Dies war jedoch nur eines der Dinge, die Kargan sorgen bereiteten.
Das Zischen der Luftdrucktür des kleinen Quartiers riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Frau sah mit verschlafenem Gesichtsausdruck herein. Sie hatte zerzaustes, seltsam schimmerndes grünliches Haar, welches ihr bis zu den Schultern herabhing. Sie trug eine Art Pyjama der weiß-blau gestreift war und viel zu klein wirkte. Sie war barfuß.
Die Hybridfrau, schoss es Kargan durch den Kopf. Er hatte zwei aus dem Terraforming-Team über sie reden hören. Sie hatten die Frau verächtlich lächelnd als halb-Mensch-halb-Pflanze-Schlampe bezeichnet. Kargan hatte keine Ahnung, was sie damit meinten, aber es war ihm zu diesem Zeitpunkt auch egal gewesen. Aber jetzt war das nicht der Fall.
»Was machst ... wie sind sie hier hereingekommen? Ich habe die Tür über die Nacht verschlossen!«, gab Kargan von sich und ärgerte sich über den Ton in seiner Stimme, der mehr beleidigt als wütend klang.
»Offensichtlich nicht«, antwortete die Frau beiläufig und gähnte ungehemmt und ausführlich, ohne sich die Hand vorzuhalten.
Kargan wandte sich von dem bizarren Anblick ab und fragte: »Und warum platzen sie hier herein? Ist ihnen klar, dass es mitten in der Nacht ist?«
»Na, ja«, antwortete sie. »Der Generator ging auf einmal aus ... Ich konnte nicht schlafen ...«.
Warum gähnst du dann als wärst du in der Tiefschlafphase gewesen, dachte Kargan.
»Das tut er ständig« knurrte er stattdessen. »Diese Station ist der reinste Witz. Aber sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« Er wandte sich ihr wieder zu und sah ihr direkt in die Augen. Sie waren hellgrün, stellte er fest. Irgendwie bizarr, unnormal. Pflanzenweib, schoss es ihm ungewollt durch den Kopf. Im nächsten Moment bemerkte er, dass er gerade seltsam aussehen musste, als er sie so anstarrte.
Sie schien es nicht zu bemerken. Zumindest ignorierte sie ihn und sagte nach einer kurzen Pause: »Es ... es tut mir leid, ich wollte nicht so hereinplatzen, es war nur ... Ich habe das Geräusch des Notstromgenerators gehört und habe vom Gang aus Licht in ihrem Zimmer gesehen.«
Sie sah jetzt munterer aus, als würde sie langsam wach werden.
Kargan wusste kurz nicht, was er antworten sollte und murmelte etwas Unverständliches, während er sich dem dunkelgrauen Spind in seinem kleinen Zimmer zuwandte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sich die Frau gegen den Türrahmen gelehnt hatte und aber nicht im Geringsten daran dachte zu gehen.
»Na ja. Da wir jetzt eh schon wach sind können wir uns die Sache ja mal ansehen ... Ich war gestern eh schon mal unten und hab den Generator nach einem Ausfall wieder aktiviert, während alle gemütlich geschlafen haben«, murmelte Kargan schließlich und fingerte ungeschickt die tragbare alte Pulslampe seines Vaters aus dem Spind. Sie rutschte ihm fast aus der Hand. Mist, dachte er. Er verstand selbst nicht warum ihn die Anwesenheit dieser Frau, deren Namen er nicht mal genau wusste, in Verlegenheit brachte.
»Wie heißen sie eigentlich«, hörte er sich selbst sagen, während er den Blick immer noch auf den Spind gerichtet hielt und so tat, als würde er etwas suchen.
»Nennen sie mich Anjiara. So nennen mich alle, mit denen ich zu tun habe.«
»Anjiara? Aber wie richtig? Also ... Ich meine«, Kargan wurde unsicher als er sah, wie die Frau mit den hellgrünen Augen den Blick senkte.
»Experimente haben keine Menschennamen«, erwiderte sie mit einem spöttischen und zugleich traurigen Unterton in der Stimme. »Meine echten Eltern? Die habe ich nie kennen gelernt. Deshalb kein Name.« Sie sah wieder zu ihm auf.
»Das tut mir leid ... ich wusste nicht ... ich wusste nur ...«, stammelte Kargan, der sich mit einem Mal äußerst unwohl fühlte.
»Ist schon in Ordnung. Hab’ mich schon dran gewöhnt. Und sie sind Kargan Saturon.« Sie lächelte leicht.
