Ihre Fröhlichkeit steckte die Übrigen am Tisch an. Paddy suchte in seiner Tasche nach Kleingeld, um an der Bar ihre Drinks zu holen. Diannes Haare waren ein wenig zerzaust. Sie wollte sich gerade setzen, als Bill mit einem gefüllten Bierglas zurückkam.
„Na, Frau Professor. Wie fickt er denn so, dein schwarzer Ranger?“
Auch Paddy hörte die Bemerkung, denn Bill hatte sie laut genug geäußert. Er drehte sich auf dem Absatz um und ging drohend die wenigen Schritte, die sie trennten, auf den Angetrunkenen zu.
„Du bist ein Riesenarschloch, Bill, weißt du das?“ Wütend schrie Dianne ihn an. Erst im letzten Moment hielt sie den Ranger zurück, bevor er dem Mann an die Gurgel gehen konnte.
„Bill, halt dein verdammtes Maul! Du bist eine Zumutung, wenn du getrunken hast.“ Jim war auch aufgesprungen und mischte sich fast gleichzeitig ein. „Kann es dir überhaupt jemand recht machen? Und lass es nicht permanent an einem von uns aus, wenn du nicht darüber hinwegkommst, dass dir deine Frau weggelaufen ist! Was Dianne und Paddy miteinander haben, geht dich überhaupt nichts an! Und wir sind hier auch sonst nicht im Kindergarten! Merk dir das endlich!“ Jim war außer sich vor Zorn. Schon seit Beginn ihrer Reise war ihm Bills negatives Benehmen ein Dorn im Auge. Mit seiner letzten Beleidung hatte er eindeutig eine Grenze überschritten. Damit war auch Jim der Kragen geplatzt.
Bill sagte keinen Ton, trank sein Glas in einem Zug leer und knallte es auf den Tisch.
„Ach, macht doch euren verdammten Mist alleine!“ Er erhob sich ein bisschen unsicher und torkelte die wenigen Stufen hinunter. Alle Gäste schauten ihm betroffen und kopfschüttelnd hinterher, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte.
„Von allen guten Geistern verlassen, dieser Mensch.“ Paddy hatte sich schon wieder beruhigt. Er stand neben seiner Liebsten und hatte den Arm um ihre Taille gelegt. „Ein armer Irrer!“ Der Aborigine konnte sicher sein, dass im Augenblick alle so dachten, die die Szene mitbekommen hatten. Dianne schüttelte verständnislos und wütend den Kopf.
„Manchmal widert dieser Kerl mich einfach an. Und ich werde wohl nie verstehen, warum Onkel Jonathan ausgerechnet ihn angeheuert hat.“ Dann ließ sie sich endlich auf ihren Stuhl fallen und begann, ihre erfreulichen Neuigkeiten zu erzählen, die sie noch gar nicht hatte loswerden können. „Ratet mal, wem wir unterwegs begegnet sind?“ Sie ließ ihren Blick in die Runde schweifen. „Ich wette, ihr kommt nie drauf!“ „So, wie ihr ausseht?“ Jim lachte laut. „Dem Terminator?“
Nach allem, was ich zu Beginn meiner Reise wissen konnte, war ich davon ausgegangen, dass mein Weg mich zunächst nach Nordwesten führen würde, bevor ich ihn auf der Länge von Port Essington nach Südwesten fortzusetzen beabsichtigte. Sobald ich die Tropen bei etwa 23° erreichte, wollte ich mich nach Westen wenden und in dieser Breite die Wüste umgehen, die schon Captain Sturt Jahre zuvor auf seinem Weg vom Süden herauf hatte scheitern lassen. Mein Wissen um die zahlreichen Flüsse hin zum Carpentaria Golf, die ich schon einmal überquert hatte, gab mir auch weiterhin Selbstvertrauen. Sie würden meiner Expedition das Leben spendende Wasser garantieren, das unser weiteres Vorwärtskommen sehr erleichterte. Offen blieb indessen, wie weit südlich diese Flüsse entsprangen. Ich war zuversichtlich, was diesen Punkt betraf, und so gab ich das Zeichen zum Abmarsch. Mein Tross setzte sich erneut langsam in Bewegung.
Da ich die Tropen längst überschritten hatte und mich etwa auf 20° südlicher Breite befand, bewegte ich mich sehr viel weiter nördlich, als ich das ursprünglich beabsichtigt hatte. Ich konnte immer dem Wasser folgen, seitdem ich den Welfare und seine Zuflüsse verlassen hatte. Dadurch hatte ich mehr Zeit benötigt. Die Vorratshaltung tat ein Übriges. Bisher sah ich mich dennoch in meinem Vorhaben bestärkt, und es blieb abzuwarten, welchen Weg meine Expedition vorfinden würde auf ihrem weiteren Vordringen bis zum Indischen Ozean.
