Doch er überhörte nicht das leise Knistern des Team-Koms am Ende des Wortes.
»Giebels? Giebels, sind sie das? Sagen sie was Giebels! Sprechen sie schon!«
Das nervtötende leise, unaufklärende Rauschen des Team-Koms war fast schlimmer als die ausbleibende Antwort.
Murdoc merkte, dass er die Luft angehalten hatte und atmete langsam aus, als wolle er damit vermeiden, die schreckliche Stille in seinem Helm und um ihn herum zu brechen.
Das Vis alarmierte über die Zwanzig-Prozent-Grenze der Anzugenergie, die soeben erreicht worden war.
Murdoc nahm ruckartig die zweite Sprengladung aus seinem Gürtel und setzte sich in Bewegung.
Er passierte mehrere kleine Gewölbeabschnitte, in denen sich weitere Föten befanden, bis er an der nächsten geeigneten Sprengstelle ankam. In diesem Gewölbe waren besonders viele Rinnen mit grünlicher Masse, die den Raum heller beleuchteten als Murdoc es bisher gesehen hatte. Er platzierte die Sprengladung und ging zügig weiter.
Als er die dritte Sprengladung anbringen wollte, knisterte sein Team-Kom kurz laut auf und ließ ihn zusammenzucken.
»Giebels?«, flüsterte er kaum hörbar.
Der Schein der Pulslampe auf seinem Helm schweifte über den Boden und entblößte eine Gesteinsformation, die Murdoc an eine Fratze mit Katzenohren erinnerte.
Du bist der letzte! Alle sind Tot außer dir! Du bist ganz allein im Dunkeln und keiner wird dir helfen! Die Fratze schien Murdoc mit einer spöttischen Kinderlied-Melodie zu besingen.
»Leck mich«, murmelte er und drehte sich in Richtung Wand, um die letzte Sprengladung anzubringen.
Da er keine Befehle über einen Zeitcountdown erhalten hatte, hatte er bei sämtlichen Sprengladungen die Fernzündoption aktiviert. Sobald er den Asteroiden verlassen hatte, würde er die Ladungen per Gedankenbefehl über das Vis zünden. Er konnte nicht riskieren, noch länger auf dem Asteroiden zu verweilen. Drei Sprengladungen würden unter Umständen sogar den ganzen Felsbrocken zerschmettern.
Seine Aufgabe hier war erledigt.
So schnell Murdoc konnte machte er sich auf den Weg zu dem senkrechten Tunnel, den Giebels und er beim Abstieg heruntergekommen waren. Murdoc wollte nur noch weg von hier. Weg von der Dunkelheit, weg von den Föten, weg vom fluoreszierenden, grünlichen Licht. Er hastete so schnell es seine Gravitationsstiefel ermöglichten durch das verwinkelte Höhlensystem mit den vielen Föten. Immer wenn er einen Gang passierte, in dem keine Rinne mit grünlich schimmerndem Licht war, verspürte er das Bedürfnis, sich umzudrehen und den Weg abzuleuchten. Er hatte das Gefühl, als würde eine Präsenz, wie der düstere Schleier der Dunkelheit hinter ihm alles verschlucken und in Nichts auflösen.
Einige Kurzstrecken-Umgebungssonarstöße zeigten nichts weiter als die ruhenden Föten. Doch Murdoc wusste immer noch nicht, was mit Foster, Lanzett, Akriba und seit kurzem nun Giebels passiert war.
Murdoc erschauerte.
Sein Neutronengewehr! Er hatte sein Neutronengewehr in der Fötuskammer nach dem Kampf mit dem fünften Wächter liegen lassen. Er verfluchte sich einmal und abermals. Wie hatte ihm nur so etwas passieren können? Noch dazu in einer derartigen Situation! Abgesehen davon, dass er nun keine Fernkampfwaffe mehr besaß, hatte er nun zur Beleuchtung des Höhlensystems nur noch die etwas schwächere Pulslampe auf seinem Kampfpanzer-Helm zur Verfügung.
Vor Wut über sich selbst schrie er laut auf in seinem Helm, ohne an Geschwindigkeit nachzulassen. Es gab kein Zurück mehr. Und er hatte bereits mehr als einen Wächter mit allein seiner Talusklinge besiegt. Doch eine weitere Aktion wie die Modifikation des Umgebungsanpassers würde seine Anzugenergie in extrem kritische Bereiche bringen. So etwas konnte er sich nicht noch einmal erlauben.
Murdoc fluchte ein letztes Mal und erreichte zu seiner Erleichterung den senkrechten Höhlengang, der Giebels und ihn zur Fötus-Kolonie geführt hatte.
Ohne großartig abzubremsen setzte Murdoc zu einem waghalsigen Sprung in Richtung des Tunnels an, der etwa drei Meter breit war.
