In Wahrheit sah das Ganze jedoch so aus, dass die Führerparteien der Kantone auf die politischen und wirtschaftlichen Funktionen der unterschiedlichen Planeten neuer Systeme aus waren, um ihre Macht und die ihres Kantons zu erweitern. Es war also gewissermaßen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Kantonführer, die sich nach außen hin als sympathische und handelnde Politiker darstellten, in Wirklichkeit jedoch wenig am Gemeinwohl der Bevölkerung interessiert waren.
Über allen Kantonen stand der Andragon-Kanton-Zusammenschluss, kurz oft als ‚AKZ‘ bezeichnet. Es handelte sich dabei um die Fraktion, die die Andragon-Kantone zumindest versuchte zu überwachen, zusammenzuhalten und zu steuern, soweit dies hinsichtlich der Machtkämpfe möglich war.
Der AKZ war eine der mächtigsten, wenn nicht die mächtigste Partei in den bekannten Systemen seit dem Fall der ersten Erde, was auf ihren enormen Technologiegrad und flächendeckenden Einfluss auf verschiedenste Planeten zurückzuführen war.
Seit vor kurzem sein Vater Thorwald bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war, war Maurizius Ravenberg nun der neue Führer des Zusammenschlusses geworden. Thorwald Ravenbergs letztes großes Projekt vor seinem Tod war die Expansion in das Arym Var-System. Dieses war nach dem Fund der Bogenscheinportale eingeleitet worden. Damit brachte Thorwald der Menschheit die große Möglichkeit, in eine neue Galaxie zu expandieren und einen neuen Weg zu finden. Thorwald war ein sehr gläubiger Mensch und Anhänger des Post-Christentums gewesen. Er war immer bemüht gewesen, die Kanone zusammenzuhalten und Verhandlungssitzungen mit den Führern der Kantone zu organisieren, um einen einzigen großen ‚Andragon‘ zu schaffen, wie er es stets bezeichnet hatte.
Doch seit sein Sohn Maurizius Ravenberg an der Macht war, hatte sich nicht viel in dieser Hinsicht entwickelt. Kargan wusste nicht, was er von Ravenberg halten sollte, weil dieser seine Ziele eher im Verborgenen hielt. Kargan wusste jedoch, dass es nach wie vor Rebellenkantone gab, die Handelsstationen überfielen, Frachttransporter kaperten und sonstiges Unheil anrichteten.
Diese Tatsache gefiel ihm überhaupt nicht.
Doch auch für die ‚normalen‘ Kantone hatte er nicht viel übrig.
Die schmierigen, fettbäuchigen Pseudopropheten von Kantonführer benutzten anständige Menschen wie ihn, Kargan Saturon, dazu, ihre Ziele zu verfolgen. Das Schlimme war, dass er nichts daran ändern konnte, dachte Kargan.
Er stellte fest, dass sich sein mürrischer Gesichtsausdruck angesichts dieser Gedanken verstärkt hatte, als er in den kleinen schlichten Spiegel über dem Waschbecken sah. Er verstand in keiner Weise, weshalb irgendjemand Interesse an einem Planeten wie diesem haben sollte, auf dem er sich nun befand.
Als er beim Transportflug seines Teams in den Orbit die Oberflächenanalyse Infidelis’ begutachtet hatte, war ihm schnell klar geworden, dass seine Vermutungen berechtigt gewesen waren. Der Planet bestand zu neunundsiebzig Prozent aus reiner Rotsandwüste, der restliche Anteil waren lediglich Ödland, Hartsteingebirge und einige wenige Oasen, die sich in Äquatornähe befanden.
Andragon Outrange 15 war ein Prototyp für den Versuch des Karndalf-Kantons, mit möglichst wenig finanziellen Mitteln eine mögliche Ressourcenquelle zu ergattern.
Das Karndalf-Kanton war nur eines der vielen Kantone, die die Andragon-Kantone bildeten. Etwa siebzehn weitere Kantone waren in der ‚Erbe des Lichts‘-Galaxie und nun auch im Arym Var-System verteilt. Einige davon hatten Handelsverträge und Pakte mit anderen, andere wiederum waren verfeindet.