Mein Ziel war der Swan River. Ich könnte nach eigener Einschätzung wohl noch zwei Jahre benötigen, um dorthin zu gelangen. Was auch immer geschah: ich würde meinen Traum wahrmachen: Und dieser Traum war und blieb die Durchquerung des Kontinents von Osten nach Westen.
14° 27’ 38.80’’ S / 132° 15’53.52’’ O – Katherine, Aboriginal Community Health Forum Diannes und Paddys gemeinsam erlebte Geschichte löste eine neue Diskussion bei ihren Zuhörern aus. Nun gab es schon zwei unerwartete Zusammentreffen mit Kramers Expedition, wenn es sich ganz offensichtlich auch um verschiedene Reisen handelte. Diese neue Ausgangslage verlieh dem verantwortlichen Leiter ihrer Suche wieder das Selbstvertrauen, die weiteren Planungen für die nächsten Tage festzulegen. Und die Orte aufzusuchen, die er gemeinsam mit Hans anhand der alten Aufzeichnungen ausgewählt hatte, weil sie ihm den größten Erfolg versprachen. Ihre eigenartige Jagdbegegnung im Nature Park am Tag zuvor gab für die Ethnologin aus Newcastle und den Ranger aus den Kimberleys den Anlass, weiter nördlich nach Spuren von Kramers Expedition zu fahnden. Paddy kannte einige der Aborigines in der Umgebung von Katherine. Sie gehörten fast alle zur Stammesgruppe der Jawoyn. Also regten die beiden einen Umweg an, der das Team höchstens einen halben Tag kosten würde. Sie verließen Mataranka früh und fuhren nach Katherine. Inzwischen hielten sie sich schon eine gute Stunde im Ort auf. Richie Schwarz hoffte bislang jedoch vergeblich, in den ansässigen Communities ein paar Aborigines zu finden, die ihm brauchbare Hinweise über Kramers Verschwinden geben konnten. Oder wollten. Hier schlug der Crew stattdessen eine weithin spürbare Feindseligkeit schon bei der Erwähnung des Namens entgegen. Die Skepsis und das Misstrauen gegenüber den Weißen waren in jedem Winkel der Stadt zu spüren.
Sobald sich Hans und Richie dem Gesundheitszentrum zu Fuß näherten, zerstreuten sich wie auf Kommando alle anwesenden Aborigines und verschwanden in ihren eigenen Behausungen. Dort sah man sie dann in Gruppen sitzend lautstark lamentieren und die Weißen aus sicherem Abstand beobachtend. Für Hans war es ein Schock, diese Ablehnung so hautnah zu erleben.
Ihm kam es vor, als fasste man hier in Watte, als hätte sich im Verständnis zwischen den Kulturen von heute und zu Anfang der Besiedelung des Kontinents nicht viel verändert, als sei an diesem Ort der Umgang miteinander von altem Hass und den Vorbehalten der Ureinwohner gegen die Weißen, alle Weißen geprägt. Hans hatte davon gelesen, aber hier fühlte sich dieser Konflikt doch wieder ganz anders an. Zweifellos rührten die alten Ressentiments von der Rücksichtslosigkeit der britischen Eindringlinge her, die schon damals alles für sich beanspruchten und nie auch nur ansatzweise gefragt hatten, ob sie willkommen waren. Im Gegenteil. Sie ließen den Aborigines immer weniger Möglichkeiten, sich von ihrem eigenen Boden zu ernähren. Als Nomaden waren sie es gewohnt, im Land umher zu ziehen und zu wissen, wo sie wann etwas Essbares für sich und die Familien fanden. Ein Lebensrhythmus, der sich über Tausende von Jahren manifestiert hatte, wurde fast über Nacht in Frage gestellt, als die ersten Weißen in Sydney ihren Fuß auf diesen Kontinent setzten und von da an Stück für Stück die fruchtbarsten Territorien in Besitz nahmen.
Die hier und jetzt unübersehbare Verwahrlosung und die vielen Gescheiterten im Straßenbild von Katherine lieferten plötzlich auch für den Ururgroßneffen des Entdeckungsreisenden einen eindeutigen Beweis für die Entwurzelung der Aborigines aller verlorenen Generationen der letzten beiden Jahrhunderte. Aber war wirklich sein Vorfahr der einzig Schuldige an diesem alten Verbrechen, das im neunzehnten Jahrhundert keineswegs als Verbrechen galt, sondern ein Indiz für die Macht des Stärkeren war? Die Erwähnung des Namens Kramer löste hier jedenfalls überall schroffe Ablehnung aus.
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