Strandwesen
von
Dominik von Eye
Das Fahrzeug fegte auf dem Asphalt entlang Richtung Todeskurve. Die Bäume am Fahrbahnrand flogen links und rechts als verschwommene Silhouetten vorbei. Die Finger umschlossen fest das Lenkrad. Oft hatte er die Runden gemeistert, doch diese Kurve war eine besondere Herausforderung.
„Verdammt!“, kam es aus Jonas heraus, als sein Auto mit quietschenden Reifen ins Kiesbett schlidderte und dann gegen den am Ende der Rennstrecke stehenden Reifenstapel krachte.
„Diese Kurve kann man doch überhaupt nicht ordentlich schaffen. Oh Mann, jetzt kann ich das ganze Rennen noch mal fahren. Dabei war ich gerade so gut.“ Er nahm die Hände vom Lenkrad und öffnete das Spielmenü.
„Jonas, komm doch bitte vom Computer weg und runter in die Küche“, wurde er von seiner Mutter gerufen, „das Essen ist fertig“.
„Auch das noch. Immer im unpassendsten Augenblick.“ Jonas drückte auf ‚Rennen neu starten’ und rief Richtung Küche: „Komme gleich!“ Einen Rekord wollte er heute schließlich noch nach Hause fahren.
Aber wie es schien, hatte seine Mutter nicht allzu viel Geduld. Schon wenige Momente später, Jonas war noch nicht einmal die erste Runde des neu gestarteten Rennens zu Ende gefahren, stand sie auch schon hinter ihm.
„Ich glaube, ich muss dir nicht jedes Mal sagen, dass das Mittagessen kalt wird, wenn ich Dich extra holen muss“, sagte sie mit einem vorwurfsvollen und leicht enttäuschten Tonfall.
„Als ob mich das interessiert“, grummelte Jonas in sich hinein, während er aufstand und murrend in Richtung Küche stapfte. Sich aufzulehnen hatte sowieso keinen Sinn. Das hatte er schon so viele Male versucht, war aber immer wieder gescheitert. Eltern hatten einfach immer das letzte Wort.
Eigentlich war es ja auch egal, solange er endlich wieder an den Computer konnte, um das Rennen zu Ende zu fahren. Aber jetzt war wohl erst einmal Boxenstopp angesagt. Aus der Küche duftete es köstlich.
Franziska, die Mutter von Jonas, war eine ausgezeichnete Köchin und verstand es im Handumdrehen ein köstliches Mal auf den Tisch zu zaubern. Es gab eigentlich fast nie Tage an denen Jonas das Essen nicht schmeckte. Ausgesprochen ungern aß er Rosenkohl. Wenn es nach ihm ginge, müsste der nie wieder auf seinen Teller kommen.
Heute gab es allerdings ein lecker duftendes Schlemmerfilet mit Reis. Das liebte er über alles. Also nahm er zwei Teller, zwei Paar Besteck, Servietten und setzte sich erwartungsvoll an den Tisch. Seine Mutter nahm den Fisch aus dem Backofen und den Reis von der Kochplatte.
Kurz darauf hatte Jonas sein Mittagessen auf dem Teller. Er verschlang den Fisch mit der besonders leckeren Kruste, als hätte er drei Tage nichts zu Essen bekommen.
„Jonas, schling doch nicht so! Du bekommst nur Bauchschmerzen davon“, seufzte seine Mutter.
„Erst soll ich so schnell wie möglich zum Essen kommen und dann soll ich doch wieder langsam machen. Versteh einer die Erwachsenen“, nuschelte er kopfschüttelnd in sich hinein. Genussvoll nahm er erneut eine Gabelladung Fisch in seinen Mund.
„Wie war eigentlich die Schule, wo doch morgen die Sommerferien anfangen?“, fragte seine Mutter.
„Och, ganz gut“, sagte Jonas nicht besonders vielsagend.
„Was heißt ganz gut ? Wie war es denn genau?“, hakte sie nach.
„Naja, wir haben im Unterricht eigentlich mehr gespielt, als neuen Stoff durchzugehen. Und in den Pausen haben wir wieder den üblichen Quatsch gemacht. Ach ja, Amelie aus der 6b ist übrigens hingefallen und hat sich die Nase blutig geschlagen. Hat ganz schön geblutet. Auf dem Pausenhof konnten wir die Blutstropfen noch gut sehen.“
„Oh, dann hoffe ich, dass es Amelie bald wieder besser geht. Aber ich glaube, das ist doch kein so gutes Thema zum Essen“, beendete seine Mutter zur Freude von Jonas das langweilige Thema.
