Der Reaktor der Gefechtsstation ‚Terra 7‘ auf dem dritten Jupitermond im ‚Erbe des Lichts‘-System drohte nach einem Bombenbeschuss zu kollabieren.
Sein Soldatenkollege und Freund Mark Soldner befand sich noch im Isolationsraum um den Reaktor. Doch es konnte sich nur um Erdsekunden handeln, bis der Reaktor explodieren würde, einen Riss in die Hülle der Station reißen und alle 100 Soldaten der Station in den Weltraum schleudern würde. Deswegen hatte Giebels handeln müssen. Er hatte den Reaktorraum per Fernschaltung isoliert und den kollabierenden Reaktor mit einem Kühlplasmid, einer kühlenden Substanz, zum Stillstand gebracht. Die Substanz war in den Raum eingedrungen, hatte das Problem gelöst und seinen Freund vor Giebels Augen zu Eis erstarren lassen. Der flehende Gesichtsausdruck Soldners, der vor dem Fenster der Isolationstür zu Grunde gegangen war, hatte sich in Giebels Gedächtnis eingeprägt wie eine Gravur.
Seitdem war Giebels anders. Nach außen war er immer noch der spöttische Kettenraucher Giebels, doch innerlich hatte er sich verändert. Sein Handeln war das Produkt dieser Änderung.
Er erreichte das riesige Gewölbe, in das sich das Soldatenteam zu Beginn der Mission teleportiert hatte und wählte den Eingang in das Höhlensystem, das Foster mit Lanzett und Akriba genommen hatte. Giebels sendete Sonarstöße und entdeckte drei Objekte in mehreren hundert Metern Entfernung. Er setzte seinen Weg hastig fort und achtete kaum auf die Umgebung.
Er war gefeiert worden, hatte einen Orden für seine grandiose Rettungsaktion gekommen. Es hatte ihm absolut nichts bedeutet. Giebels hatte sich selbst versucht einzureden, dass er das Richtige getan hatte. Er hatte sich und alle anderen gerettet. Doch er wusste es jetzt besser, wie man sich fühlte. Er würde lieber selbst sterben als nochmals einen Freund im Stich zu lassen. Foster war sein Freund. Sie hatten schon viel zusammen durchgemacht. Giebels würde es sich nicht verzeihen können wenn ...
Er stockte.
War da gerade eine etwas vor seiner Pulslampe vorbeigehuscht?
Giebels hatte keine Angst. Er war einfach nur verdammt sauer. Auf Adelfing und die ganzen Andragon-Kantone, auf Murdoc, den Feigling, auf diese gottverdammte stinkende Höhle und auf das, was auch immer Fosters Team angegriffen hatte.
»Komm raus, du Mistvieh! Zeig dich, stell dich mir entgegen! Glaubst du ernsthaft ich fürchte mich?« Giebels realisierte, dass er alleine in seinem Helm brüllte und nichts nach draußen drang. Hektisch schwenkte er die Waffe hin und her und beleuchtete die Wände. Da war nichts.
»Ausgeburt der Hölle. Leg dich nicht mit Onkel Alfred an ...«, murmelte er nun unsicher und setzte seinen Weg fort. Während er voranschritt, drehte er sich mehrmals um und beleuchtete den Weg, den er gekommen war.
Langsam aber sicher wurde sich Giebels seiner Situation wieder bewusst und der Hochmut und die Wut wichen der heranschleichenden Angst.
Er durchschritt einen Durchgang und kam in ein hufeisenförmiges Höhlengewölbe. Er machte einen weiteren Schritt und stockte erneut. Der Gravitationsstiefel schien in etwas Weichem zu versinken. Doch bevor Giebels seine Pulslampe nach unten richten konnte, fiel der Lichtschein quer durch den Raum und ließ seinen Blick erstarren.
Murdoc fiel als erstes die Erhöhung des Bodens zentral in der Mitte des Gewölbeabschnitts auf. Mehrere Rinnen mit grünlicher, fluoreszierender Masse führten die Erhöhung von allen Seiten hinauf und liefen direkt im höchsten Punkt in einer Art Becken zusammen. Murdoc hatte mittlerweile die grünliche Masse als ungefährliche, eiweißhaltige Nährlösung identifiziert. Die genaue Funktion in Verbindung mit den Föten war ihm jedoch unbekannt.
In dem Becken in der Mitte der Erhöhung befand sich ein Objekt.
