1 ...7 8 9 11 12 13 ...53 Er musste sich jetzt konzentrieren. Er musste es verdrängen so gut es ging.
Immerhin war er noch am Leben. Und er wollte es bleiben.
Es musste sich um ein Zodiac gehandelt haben, ein Sucherwesen. Eines der Wesen, die schon vor dem Einzug der Andragon-Kantone im Arym Var-System gewesen waren.
Es durfte kein Zodiac auf diesem Asteroiden geben! Die Missionsvoraussetzung war absolute Sicherheit bezüglich der Konditionen. Die Sicherheit, dass bestimmte Variablen vorhanden, und andere nicht vorhanden waren. Die Sicherheit, dass mit Widerstand durch Wächter gerechnet werden musste und sich aber kein Zodiac auf dem Asteroiden befand. Was hatte das zu bedeuten?
Es war absolut ausgeschlossen für die perfekte Missionsplanung des Karndalf-Kantons, dass eine Variable übersehen wurde.
Murdoc wusste, dass das Zodiac ihn auch töten würde. Es war nur die Frage, wann und wo es erneut zuschlagen würde. Zodiacs töteten seit dem Einzug der Andragon-Kantone Menschen. Dabei war kein bestimmtes Prinzip zu erkennen. Sie erschienen unregelmäßig an unterschiedlichsten Orten – meist Orte völlig unabhängig von strategischen Bedeutungen – und schlugen dann zu. Sie waren gefürchtet selbst im Karndalf-Kanton, welches für seinen technologischen Fortschritt, seine Sicherheit und seine gute Organisation bekannt war. Soldaten erzählten sich gegenseitig Schauermärchen in Kasernen oder auf Kreuzern, doch getötet hatte noch nie jemand ein Zodiac.
Die alles auflösende Dunkelheit hinter ihm, das Gefühl einer bösen Präsenz, alles Schwachsinn, versuchte sich Murdoc einzureden. Das Böse hat ein Gesicht in diesen Gewölben.
Er rannte los. Da er der einzig Überlebende war, würde das automatische Perser-Shuttle seinen Teleport-Befehl ausführen, sobald er in Reichweite war. Zumindest konnte Murdoc das nur hoffen, ansonsten war er verloren.
Doch musste er den Fötus überhaupt zu seinem Shuttle bringen? War da nicht die Marx, die irgendwo in unmittelbarer Nähe des Asteroiden sein musste? Warum griff sie nicht in das Geschehen ein?
Als hätte jemand seine Gedanken gelesen, ertönte das Karndalf-Signal in seinem Helm und die monotone Stimme erklang, die Murdoc schon in der Nähe des Fötus einmal gehört hatte. »John Casper Murdoc, hier spricht die Missionsleitstelle der Olympfregatte Marx unter der Führung von Kantonvorsitzender Amelie Sakarelij. Ihre Anweisung lautet nun, sich so weit wie möglich zur Oberfläche des Asteroiden zu bewegen. Da das Asteroidenfeld des Aaron-Schwarms zu dicht für eine Olympfregatte der Größe der Marx ist, befinden wir uns am nexusnnäheren Rand des Aaron-Schwarms und werden sie von der Oberfläche teleportieren. Die Struktur des Asteroiden weist ein uns unbekanntes Mineralienvorkommen auf, das den Richtstrahl des Teleporters der Marx noch blockiert. Aktualisieren sie ihre Topografiedaten und suchen sie umgehend den nächstmöglichen Weg an die Oberfläche. Ich brauche sie nicht daran erinnern, dass der Fötus von unsagbarer Wichtigkeit für die Andragon-Kantone ist.«
Das war also der Grund, dachte Murdoc.
Der Nexus war die Sonne des Arym Var-Systems und stellte das Zentrum dar. Positionsangaben erfolgten durch Angabe von dreidimensionalen Koordinaten, wobei der Nexus der Nullpunkt des Koordinatensystems war. Die Marx befand sich am nexusnäheren Rand des Aaron-Schwarms und konnte nicht weiter in das dichte Asteroidenfeld eindringen.
Murdoc antwortete nicht auf die Nachricht sondern führte im Laufen mehrere Topografiescans durch, um sich den bestmöglichen Weg an die Oberfläche zu suchen. Zuerst dachte er, dass es überhaupt keinen Weg gab. Doch dann entdeckte er einen kleinen Durchgang, nicht größer als einen Meter, der über mehrere längliche Tunnelwege zu erreichen war. Die Wege gingen steil bergauf.
