Kinder werden nicht dadurch familienfähig, wenn sie einer Familie ferngehalten werden. Glücklicherweise erkannte in meinem Fall das Jugendamt, mich nun im 15. Lebensjahr in eine Pflegefamilie gehen zu lassen statt in eines dieser kindesverachtenden Erziehungsheime mein Dasein fristen zu müssen. Doch es bedurfte einer immensen Anpassungsleistung und Disziplin meinerseits, um dem drohenden Damoklesschwert zu entgehen. Ich konnte dies nur meiner Eigenliebe verdanken und dem dadurch möglichen Vertrauensvorschuss an mögliche liebende Pflegeeltern, die ihrem Pflegekind ihre ganze Wertschätzung entgegenbrachten.
Sind die Kinder dann in einer Pflegefamilie untergebracht, sollten sie dort bleiben. Die Eltern, die es zulassen, dass Kinder in Heimen und zu Pflegeeltern hin- und hergeschoben werden, haben ihr Elternrecht verwirkt. Dem Kind ist das nicht verständlich zu machen. Dies versteht es erst als Erwachsener, sofern es sich mit dem gesellschaftlichen Normensystem vertraut gemacht hat. Geschwisterkinder sollten zudem zusammenbleiben. Die Gewähr dafür bieten wohl nur die sogenannten Kinderdörfer.
Ich habe heute als Erwachsener Verständnis dafür, dass man nicht vier Geschwister gleichzeitig zu Pflegeeltern geben kann, habe jedoch kein Verständnis dafür, Geschwister auseinanderzureißen. Sie hätten ihren Platz in einem Kinderdorf, sei es ein SOS- oder Albert-Schweitzer-Kinderdorf. Skandalös war es für mich, als ich als Erwachsener erfuhr, dass es noch ein Geschwisterkind gibt, zu dem keinerlei Kontakte existieren. Hierbei fällt mir dann nur noch ein: Denn sie (die Sozialarbeiter) wissen nicht was sie tun! Sie gehen den Weg des geringsten Widerstandes. Sie wursteln sich durch. Gott möge ihnen vergeben; ich habe meinen Frieden damit gefunden.
4. Erzieher in Kinderheimen: Ordnung schaffen im kindlichen Chaos. Kinder haben noch keine Rechte!
Aufgrund folgender Pressenotiz im Jahre 1991 schreibt ein ehemaliges Heimkind einen fiktiven Brief an seine Heimerzieher:
Abbildung 2: Heime befürchten Erziehungsnotstand
4.1. Ein Brief an die Heimerzieher von damals
„An den Geschäftsführer, die Heimerzieher/innen,
was hätte ich Euch damals alles gesagt, wenn ich nur gekonnt hätte. Ihr habt mir den Mund verboten. Ihr hieltet mich eingesperrt, umgeben von hohen Mauern. Ihr habt mich geprügelt und geschlagen wie einen Hund. Als ich das Heim verließ, war ich ein seelischer Krüppel. Dies interessierte Euch nicht mehr. Was ich dann geworden bin, verdanke ich meiner „asozialen“ Herkunft und dem Aufwuchs bei Pflegeeltern. Meine leiblichen Eltern gaben mir Liebe, die Ihr nie hättet geben können. Meine Pflegeeltern gaben mir eine gewisse Geborgenheit, die Ihr mit Füßen tratet. Ihr habt mir meine schmutzige Wäsche, die ich angeblich beim Heimeintritt getragen haben soll, vor meine Füße geworfen. Ihr habt mich fast totgeprügelt, bis ich als winselnder Hund vor Euch lag. Faules Subjekt habt Ihr mich genannt. Zur Fleisch-Show wurden wir „ehrenwerten“ Bürgern vorgeführt, alles im Dienste der Medizin. Was ich sonst noch zu sagen hätte, würde Bände füllen. Es waren über 6 Jahre menschlichen Terrors, denen ich ausgesetzt war. Ich möchte Euch nicht mehr sehen, auch nicht vor einem irdischen Gericht. Schert Euch zum Teufel. Grüßt mir Euren Oberteufel, im Gewand einer Nonne.
In jüngster Zeit sprechen Eure Teufel wieder. Ihr befürchtet Erziehungsnotstand. Ihr seid selbst der Erziehungsnotstand. Ihr wollt verbesserte Arbeitsbedingungen, keine Überstunden, keine Wochenendarbeit, keine langen Arbeitszeiten. Was habt Ihr denn gearbeitet? Ihr habt doch uns arbeiten gelassen. Wir putzten die Zimmer, wir deckten die Tische, wir wuschen unsere Strümpfe, wir machten unsere Betten usw. Wie und womit wollt Ihr uns betreuen? Reicht die Zeit nicht mehr, um uns mundtot zu machen? Ist die Gefahr zu groß geworden, nicht mehr als seelische Krüppel das Heim zu verlassen? Müssen etwa Eure Mauern erneuert werden? Ihr fordert mehr Geld. Wofür? Macht eine Anleihe beim Teufel, der hat Geld genug.