Kargan war die Station, die auf einer kaum merklichen Anhöhe inmitten der Rotsandwüste stand, schon von Anfang an unsympathisch gewesen. Das dunkle, aus Flarretstahl konstruierte Gebilde bedeckte etwa fünfzig Mal fünfunddreißig Meter des Wüstenbodens. Ein Erdgeschoss sowie ein Stockwerk darüber ragten zusammen mit einem sechzig Meter hohen Überwachungsturm aus dem Wüstenboden. Alles zusammen wirkte wie ein deformiertes Flugzeugwrack, wie Kargan befand. Unter der Erde erstreckte sich die Station über zwei weitere Kellerstockwerke in den Untergrund. Auf der West- und der Ostseite der Station befanden sich mehrere aufrecht stehende Betonblöcke, die eine Art Perimeter bildeten. Kargan vermutete, dass sie die Eingangsbereiche der Station vor den regelmäßigen kleinen, aber dennoch oft sehr heftigen Sandstürmen schützen sollten. Eine gefechtsbedingte Bedeutung konnte man wohl ausschließen, da sich im Umkreis von hundert Kilometern so gut wie nichts befand. Lediglich wenigen Lebewesen wie Zyanidskorpione oder Grummhyänen waren ab und an auf den Umgebungssensoren zu erkennen. Oder war es doch eine Maßnahme gegen ein eventuelles Rebellenkanton?
Kargan wusch sich sein Gesicht mit eiskaltem Wasser.
Das Innere der Station konnte dem Äußeren jedoch auch keine Konkurrenz in Sachen Komfort machen. Zentral im Erdgeschoss befand sich der große Besprechungsraum mit riesigen Plasmamonitoren und einem Tisch mit wenigen Stühlen. Dieser Raum war von Verbindungsgängen zu kleineren Kammern umgeben, in denen Lebensmittel oder Ausrüstung gelagert wurden. Des Weiteren war ein kleinerer Speisesaal im Erdgeschoss enthalten. Im Stockwerk darüber befanden sich neben den Spezialräumen ein Gemeinschaftsraum sowie die kleinen ungemütlichen Schlafräume für das Team.
Kargan grunzte leise bei dem Gedanken, dass es nur einen Duschraum für das komplette Team von 12 Mann gab.
Bei den Spezialräumen handelte es sich um die Arbeitsplätze, an denen der Großteil des Teams seine Zeit verbrachte. Vier Mitglieder waren für die konstante Oberflächenüberwachung und Analysierung sowie für die Geologie des Planeten zugeteilt, während vier weitere an dem Terraforming-Konzept arbeiteten. Der Rest des Teams bestand aus einem Techniker, einem Sicherheitsoffizier der Karndalf-Kantongarde sowie einer Ärztin.
Kargans Reich jedoch war der Kommunikationsturm, der zentral auf dem Gebäude saß. Er war für die reibungslose Kommunikation zwischen der Kantonfraktion, dieser Station sowie den anderen Stationen innerhalb der Teneib-Wüste verantwortlich. Der Turm war das einzig Gute an dieser Station, befand er. Man hatte eine phantastische Aussicht zu allen Himmelsrichtungen.
Am Spätnachmittag konnte man nach dem Abkühlen der Luft das Gorres-Massiv im Nordwesten erkennen, das sich wie eine riesige Mauer über den gesamten Horizont zog.
Kargan streifte sich missmutig seine Dienstkleidung über.
Er kannte niemanden richtig aus seinem Team. Er war auch nicht besonders interessiert daran. Er kannte nur einige Namen der Teammitglieder, seit sie vom Expeditionsleiter einander vorgestellt worden waren. Kargan wollte lediglich seine Zeit hier absitzen.
Ja, so konnte man es bezeichnen, dachte er sich. Absitzen.
Nach der Strafversetzung aus dem Mol Ondune Forschungszentrum für Asteroidengeologie hätte Kargan am liebsten einen interstellaren Gleiter gestohlen und wäre in den Zentral-Asphyx geflogen. Doch er war zur Vernunft gekommen.
Das Karndalf-Kanton hatte ihn gewissermaßen in der Hand und er war auch in finanzieller Hinsicht davon abhängig. Raul Densing, der Führungschef der Mol Ondune Research Institution, hatte Kargan mit verächtlichem Blick die Strafversetzung nach Infidelis angekündigt. Die Geschehnisse auf Mol Ondune hatte Kargan schon fast verdrängt.
Wenn er Raul noch einmal zu Gesicht bekommen würde, würde er ihn umbringen.
Zumindest, dachte Kargan, müsste er sich stark beherrschen, dies nicht zu tun.
Er bemerkte Bartstoppeln in seinem Gesicht, als er sich vor dem Spiegel abtrocknete.
Kargan war ein friedlicher Mensch. In seiner Kindheit hatte sich Kargan so gut wie nie geprügelt, weil es einfach nie dazu gekommen war. Doch Raul war zu weit gegangen. Er war ein korrupter Mensch, der trotzdem tun und lassen konnte, was er wollte. Mit Kargan war er noch nicht fertig.
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