„Aber der liest doch ständig seine Bücher und hat ja doch keine Zeit für mich“, zweifelte Jonas.
„Ach was, da hast du einen falschen Eindruck von ihm. Er ist eigentlich ein sehr einfallsreicher Mensch. Mit ihm wird es dir sicherlich nicht langweilig werden.“
„Und der Drache, den ich mit Papa bauen wollte?“, fragte Jonas.
„Für den bleibt doch immer noch genug Zeit. Du hast ja nicht nur eine Woche Ferien. Ich bin mir sicher, dass Dein Vater auch schon ganz verrückt danach ist, etwas mit dir zu unternehmen. Aber er kann im Moment noch keinen Urlaub nehmen. Deshalb dachten wir, ist es doch bestimmt mal ganz schön für dich bei deinem Opa zu sein.“
„Na gut“, sagte Jonas und ging wieder in sein Zimmer. Eigentlich passte ihm die Idee ja gar nicht. Wie sollte er es nur eine ganze Woche ohne seinen Computer aushalten. Wer sollte denn die neuen Spielstände fortführen. Er war zurzeit dermaßen gut in dem neuen Spiel.
Außerdem kannte er seinen Opa doch fast gar nicht. Würde das nun eine Woche der Langeweile werden? Oh nein!
Jonas fasste den Entschluss die Fahrt zu seinem Opa, dem Bücherwurm, verhindern zu müssen. Irgendwas würde ihm ja wohl einfallen. Vielleicht eine schlimme Krankheit vortäuschen? Die würde es natürlich unmöglich machen, dass er in den Norden fahren müsste.
Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein breites Grinsen ab.
Allerdings und das kam ihm erst jetzt in den Kopf, müsste er wahrscheinlich allerlei ekelhafte Medikamente nehmen und dürfte sicherlich auch nicht an den Computer, sondern müsste im Bett liegen bleiben. Augenblicklich war seine gute Laune verschwunden.
Nein, er musste sich etwas anderes ausdenken, aber das hatte noch Zeit. Jetzt ging es erst einmal darum sich wieder um die ‚Todeskurve’ zu kümmern. Es wäre doch gelacht, wenn er das Rennen diesmal nicht gewinnen würde.
Mit einem ohrenbetäubenden Ton ging die Sirene los. Eine Tonfolge, die das Blut in den Adern gefrieren und sofort Gänsehaut auf den Armen entstehen ließ. Es war nicht die Schulglocke, das war klar. Doch wann hatte er dieses Geräusch schon einmal gehört dachte sich Jonas und erschrak. Es war der Feueralarm .
„Alle Kinder zusammen!“, rief die Lehrerin. „In Zweierreihe aufstellen und dann langsam die Treppe hinunter auf den Schulhof! Leon, kannst Du bitte alle Fenster schließen. Und Ahmed, leg sofort den Schulranzen ab, wir lassen alles hier liegen!“
„Oh Mann, was für ein Ereignis und das zum Schuljahresende. Hätte das nicht bei einer Arbeit passieren können?“, witzelte Anton, Jonas Sitznachbar.
„Ich finde das ja nicht so lustig. Was ist wenn’s wirklich brennt?“, erwiderte Jonas als die Schülerschlange mit schnellen Schritten losging.
Wenigstens waren alle wirklich in Zweierreihe losgegangen und nicht wie die wilden Hühner einfach losgerannt. Jonas hatte das schon oft beim Schulbus erlebt, wenn alle unbedingt und natürlich als Erster in den Schulbus wollen. Da kam es dann schon oft vor, dass alle zum Bus rannten und sich dann vor der Tür sammelten. Es drängelten alle so stark, dass erst einmal gar keiner durch die Tür passte. Und so dauerte es manchmal ziemlich lange, bis sich der Bus füllte. Gefährlich, wenn bei einem Feueralarm das Gleiche passieren würde wie vor dem Bus. Alle würden sich selbst blockieren.
Deshalb war Jonas bei solchen Dingen, obwohl er sonst eher ein chaotischer Typ war, sehr froh, wenn es diszipliniert ablief.
Als Jonas durch die Klassentür ging, hatte er das Gefühl einen beißenden Geruch in der Nase zu spüren. Kurz darauf schauten sich mehrere seiner Klassenkameraden fragend an. Es hatte wohl nicht nur er diesen beißenden Geruch, der im Schulflur lag, gerochen.
„Oh nein, wenn es jetzt doch ein echtes Feuer ist? Wir sind im dritten Stock!“, kam es angsterfüllt aus Anton heraus.
„Glaub ich nicht. War doch immer nur eine Übung“, erwiderte Ahmed kühl von hinten.