Schule ist sowieso nur dann spannend, wenn man dort ist. Zuhause hatte Jonas selten Lust alles noch einmal zu erzählen. Er ging jetzt in die sechste Klasse und war eigentlich mit dem, was er leistete, ganz zufrieden. Er war nicht der beste Schüler in der Klasse, konnte aber immer ganz gut mitmachen. Am liebsten war ihm der Sportunterricht. Hier konnte er immer zeigen, was er konnte. Er war schnell und konnte gut springen, was ihm bei vielen Spielen einen Vorteil verschaffte. Auch mit dem Ball konnte er gut umgehen. Das brachte ihm besonders beim Völkerball viele Sympathien ein. Doch mit Abstand am besten fand er das Trampolinspringen. Leider fand das nur besonders selten statt. Die Schule hatte zur Freude aller eines der großen Trampoline, auf denen man problemlos sehr hoch springen konnte. Selbst zu zweit springen war darauf kein Problem.
Jetzt standen aber erst einmal die Sommerferien vor der Tür. Sechs wundervolle Wochen keine Hausaufgaben, kein frühes Aufstehen und keine lästige Platzsuche im Schulbus. Endlich wieder jede Menge Freizeit. Jonas hatte sich in Vorfreude auf die Sommerferien immer wieder ausgedacht, was er alles in dieser Zeit machen könnte. Er könnte vielleicht wieder einmal eine Fahrradtour mit seinem Vater machen. Endlich den versprochenen Drachen bauen oder vielleicht einfach nur Computerspielen. Es gab zudem einige Bücher, die er noch lesen wollte.
Das Freibad hatte er schon die letzten Tage immer wieder besucht. Sicherlich würde er auch einige Ferientage darin verbringen. Dort traf er schließlich immer wieder Klassenkameraden, mit denen er dann wunderbar im Wasser spielen konnte.
Die Pausenspiele waren allerdings ein Grund warum Jonas ein bisschen traurig auf die Ferienzeit blickte. Denn es gab fast nichts, auf das sich Jonas mehr freute, als die Pausenspiele. Hier konnte er wie im Sportunterricht glänzen und war ein gern genommener Spielpartner. Es gibt ja nichts Schlimmeres als bei der Mannschaftsauswahl als letzter gewählt zu werden. Jonas tat es dann immer leid, wenn sich sogar Klassenkameraden darum stritten, wer Ulf als Teammitglied bekommen sollte. Ulf war im Sport nicht besonders gut und konnte eher schlecht mit dem Ball umgehen. Im Gegensatz zu Jonas hatte er allerdings keinerlei Probleme in Mathe.
Oftmals griff Jonas in eine unfaire Diskussion ein und sagte, dass Ulf in seinem Team spielen solle. Dann war ihm selbst das regelmäßige Stöhnen seiner Klassenkameraden egal. Jonas hatte einfach ein gutes Gefühl, Ulf ein bisschen geholfen zu haben.
„Wusstest du, dass Opa uns zu sich an die Nordsee eingeladen hat?“, fragte seine Mutter und riss damit Jonas aus seinen Ferienträumen.
„Äh, nö. Wieso denn zu Opa? Da waren wir doch schon ewig nicht mehr. Ich dachte ihr wollt mit ihm nichts mehr zu tun haben?“, entgegnete Jonas sehr erstaunt über die Aussicht zu seinem Opa zu fahren. Er hatte ihn sicherlich schon mindestens vier oder fünf Jahre nicht mehr gesehen.
Es hatte einen Streit zwischen Opa Hans und seiner Mutter Franziska gegeben, dessen Grund er nicht kannte. Jonas wusste nur, dass es daraufhin sehr lange keinen Kontakt mehr gegeben hatte, was für Jonas nicht weiter schlimm war, da er seinen Opa sowieso fast gar nicht kannte. Und die einzigen Male, an die er sich erinnern konnte, waren für Jonas eher langweilig. Sein Opa war ein bücherverliebter Mensch und ständig irgendwo vertieft in Büchern zu finden. Einzig die beeindruckende Comicsammlung seines Opas hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ohne Frage hatte Jonas seine Zeit damit verbracht, die Comics nach und nach durchzulesen.
„Ja, wir hatten unsere Differenzen, aber das hat ja nichts mit dir zu tun. Dein Vater und ich dachten uns, dass wir dich zu Opa bringen und dich dann eine Woche bei ihm lassen, damit ihr euch ein bisschen näher kennen lernen könnt“, erklärte ihm seine Mutter.
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