19° 12’ 54.42’’ S / 140° 19’ 47.43’’ O – Four Way, QLD Das Lynd & Parker Roadhouse war eine typische Raststätte, wie man sie im Outback von Queensland antraf. Da sie vielen Zwecken genügen musste, gab es hier auch eine Public Bar mit Spielautomaten, ein Restaurant mit Counter Meals und einen kleinen Supermarkt. Das Rasthaus bot ein paar Motelzimmer und einfache Schlafkabinen mit Klimaanlage für diejenigen an, die von der Dunkelheit überrascht wurden und lieber auf den nächsten Tagesanbruch warten wollten, um ihre Reise ausgeruht fortzusetzen. Eine Tankstelle mit Werkstatt gehörte genauso hierher wie Toiletten und Waschräume mit Duschen. Und natürlich gab es öffentliche Telefonzellen, gleich neben einem kleinen, schattigen Kinderspielplatz. Hinter dem Roadhouse standen einige bewohnte Caravans und ein Zelt. Von dort wehte die Luft einen unangenehmen Kohlgeruch herüber, der nur von Cabbage Trees stammen konnte. Auf dem Parkplatz davor drängten sich im Schatten einiger hoher Eukalyptusbäume ein paar Autos. Zwei Road Trains mit jeweils drei Anhängern parkten etwas entfernt an der Straße. Zahlreiche Four Wheel Drives waren neben dem Hauptgebäude unter einem Wellblechdach geparkt. Die Motorhaube eines Fahrzeugs stand offen. Aber niemand war zu sehen. Das Roadhouse trug seinen Namen, weil nicht weit von hier John Lynd und William Parker auf ihrer Expedition vom Süden des Kontinents hinauf zum Carpentaria Golf und zurück am 4. Mai 1859 ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die beiden Entdecker erreichten zwar ihr Ziel im Norden, sie kamen jedoch auf dem Rückweg in der Nähe der Grenze zu Südaustralien um. Dianne stand interessiert vor der Tafel, die an diese beiden Männer erinnerte, die ebenfalls ein Teil der Entdeckung Australiens und ihrer Geschichte waren. Aber das war wieder ein anderes Kapitel. Sie war mit den anderen im Auftrag von Jonathan Miller unterwegs, um mehr über die Umstände des Verschwindens von Kramer herauszufinden. Als Dianne das Gebäude erreicht hatte, öffnete sie die Tür zum Restaurant und ging hinein. An einem der zusammengeschobenen Tische saßen Richie und Hans über ihre Karten gebeugt und versuchten, ihre umfassenden Kenntnisse so zu koordinieren, dass sie für ihre eigene Expedition einen Sinn ergaben. Bisher schien dieses Konzept aufzugehen. Sie hatten den Baum am Alice River untersucht und tatsächlich eine uralte Einkerbung wieder sichtbar machen können. Diese Entdeckung hatte einen Umweg hier herauf in den Norden Queenslands nach sich gezogen. Der Sponsor beharrte darauf, dass das Team noch einen zweiten und dritten Beweis lieferte, damit der Scanner vorzeitig in Serie gehen konnte. Richie kannte noch Plätze am Mackenzie River und am Julia Creek, an denen Kramer seine Markierungen hinterlassen hatte. Er wollte sie zügig testen, um dann frei zu sein für die eigentliche Suche. Der Scanner sprach auch auf diese beiden extrem verwitterten Einkerbungen der ersten und zweiten Reise eindeutig an. Und so erklärten Richie und Jim die Testphase für beendet, als der Konstrukteur sein Okay gab. Nun würden sie zügig weiter nach Nordwesten fahren, um dort auf eine weitere, erhoffte Spur zu stoßen. Immerhin waren dem Team verschiedene Stellen aus Kramers eigenen Skizzenbüchern bekannt, sodass sie den Scanner sicher noch ein paarmal testen konnten, bevor es keine dokumentierten Beweise mehr gab, sie sich nur noch auf vage Indizien stützen konnten und auf ihre Intuition angewiesen waren. „Genau, wenn wir wieder auf einen von Kramers Lagerplätzen treffen wollen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, noch etwas Brauchbares zu finden, wohl am größten...“ Hans deutete auf einen Punkt in der Karte: „…hier.“ Dianne verfolgte die Unterhaltung der beiden, um sich selbst ein umfassenderes Bild des Mannes zu machen, den sie zu finden hofften. Sie stand so, dass sie die Karte auch einsehen konnte. Hans zeigte genau auf den Ort, von dem sie wusste, dass er sie in das Gebiet der Yangman, Jawoyn und vielleicht auch der Mangarayi führen würde. Auf jeden Fall lag der Punkt im District Fitzmaurice. Dianne hatte keine Ahnung, warum ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Aber sie war schließlich die Expertin auf diesem Gebiet. Die Aborigine-Stämme und Clans waren einfach ihr Metier. Sie hoffte sehr, nach ihrer Rückkehr die fehlenden Puzzlesteine gefunden zu haben, und damit die entscheidenden Anhaltspunkte in ihre Doktorarbeit einfließen lassen zu können. Noch war sie tausende von Meilen von Newcastle entfernt, und sie fühlte sich mindestens ebenso weit weg von den fehlenden Antworten. Bis jetzt wusste sie nicht einmal so recht, worauf sie überhaupt eine Antwort suchte. „Und wie weit ist es bis dahin?