieser Stelle und die Weiden an den Ufern wurden vom trübe schäumenden Wasser umspült. Noch vor wenigen Wochen hatte er Sandbänke im Flussbett gesehen, erinnerte sich Falk. Starke Regenfälle im August jedoch hatten den Fluss anschwellen lassen. Jetzt strömten braune schlammige Wassermassen unter der Camsdorfer Brücke hindurch und trieben Äste, Plastiktüten und quakende Enten vor sich her.
Falk fuhr entlang der Straßenbahnschienen stadteinwärts, und bog dann nach links ab. Groß und klobig lag hier das Hauptgebäude der Universität, ursprünglich der Herzogssitz der Stadt. Falk war einmal in der großen Aula im Erdgeschoss gewesen, als Robs sein Studium begonnen hatte. Alle neuen Studenten waren feierlich begrüßt worden, und Falk war mitgekommen, weil die Schnittchen und der Sekt umsonst gewesen waren. Es gab hier auch einen sonnigen Innenhof, wo sich Efeu an den Wänden hochrankte. Hier konnte man im Sommer draußen sitzen und sich ein günstiges Essen aus der Mensa schmecken lassen.
Die verschiedenen Institute der Uni waren in der ganzen Stadt verteilt. Das führte dazu, dass die Studenten meist zu Fuß unterwegs waren, um zu ihren jeweiligen Vorlesungsräumen, den Mensen oder den Bibliotheken zu gelangen. In den Cafés, Kneipen und Bars war man darauf eingerichtet, Frühstück noch nachmittags um fünf und Cocktails ab morgens um zehn zu servieren.
Jetzt, in den Semesterferien, waren zwar weniger Studenten als sonst in der Stadt, aber Falk musste trotzdem langsam fahren, als nach rechts unter einem Tordurchgang hindurch in die Marktgasse einbog. Mütter schoben Kinderwagen durch die Gegend, außerdem waren Rentner unterwegs, die am Samstagvormittag ihre Besorgungen erledigten, sowie Familien, Schüler in kichernden Grüppchen und verschlafende Mittzwanziger. Falk bog gleich wieder links in die Unterlauengasse ab und schloss sein Fahrrad ab. Er ging kurz ein paar Schritte zur Sparkasse, wo er seinen Teil der Miete an Peter überwies. Wieder mal war damit sein Konto schon zum Anfang des Monats so gut wie leer. Falk trat hinaus in die Sonne. Hinter der Fleischerei an der rechten Seite der kopfsteingepflasterten Unterlauengasse konnte er schon das Messingschild sehen. Dort war der Goldschmiedeladen.
Die Hände in den Hosentaschen, das Gewicht des Schwertes in seinem Rucksack spürend, schlenderte Falk die Gasse hinunter. Die Häuser hier waren schmal, fast alle mit kleinen Läden im Untergeschoss und Mietwohnungen darüber. Der Goldschmied Argot hatte sein Geschäft im Erdgeschoss eines gelb gestrichenen Hauses. Das Messingschild über der Tür war mittels filigran geschwungener eiserner Ranken an der Wand befestigt. Im Kontrast dazu standen die schlicht gearbeiteten Wörter ‚Argot’ und ‚Goldschmiedemeister’, die das große ‚A’ im Kreis umrahmten.
Eine Glocke klingelte leise, als Falk durch die Tür in den Raum trat, der durch das einfallende Tageslicht sowie zahlreiche Lampen an den Vitrinen, in denen Ringe, Uhren, Ketten und anderer Goldschmuck auslagen, hell erleuchtet war. Hinter der Theke stand ein magerer Mann mit buschigem Schnauzer.
Das musste wohl der Goldschmiedemeister Argot persönlich sein, sagte sich Falk. Argot hatte Falk nur kurz gemustert und sich dann wieder dem Pärchen zugewendet, das bei ihm an der Theke stand und mit gedämpften Stimmen über irgendwas diskutierte. Unschlüssig, was er tun sollte, betrachtete Falk die Schmuckstücke in den Vitrinen genauer. Als er einen breiten goldenen Ring in die Hand nahm, konnte er auf der Innenseite, winzig klein eingraviert, das Zeichen des Goldschmieds erkennen: das ‚A’ im Kreis.
„Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?“
Urplötzlich war Argot neben ihm aufgetaucht. Er war bestimmt einen Kopf kleiner als Falk und hatte nur noch einen spärlichen grau-braunen Haarkranz am Kopf, der die glänzende Glatze umschloss, auf der bräunliche Altersflecken verteilt waren wie Kaffeespritzer.
„Auf Wiedersehen.“, verabschiedeten sich unterdessen die beiden Kunden von eben. Eine rundliche Frau, etwa in Argots Alter, die Falk vorher gar nicht bemerkt hatte, hielt ihnen die Tür auf, und ging danach hinter die Theke, während Argot neben Falk stehen blieb.
„Äh, ich suche eigentlich was für meine Freundin…“, improvisierte Falk.
„Sie wollen heiraten? Glückwunsch.“
„Heiraten? Naja, eigentlich noch nicht.“
„Dann sind Sie hier bei den Trauringen aber falsch. Wir haben schönen Modeschmuck, gleich hinter Ihnen.“
Falk begann zu schwitzen. Meister Argot, wenn er es denn war, machte ihn nervös. Er sprach mit krächzender Stimme, seine kleinen Augen hinter der Brille lagen tief in den Höhlen und beobachteten Falk stechend.
Ich könnte ihm das Schwert einfach zeigen, wer weiß, vielleicht würde er es kennen, überlegte Falk. Aber wie sollte er erklären, wo er es herhatte? Entschuldigung, ich habe ein altes Schwert mit Ihrem Zeichen drauf, wissen Sie da zufällig etwas drüber? Ich habe es übrigens aus einem verfallenen Holzhaus, in dem kurz darauf eine tote Frau gefunden wurde…
Nein, er musste sich eine passende Erklärung zurecht legen, wie er dazu gekommen war. Vielleicht könnte er es auf dem Dachboden gefunden haben? Bei seinen Großeltern? Falk versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal eine vergleichbare Flunkerei auch nur halbwegs glaubhaft aufgeführt hatte, aber es gelang ihm nicht. Selbst im Schultheater war er nur für Licht und Ton verantwortlich gewesen, weil er als Schauspieler einfach kein Talent besaß.
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