Das Alarmsignal des Anzugs ertönte. Die Sieben-Prozent-Grenze war soeben unterschritten worden. Murdoc hatte nicht mehr viel Zeit. Doch die brauchte er auch gar nicht, denn er wollte sofort weg von hier und von dem Zodiac.
Murdoc erreichte den ersten länglichen Tunnelabschnitt und hastete hindurch so schnell er konnte. Während er lief, sah er gedanklich immer und immer wieder den Moment, in dem das Zodiac mit einem einzigen Dolchhieb den Helm von Giebels’ Cheops Mark IV zerschmettert hatte. Die Szene schien sich in seinem Kopf zu wiederholen wie ein Endlosvideo.
Murdoc merkte, dass er absolut nichts verspürte außer dem enormen Drang, diesem dunklen Ort zu entfliehen. Er verspürte nicht einmal Trauer um Giebels oder seine anderen Teamkollegen, wenn er es versuchte. Er schien alles komplett verdrängt zu haben und hatte nur sein eines Ziel vor Augen: am Leben zu bleiben.
Der Sonarstoß den er auslöste hatte wegen der geringen Anzugenergie mittlerweile eine so geringe Reichweite, dass er sich weitere Stöße genauso gut sparen konnte, dachte Murdoc. Doch er machte trotzdem einen weiteren.
Sein Instinkt hatte sich gelohnt, denn er sah am Vis ein menschenähnliches Objekt mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sich zurasen. Voller Entsetzen stellte er fest, dass sich das Objekt in einer Position bewegte, die sich mitten im massiven Felsgestein des Asteroiden hätte befinden müssen. Wie war so etwas möglich?
Murdoc hatte das Gefühl, dass er sich direkt in der Höhle des Löwen befand und dieser hatte ihn entdeckt. Wer immer ihn und sein Team in diese Situation gebracht hatte, wer immer ihnen die Anwesenheit des Zodiacs verschwiegen hatte, er verfluchte diese Person.
Als er sich mit gezückter Talusklinge in die Richtung drehte, aus der das Objekt auf ihn zuraste, schien dieses völlig ohne Geschwindigkeitsverlust ebenfalls die Richtung zu verändern.
Es kann mich auch klar und deutlich sehen, dachte sich Murdoc verbissen.
Der rote Punkt auf seinem Vis bewegte sich außerhalb der Reichweite. Weitere Sonarstöße zeigten nichts mehr in der Umgebung.
Murdoc keuchte und setzte sich wieder in Bewegung in Richtung der Oberfläche. Das regelmäßig erklingende Warnsignal seines Cheops Panzers ignorierte er mittlerweile und nahm es nur noch als fernes periodisches Summen wahr.
Er kam durch einen schmalen Durchgang, der um neunzig Grad nach rechts führte und in einen weiteren länglichen Tunnel führte, der noch steiler bergauf ging als der vorherige.
Am Ende des Tunnels stand das Zodiac wie eine schwarze Mumie.
Murdoc stockte. Er wusste, dass das Zodiac ihm den einzigen Weg versperrte, den es zur Oberfläche gab. Gleichzeitig hatte er nur noch wenige Erdminuten, bis seine Anzugenergie aufgebraucht sein würde.
Wie eingefroren stand er da und fixierte seinen Blick auf das regungslose Zodiac. Die Situation bot ihm keine andere Möglichkeit.
Er fasste allen Mut zusammen und rannte laut brüllend mit erhobener Talusklinge auf die schwarze Mumie am Ende des Tunnels zu.
Als Murdoc etwa zehn Meter von ihr entfernt war, schimmerte die Gestalt in einem pulsierenden Grün auf und verschwand im Boden des Tunnels.
Murdoc, erschrocken und erleichtert zugleich, zögerte nicht und rannte weiter durch einen Durchgang in den nächsten Tunnel. Dieser war etwa dreimal so lang wie der vorherige und endete an einer knapp einen Meter breiten Öffnung nach schräg oben, durch die man die Sterne des Weltraums scheinen sah.
Ich habe es fast geschafft! Ich bin fast bei der Oberfläche des Asteroiden!, schoss es Murdoc durch den Kopf. Doch er wusste insgeheim, dass es noch nicht vorbei war. Das Zodiac würde ihn nicht laufen lassen. Es wollte ihn täuschen. Hatte es sich fort teleportiert? Eine Teleportationsoption nur durch einen Anzug betrieben? Kein Anzug dieser Welt konnte die Energie aufbringen, einen Teleportationsvorgang durchzuführen, selbst wenn diese nur drei Meter betrug. Außerdem würde das immer noch nicht erklären, wie sich das Zodiac durch die Asteroidenwände bewegen konnte.
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