“ Richie, der so vertieft war in die Karte, dass er ihre Nähe gar nicht bemerkt hatte, schaute überrascht zu ihr auf. „Wir sollten es eigentlich bis spätestens übermorgen schaffen. Das kommt aber auf den Zustand der Piste an.“ Auch Hans ließ für ein paar Augenblicke die Überlegungen ruhen, schaute sich um und lächelte ihre Begleiterin freundlich an. „Wo hast du Jimmy gelassen?“ „Er wird gleich kommen. Irgendwas ist mit dem Motor.“ „No.34.“ Eine Stimme tönte hinter der Theke in den Raum hinein. Niemand reagierte. „Steaksandwich mit viel Zwiebeln.“ Es geschah nichts. Die Bedienung wiederholte die Nummer. „Hier... ich bin das.“ Richies Blick fiel auf einen Bon. „Bitte entschuldigt mich einen Moment.“ Er meldete sich und stand eilig auf, um sein bestelltes Essen abzuholen. Mit schmutzigen Händen kam Jim zur Tür herein und rief in die Richtung, in der sie alle saßen. „Die Luftfilter sind total verstopft. Ich mache sie nur schnell sauber. Dann bin ich da. Wer bestellt mir in der Zwischenzeit eine große Cola und ein Steaksandwich mit viel Zwiebeln und Chips?“ „Ich mach das, Jimmy.“ Annette hatte sehr schnell das Wort ergriffen. Sie war froh, dass sie endlich etwas tun konnte. Sie kam sich in diesen ersten Tagen zunehmend nutzlos vor. Irgendwie war die Reise lückenlos geplant. Das war sie einfach nicht gewohnt. Und sie fragte sich, ob sie auf diesem Trip jemals zum Einsatz kommen würde. Mit dem Fahren war das auch noch so eine Sache. Bill nervte sie mit seiner ewigen Kritik an ihrem Fahrstil. „Ich verspreche, ich beeile mich auch.“ Jim zwinkerte Annette zu und verschwand mit seinen ölverschmierten Händen wieder nach draußen. Mit ihrem Blick folgte Annette ihm durch das Fenster bis zu der offenen Motorhaube. „Du kannst es wohl nie lassen. Wir sind gerade mal eine Woche weg von zuhause, da hast du schon allen Männern in Australien den Kopf verdreht.“ Hans beobachte scheinbar argwöhnisch, wie Annette das Interesse von Jimmy und Richie bereits auf sich gezogen hatte. Dabei wusste er ziemlich sicher, dass sie nur mit ihnen spielte. Diese Frau war seiner Meinung nach zu einer wirklichen und tiefen Beziehung nicht fähig. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Hans plötzlich ein Gefühl von Eifersucht an sich entdeckte, das ihm bisher verborgen geblieben war. „Also, ich sehe nur zwei... und dich natürlich, mein lieber Hans!“ Annette war aufgestanden, um das Essen für Jim zu ordern. Im Vorbeigehen beugte sie sich nun zu ihrem Lebensgefährten hinunter und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Richie hatte herzhaft in sein Sandwich hinein gebissen. Ein paar Zwiebeln quollen seitlich heraus, und Fett tropfte auf den Teller. Als sein Mund wieder halbwegs leer war, mischte er sich in die Unterhaltung ein. „Also, ich finde, du gehst ein bisschen zu weit, Hans. Annette war dir doch bis jetzt treu. Warum sollte sich daran etwas ändern?“ „Nimm sie nur in Schutz, Richie. Sie weiß ganz genau, was ich meine.“ Richie schluckte den Bissen jetzt ganz hinunter und lächelte leicht verunsichert. „Sag mal, du bist doch jetzt nicht etwa auch eifersüchtig?“ „Wer hat die No.35? Nachos mit Käse und Guacamole, extra scharf...“ Lächelnd meldete sich Hans, der diese Nummer vor sich liegen hatte. „Hier... Ich komme.“ Er griff den Zettel und ging zum Tresen, nahm sein Essen in Empfang und trug den Teller zu seinem Platz, während Dianne ihre Bestellung erkannte, sich unaufgefordert erhob und zur Theke ging. „Sagt mal, wie halten wir das eigentlich mit dem Waschen? Ich dachte mir, wo ich momentan sowieso nichts Besseres zu tun habe, könnte ich doch unsere Klamotten waschen. Wir sind schon seit Tagen unterwegs. Und dieser Staub ist inzwischen überall. Ich habe neben dem Waschraum hinten eine Waschmaschine entdeckt. Sie funktioniert. Ich habe sie getestet. Und ein Bügeleisen ist auch da. Wer weiß, wann sich uns wieder so eine Gelegenheit bietet?“ Annette blickte in sprachlose Gesichter. Dianne hatte inzwischen ihr Essen abgeholt. Sie stellte ihren Teller und das Glas mit dem Sodawasser ab und setzte sich auf einen der vier noch freien Stühle, bevor sie in die Runde schaute. Niemand sagte etwas. „Habe ich vielleicht etwas verpasst oder was Unpassendes an mir?“ Dianne sah an sich hinunter, konnte jedoch nichts erkennen, was darauf hindeutete. „Oder was hat euch so die Sprache verschlagen?“ „Ach, Annette und ihr Waschfimmel haben sich eben zu Wort gemeldet. Wir sind kaum unterwegs...“ Hans wendete sich an seine Freundin. „Außerdem hat Jimmy sich dieses Problems, falls es eines ist, sicher längst angenommen.“ So schnell wollte sich Annette nicht geschlagen geben, schon gar nicht von Hans. „Dann rede ich eben mit Jimmy.“ Sie schaute hinaus und sah ihn mit dem Oberkörper bis zu den Hüften in der Motorhaube des Wagens stecken.
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