Klugscheißer dachte sich Jonas, der ist ja auch erst zwei Jahre dabei und wir hatten erst eine einzige Übung bisher .
„Los Kinder, nicht stehen bleiben!“, drängte die Lehrerin Richtung Ausgang. Offenbar war auch ihr der seltsame Geruch aufgefallen und sie wollte die Klasse endlich in Sicherheit auf dem Schulhof wissen.
Sie mussten den Flur ungefähr 50 Meter entlang in Richtung Treppenhaus gehen. Dieses war nochmal durch Glastüren vom Flur abgetrennt. Als sie vor der Glastür ankamen sahen sie schon, dass das gesamte Treppenhaus mit laufenden Schülern voll war. Aber sie mussten auch runter und so schob sich die Lehrerin an ihrer Klasse vorbei und ging durch die Tür. Sie bahnte ihrer Klasse einen Weg auf der Treppe nach unten. Das war gar nicht so leicht, da die Schüler der Mittel- und Oberstufe vom vierten Stock kamen.
Ungefähr auf Höhe des ersten Stocks konnte Jonas das leise Geräusch von Feuerwehrsirenen hören. Als er es ganz deutlich hörte, begann es in seinem Bauch an zu Kribbeln. Die Feuerwehr war im Anmarsch. Brannte es wirklich?
Wenig später waren sie auf dem großen Pausenhof angekommen. Er war ein großes Gelände, dass nicht nur dem Gymnasium, sondern auch einer Realschule in einem anliegenden Schulgebäude Platz bot.
Man hatte vom Schulhof eine sehr gute Sicht auf das gesamte Schulgebäude. So konnten die Schüler, die sich auf den festgelegten Klassentreffpunkten befanden, sehr gut die schwarzen Rauchwolken aufsteigen sehen. Sie kamen aus einem Klassenraum im vierten Stock.
Die Feuerwehr war inzwischen angekommen. Sie nahmen den Alarm sehr ernst und fuhren mit mehreren Löschfahrzeugen vor. Neben zwei Mannschaftsrüstwagen und einem Tanklöschfahrzeug war unter anderem ein Leiterwagen mitgekommen. Dieses Feuerwehrauto hatte für Jonas schon immer eine besondere Faszination. Einmal hatte er sogar das Glück bei einem Tag der offenen Tür im Korb eines Leiterwagens bis nach ganz oben mitzufahren. Er hatte eine super Aussicht und die Menschen am Boden wurden immer kleiner. Leider war dieser Ausflug wieder viel zu schnell vorbei.
Aber heute war kein Tag der offenen Tür. Hier war der Einsatzgrund nicht so lustig und geplant wie damals. Einige der Feuerwehrmänner rollten die Schläuche aus. Andere zogen sich Atemschutzmasken mit Sauerstoffflaschen über. Es war ein beeindruckendes Schauspiel.
Alle Schüler hofften, dass keiner mehr im Schulgebäude war. Nach kurzer Zeit gingen die Feuerwehrmänner mit den Atemschutzmasken ins Schulgebäude. Es mussten um die fünf oder sechs Feuerwehrmänner gewesen sein. Jonas konnte es nicht so gut erkennen. Schwer und laut atmend waren sie an Jonas vorbeigegangen. Was so eine Ausrüstung wohl wiegen mag?
Der Leiterwagen fuhr näher an das Gebäude heran. Kurz darauf hatten zwei der Feuerwehrmänner Platz in dem Korb gefunden. Nachdem die seitlichen Stützen des Fahrzeugs ausgefahren waren, setzte sich der Korb in Bewegung und wurde mit der Leiter nach oben gefahren. Die Leiter konnte die Höhe des vierten Stocks locker erreichen. Um den Leiterwagen standen weitere Feuerwehrmänner herum. Auf ihrer Kleidung hatten einige Bezeichnungen wie „Zugführer“ und „Fahrzeugführer“. Ständig wurden Lagemeldungen über die Funkgeräte weitergegeben. Jonas konnte aber nichts davon verstehen. Dafür waren sie zu weit von ihm entfernt. Zu gerne hätte er es mitgehört. Aber alle Schüler mussten dort stehen bleiben wo sie waren.
Obwohl Jonas sah, dass einige Schüler der Oberstufe vom Schulhof weggingen, ohne dass es ihre Lehrer bemerkten, sagte Jonas nichts. Dafür war der Einsatz der Feuerwehr viel zu spannend.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Feuerwehrmänner wieder aus dem Schulgebäude.
Der Brand war scheinbar nicht so schlimm, denn die ersten zogen sich bereits wieder die Masken vom Kopf. Jonas und seine Klassenkameraden schauten sich verwundert an.
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