Kargan grinste dümmlich und versuchte sich dann aber zu fassen. »Ja. Der bin ich.« Er merkte, wie er sich schon wieder blöd vorkam und fügte schnell in pseudokumpelhaftem Ton hinzu: »Gut Anjiara! Dann wollen wir mal nachsehen, was mit dem guten alten Generator wieder los ist.«
Fehlschlag auf voller Linie, dachte sich Kargan und zwängte sich ungeschickt an der Frau vorbei, die immer noch im Türrahmen lehnte. Dabei fiel sein Blick unabsichtlich auf ihre Oberweite, die sich durch den Pyjama abzeichnete und die, wie Kargan befand, nicht übel bestückt war. Aus dem Augenwinkel sah er, dass ihr Blick ihm folgte, während er in den Gang außerhalb seines Quartiers schritt.
Verdammt, sie hat es gesehen. Du Idiot, was denkst du dir eigentlich, reiß dich endlich zusammen und benimm dich nicht wie ein Clown, dachte Kargan und verdrehte die Augen.
Er bewegte sich schnell in Richtung der Treppe, was bei dem schwachen dunkelroten Licht, das durch den Notstromgenerator aktiviert worden war, gar nicht so einfach war. Er drehte sich nicht zu Anjiara um, um einem möglichen weiteren Missgeschick zu entrinnen. Er hörte lediglich, dass sie ihm langsam tapsend folgte.
Was Kargan an der Station auch nicht leiden konnte, war der seiner Meinung nach konfuse Grundriss. Die Treppe führte nicht durch alle Stockwerke sondern lediglich ins Erdgeschoss. Von dort aus musste man quer durch den Besprechungsraum in den gegenüberliegenden Gang, von wo aus man eine weitere Treppe in die Kelleretagen nehmen musste.
Als Kargan die letzte Stufe erreicht hatte und sich lässig um das Geländer herum in Richtung des Besprechungsraumes schwingen wollte, rutschte er mit dem linken Fuß ab und konnte sich gerade noch am Geländer abfangen. Dabei verlor er die Pulslampe seines Vaters, die mit einem lauten Geräusch über den Metallboden rollte.
Kargan fluchte in Gedanken.
»Mann, ist das dunkel hier. Das ist ja lebensgefährlich«, versuchte er abzulenken, doch in dem Moment fiel sein Blick auf die zu Stillstand gekommene Batteriepulslampe und er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Wenn ich sie jetzt anschalte, fällt es erstrecht auf, dachte sich Kargan, während er die Lampe vom Boden aufhob.
Von Anjiara, die hinter ihm die Treppe heruntergekommen war, war lediglich ein verhaltenes Kichern zu vernehmen.
Kargan versuchte das Ungeschick zu vergessen und ging zügig durch den Besprechungsraum mit den großen Plasmamonitoren. Als er den Durchgang zu dem dahinter liegenden Gang erreicht hatte, überlegte er sich etwas zu sagen, um die unangenehme Stille zu brechen.
»Was genau ist ihre Funktion im Team, Anjiara?«, fragte er, als er die Treppe ins Kellergeschoss erreicht hatte.
»Wie wär’s mit ‚du‘ ?«, antwortete sie und grinste.
Kargan stand auf dem Schlauch. »Äh, wie jetzt?«
»Was genau ist deine Funktion im Team, Anjiara.« Sie grinste immer noch.
»Ach ... so!« Kargan lachte verlegen und schaltete seine Lampe ein. »Ja natürlich. Also Anjiara, was ist deine genaue Funktion im Team?« er ging die Metalltreppe in das erste Kellergeschoss hinunter und leuchtete den Weg mit der Lampe ab. Hinter sich hörte er die tapsenden Schritte von Anjiara.
»Ich bin einer der vier Wissenschaftler im Terraforming-Team. Marcus Werland ist dort auch Teamleiter.« Sie strich sich die zerzausten Haare glatt.
»Werland?« Kargan wendete und betrat die zweite Treppe die in das unterste Kellergeschoss hinunter führte. »Tut mir leid, aber Namen sagen mir nichts ... wer ist das?« Er erreichte das unterste Geschoss und leuchtete kurz mit der Lampe hin und her.
Erneut grinste Anjiara. »Der Expeditionsleiter.«
Kargan zog eine Braue hoch. »Oh.« Er zuckte fast unmerklich mit der Schulter und betrat einen Seitengang, der zum Generatorraum führte.
»Und wie ist es dann so, als Funkoffizier oben im Kommunikationsturm ganz alleine zu arbeiten? Schon Signale von einer unbekannten Alienspezies empfangen?« Sie kicherte kurz und sah Kargan mit leicht schief gelegtem Kopf an.
Читать дальше