Murdoc wurde klar, dass es sich um einen Fötus eines Zodiacs – eines Sucherwesens aus Arym Var – handeln musste. Er führte einen letzten Sonarstoß aus, der keine Bewegungen zeigte. Nur die roten eierförmigen Objekte lagen unbeweglich wie pulsierende Bluttropfen auf Murdocs imaginärem Bild.
Den Blick starr auf das Zentrum des Gewölbes gerichtet, fasste sich der Soldat mit der einen Hand an den Rücken, wo sich der Kompaktbehälter befand. Mit der anderen Hand ließ er sein Neutronengewehr los, das langsam durch das Vakuum zu Boden sank.
Bei dem Kompaktbehälter handelte es sich um ein Transportgefäß, das alle Arten von Objekten transportieren konnte. So wie der Cheops Mark IV Kampfanzug gegen negative externe Einflüsse schützte, so konnte der Kompaktbehälter auch verstrahlte Objekte und ähnliche Dinge transportieren und nach außen abschirmen. Rein theoretisch konnte er sogar ein kleines schwarzes Loch transportieren. Er war nicht größer als ein normaler Spiel-Würfel und entfaltete bei Druckausübung auf eine der Würfelseiten sein volles Volumen.
Mit diesem Stück Technologie konnte Murdoc den Fötus transportieren.
Er entfaltete den Kompaktbehälter und nahm ihn am Griff, der sich nach dem Transformationsprozess an der oberen Seite des kubusartigen Objektes gebildet hatte.
Langsam bewegte er sich auf den Fötus zu und streckte seine rechte Hand aus, während er in der linken den Öffnungsschalter des Kompaktbehälters an dessen Griff betätigte.
In diesem Moment wurde Murdoc ruckartig nach hinten gerissen, so dass es ihm sämtliche Luft aus den Lungen presste. Völlig überrascht und fassungslos schaute er in die pechschwarzen Augen und das wulstige Gesicht eines Wächters – des fünften Wächters – der sich über seinem zu Fall gekommenem Körper aufbaute wie ein dunkles Gerüst aus Spinnenbeinen.
Wie ist er so schnell hergekommen, schoss es Murdoc durch den Kopf. Meine Waffe, ich brauche meine ...
Der markerschütternde Schlag eines Spinnenbeins traf seinen Helm und rammte ihn mit einem Krachen gegen den Boden des Gewölbes. Murdocs Kopf wurde gegen die Innenwand des Helms geschleudert.
Ihm wurde kurz schwarz vor Augen. Doch er wollte nicht sterben. Nicht hier, im düsteren grünlichen Licht der Höhle eines Asteroiden irgendwo im Aaron-Schwarm. Er fuhr seine Talusklinge aus, während der Wächter ihm mit seinen Spinnenbeinen zusetzte.
Er wollte zuschlagen, doch sein Arm bewegte sich nicht. Er stellte fest, dass der Wächter mehrere seiner Spinnenbeine auf seine Hand stemmte.
Murdoc biss die Zähne zusammen. Die Hand ließ sich nicht bewegen, der Wächter war zu stark. Murdoc wartete auf weitere Schläge auf seinen Helm, doch der Wächter schien seine ganze Taktik geändert zu haben. Langsam sank die graue Masse auf Murdoc herab, die den Körper des Wächters darstellte.
Weitere Spinnenbeine schienen ihn von allen Seiten zu umfassen, so dass sich Murdoc nicht mehr rühren konnte. Er war gefangen im festen Griff des Wächters.
Dann kam der Schmerz.
Murdoc schrie, bevor er realisierte, woher dieser kam. Der Wächter zog mit aller Kraft seine Spinnenbeine an sich, um ihn zu zerquetschen.
Der robuste, aber dennoch elastische Cheops Kampfanzug war aus einem Material, das jegliche Projektilkugel sowie diverse energetische Geschosse ohne weiteres abblocken oder absorbieren konnte wie eine kugelsichere Weste. Das Material verhärtete sich in dem Moment wo eine Kugel einschlug mit einer Geschwindigkeit, die schneller als die der Kugel selbst war und ließ diese einfach abprallen. Geschosse aus Energiewaffen, ob mit Plasma betriebene Waffen oder Tachyonlanzen, wurden weitestgehend absorbiert und nach Möglichkeit sogar in Anzugenergie umgewandelt.
Doch bei langsamem aber festem Druck wie in diesem Falle interpretierte der Anzug keine Gefahr.
Murdoc bekam keine Luft mehr. Sterne tanzten über sein Blickfeld.
Jetzt mach was, Soldat. Handle, sonst verreckst du. Die innere Stimme durchwehte Murdoc wie die Luft, die seinen Lungen entwich.
Читать дальше