Solltet Ihr kein Interesse mehr am Pakt mit dem Teufel haben, versucht es nicht mit Gott zu probieren. Gott hat uns die Erde zu unserem Nutzen überlassen. Er beobachtet uns aus weiter Ferne. Versucht deshalb, Euren eigenen Kopf zu gebrauchen:
Reißt die Mauern ab!
Betreut die Kinder in Pflegefamilien!
Holt Euch die Kinder, die Ihr braucht und erzieht sie mit Eurer gesamten Privatheit.
Nicht Berufstätige sind gefragt, sondern Menschen als Vorbilder und das „rund um die Uhr“.
Gebt Euren Kindern Liebe!
Seid echte Ersatzeltern und keine „Erzieher“.
Legt ab Eure Teufelskrallen, das heißt prügelt die Kinder nicht windelweich.
Kinder sind in aller Regel nicht problemlos. Beratet Euch mit Mitmenschen in gleicher Situation. Denkt in erster Linie an Eure Vorbildfunktion und gebt auch mal Kindern das Kommando.
Es grüßt das Kind von damals, das Kind von heute, das Kind von morgen. Wir treffen uns bei Gott.
Es ist nie zu spät. Drum fangt an, aber lasst mich in Ruhe. Meine Wunden sind noch nicht verheilt. Gott wird sie heilen.“
Dieser exemplarische Brief wirkt auf Unbetroffene sicher sarkastisch. Viele Erzieher werden die Welt nicht verstehen und denken: wohl nur ein Einzelfall. Jeder sucht sich seine rechtfertigenden Momente und jeder versucht, sich seiner „Haut zu retten“ solange wie möglich. Ich möchte nicht leugnen, dass auch Erzieher versuchen, ihr Bestes zu geben. Doch sie verkennen die Situation, in der sie dies versuchen. Die Geschlossenheit einer Einrichtung begünstigt die Züchtigung von Kindern (heute werden wahrscheinlich mehr Psychopharmaka verabreicht), fördert Willkür und schafft kriminellen Nährboden. Menschen sind keine perfekten Wesen, sie sind fehlerhaft. Das gilt auch für hohe Würdenträger, wie dies nicht nur das 3. Reich zeigte. Geschlossene Einrichtungen müssten daher für Kinder verboten sein. Diese Schlussfolgerung wird hinsichtlich der Tatsache, dass die meisten geschlossenen Einrichtungen in kirchlicher Hand sind, wohl Utopie bleiben, denn die Kirchen haben die grundgesetzlich garantierte „Narrenfreiheit“.
4.2. Geschlossene Einrichtungen, Kinderkäfige
Demokratische Normen sind tabu, es sei denn sie passten zufälligerweise in das kirchliche Normengefüge. Zudem ist Demokratie ja für viele Vorgesetzte nur unter Gleichen praktizierbar. Jeder schafft sich damit seine Welt, die Vorgesetzten, die Untergebenen, die Sozialarbeiter, die Erzieher. Wo bleiben die Kinder? Diese werden von den untersten Instanzen, den Erziehern, versorgt. Sie treffen auf Kinder, die superaktiv sind, zudem spontan, gefühlsbetont, egoistisch, unangepasst, wild, laut usw., Eigenschaften, die vielen Erwachsenen fremd geworden sind, bestenfalls mit Chaos vergleichbar. In diesem kindlichen Chaos müssen nun Erzieher Ordnung schaffen. Dies ist scheinbar nur möglich nach dem militärischen Grundsatz: Befehl und Gehorsam. Befehlen tun die Erzieher, zu gehorchen haben die Kinder. Und sind die Kinder nicht willig, wird Gewalt angewendet. Es hört ja niemand. Schließlich haben wir nicht umsonst hohe Mauern um uns herum. Und von Zeit zu Zeit überzeugen sich ja unsere Leitungsstellen, wenn auch nach Voranmeldung, von unseren „fröhlichen“ Kindern, die lustig singen und den Eindruck erwecken, als liebten sie die Ordnung über alles:
„Es ist … als ob wir mit Wissen und Willen Menschen werden sollten, die ‚Ordnung‘ brauchen und nichts als Ordnung, die nervös und feige werden, wenn diese Ordnung einen Augenblick wankt, und hilflos, wenn sie aus ihrer ausschließlichen Angepasstheit an diese Ordnung herausgerissen werden. Das die Welt nichts weiter als solche Ordnungsmenschen kennt - in dieser Entwicklung sind wir ohnedies begriffen, und die zentrale Frage ist also nicht, wie wir das noch weiter fördern und beschleunigen, sondern was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums frei zu halten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale“
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