Zu seinem Erstaunen war ihm der Sprung relativ gut gelungen und er schwebte mittig durch den Durchgang, drehte sich um neunzig Grad und fand mit seinen Gravitationsstiefeln halt.
Genau in dem Moment, als seine Füße zu Boden kamen, schoss ein lautes Zischen des Team-Koms durch Murdocs Helm.
Er keuchte die für den Sprung angehaltene Luft laut aus, um sich von dem Schock abzulenken. Er hätte das Team-Kom auch ausschalten können, doch das wollte er nicht riskieren. Wer wusste, ob sich Giebels oder jemand von den anderen am Ende nicht doch noch meldete?
Murdoc hastete weiter den dunklen Tunnel nach oben. Die Zehn-Prozent-Grenze der Anzugenergie wurde soeben unterschritten. Er konnte es schaffen.
Er würde es schaffen! Von oben aus war es nicht mehr weit bis zum Extraktionspunkt. Aber was war mit Giebels? Sollte er nach ihm suchen? Verdammt, sollten sie ihn Feigling nennen, sollten sie ihn beschimpfen, was auch immer da oben passiert war, Murdoc wollte nicht das gleiche Schicksal erfahren wie die anderen, dessen war er sich sicher. Seine Anzugenergie würde sowieso nicht mehr reichen. Er musste zum Extraktionspunkt.
Wie ein Kribbeln am Rücken verspürte Murdoc wieder diese Präsenz, die hinter ihm alles zu verschlingen schien. Er schaute nicht zurück.
Die Pulslampe auf seinem Helm setzte kurz aus und ging wieder an. Einen Moment war er in absoluter Dunkelheit gewesen.
Nein, nicht meine Pulslampe. Nicht die Lampe! Die Lampe muss halten!
Die Standard-Pulslampen auf den Neutronengewehren oder an Cheops Mark IV Helmen der Kantongarde hielten vier Monate in brennendem Zustand. Diese Lampe konnte einfach nicht den Geist aufgeben.
Die Dunkelheit! Sie verschlingt dich und löst dich in Nichts auf!
Murdoc verscheuchte die singende Fratze mit den Katzenohren aus seinem Gedächtnis und rannte weiter.
Bald kam er dort an, wo Giebels und er Foster Lagebericht erstattet hatten, bevor sie den Kontakt zu dem Missionsleiter verloren hatten.
In dem Moment als Murdoc aus dem Tunnel heraustrat, setzte seine Pulslampe aus. Doch er hatte etwas gesehen. Den Umriss einer Gestalt, kurz bevor die Lampe ausgegangen war, direkt gegenüber von ihm.
Diesmal war Murdoc zu abgelenkt um Zeit für Angst zu haben. Instinktiv ließ er sich in die Hocke sinken und ließ seine Talusklinge ausfahren.
Die Pulslampe ging wieder an.
Da war die Gestalt vor ihm, etwa fünf Meter entfernt, reglos. Murdoc überlegte sich schon, ob er gleich angreifen oder warten sollte, doch die Stimme brachte ihn wieder zu Sinnen.
»John.«
Die monotone Stimme Giebels’ schien in Murdocs Helm zu echoen.
»Giebels! Oh Gott, Giebels, was bin ich erleichtert sie zu sehen! Giebels, ich habe den Fötus! Lassen sie uns von hier verschwi ...«
»John.« Giebels Stimme war fast doppelt so laut wie zuvor. »Sie sind alle tot, John. Alle. Foster, Lanzett, Akriba. Alle tot.«
Murdoc starrte ihn an. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, weil sich das Licht seiner Pulslampe auf Giebels Helm grell spiegelte.
Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas erwidern konnte, zerbrach Giebels Helm mit einem lautlosen Ruck und sein Kopf explodierte im Vakuum. Sein Cheops Mark IV Kampfpanzer sank langsam zu Boden und entblößte den dahinter stehenden Mörder. Ein menschengroßes Wesen, das Murdoc noch nie gesehen hatte, mit einer blutigen Klinge in der Rechten, legte den Kopf leicht schief und schien rückwärts in die Dunkelheit zu schweben und mit ihr zu verschmelzen, als wäre es nie da gewesen.
Murdoc hörte ein Wimmern. Die Tatsache, dass es sein eigenes war, riss ihn aus seinem Schockzustand. Hektisch und voller Anspannung beleuchtete er den Abschnitt, in dem er sich befand. Von dem Wesen war keine Spur zu sehen. Blutpartikel waren im Licht zu erkennen, die unendlich langsam zu Boden schwebten. Der Lichtstrahl streifte Giebels’ Körper, oder das, was von ihm noch übrig war. Murdoc drehte den Kopf schnell zur Seite und versuchte seinen Würgereiz zu unterdrücken.
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