In Ägypten dachte man in Ewigkeiten. Er suchte und fand Passendes. Balken aus dem Kernholz der Bäume geschnitten. Für das geplante Volumen seiner Büste. Knapp zwei Handspannen im Quadrat. Entdeckte Esche, Akazie, Tamariske, Maulbeerbaum. Drehte sie um und betrachtete sie von allen Seiten. Roch an ihnen. Schnitt einen Streifen ab, die Schnitzfähigkeit zu testen. Strich nochmals darüber mit wissender Hand. Fühlte die Masse dahinter, den festen Kern des Holzes. Flüsterte ihre Namen, als betete er zu Göttern. Die Tamariske ist es. Fest unter seinem Griff. Spürte Entgegenkommen in seinen Fingern. Hörte die Stimme Osiris: „Nimm die.“
Jeder, der ihre rosigen Blütenwolken einmal gesehen hat, weiß: das richtige für eine Königin. Er ließ sich den ganzen ausgewählten Balken liefern. Obwohl ihm ein halber Meter genügt hätte. Plötzlich unsicher, ob ihm das Bildnis Tejes auf Anhieb gelingt.
Zuvor noch prüfte er seine Werkzeuge. Ein neuer Beitel sollte her. Riskierte einen mit eiserner Klinge. Erster Versuch einer Kupferhütte, die er sehr schätzte. Eisen soll härter sein, vor allem länger scharf bleiben. Nicht lange, und das Nebenprodukt bei der Schmelze von Kupfererzen wird die Bronze ablösen. Die anderen Werkzeuge traditionell aus legiertem Kupfer und Zinn. Säge, Meißel und Dechsel zum Glätten konnte er leicht selbst nachschleifen und schärfen. Ließ sich Zeit. Dachte, nur wenn ich gut ausgeruht bin, gelingt das Werk. Dabei plagte ihn Unsicherheit, Teje im Kopf. Nahm sich vor, Schritt für Schritt vorzugehen. Und dumme Gedanken zu verdrängen.
Sägte eine Ellenlänge ab. Klemmte das Holzstück in eine Art Schraubstock. Mit der flachen Seite nach vorn. Hockte sich davor, als verehre er eine Unsichtbare. Suchte mit kritischem Blick die Stelle, an der er am besten beginnen könnte. Entschloss sich, im unteren Drittel mit der Säge rechts und links überflüssige Masse aus dem Stück herauszuschneiden. Genau da, wo unter dem Kinn der Hals in den Sockel übergeht. Mit dem Messer wäre es viel mühsamer gewesen. Schnitt mit dem gebogenen Messer die Kanten weg. Erste Rundung zeigt sich. Vorsicht, nicht zu viel. Was weg ist, ist weg. Darüber der Kopf noch ein grober Stumpen. Das Gesicht nur eine Idee in seinem Kopf.
Womit beginne ich? Fragte er sich. Das Tonmodell betrachtend. Freue mich, dass Hoheit mein schmaleres Gesicht gut fand. Automatisch fasste seine Linke das Stecheisen fester. Die Rechte den Holzhammer. Jetzt darf nichts schiefgehen. Die Späne lösten sich unter den Schlägen, fielen herunter. Einer nach dem anderen. Wie Gedanken fallen, die gedacht sind, fiel ihm ein. Schnitt weiter, bis die grobe Form sich bildete. Von der Schläfe entlang der Wange bis an das Kinn. Auf der anderen Seite ebenso. Glättete die Flächen mit einem gebogenen Messer. Ihm war, als streichelte er sie. Sanft, so unendlich sanft, doch auch kraftvoll und genau wie dieses Messer entlang der Haut. Verfolgte diesen Gedanken, bis ihm schwindelte.
Reiss´ dich zusammen, befahl er sich. Wieder ganz ernsthafter Künstler. Konzentriert und kritisch. Fand, die Grundform des Gesichtes stimmt schon mal. Vorsichtig arbeitete er weiter. Kennzeichnete die Unterkante des Stirnreifs mit einem langen Schnitt. Den vorderen Rand des Kopftuches rechts und links, die Umrisse der Ohren. Alles Obenherum ist später dran.
Das Gesicht ist Mitte und Blickpunkt eines Portraits. Wichtig und schwierig genug. Schob die Klinge flach ins Holz, dass eine niedrige Stirn blieb bis dahin, wo die Brauen beginnen sollen. Schnitt eine gebogene Rinne, rechts und links bis zu den Schläfen. Nach der Vorlage in Ton. Kratzte sie sauber. Ebenso Vertiefungen um die ein wenig schräg gestellten Augen. In jede wird er später Saphire einsetzen. Freundlicher der Blick als mit dem dunkelblauen Lapislazuli bei Königen. Beides betont die göttlichen Augen. Bei Portraits von Königen und Königinnen charakteristisches Merkmal. Noch aber ist es nicht so weit.
Alle Generationen Ägyptens legten größten Wert darauf, ihre Augen zu schminken. Und gut zu duften. Mit dunklen Strichen umrandeten sie die Augen, zogen Linien von Augen und Brauen bis zu den Schläfen.
Künstler veredelten Augen und Brauen ihrer Skulpturen von Königen und Königinnen mit Lapislazuli oder anderen Edelsteinen. Normale Menschen mischten pulverisierte anthrazitfarbene Kohle, Blei, Eisen, Mangan und Kupfer. Rührte alles im Topf mit Tierfetten oder Pflanzenöl flüssig. Auftrag mit Pinsel oder Hölzchen kein Problem. Die Mixtur wirkte entzündungshemmend. Schmückte und schützte gleichzeitig vor Infektionen. Augenkrankheiten im feuchtheißen Klima waren unvermeidlich.
Auch der Augapfel, später geweißt, braucht in seiner Mitte eine Vertiefung für die Iris. In die er einen passend geschnittenen Bergkristall oder den etwas dunkleren Achat einlassen wird. Will beide ausprobieren. Für den Schöngeist nicht befriedigend, diese Löcher. Er kannte die Bräuche und tröstete sich mit dem Gedanken an das Endprodukt. Ging, trank einen Krug Bier und legte sich hin.
Träumte von einer Frau, die Teje verdammt ähnlich sah. Wachte auf und fragte sich: wo bin ich? Die Werkstatt wie immer. Seine Frau auf dem Feld mit den Kindern. Hoffentlich kocht sie mir ein gutes Abendessen. Habe Lust auf einen Buntbarsch im Lauchbett. Brauche jede Menge Eiweiß. Für Konzentration und eine ruhige Hand.
Als er Tage später die Wangen modellierte, die von Natur aus breite Nase aus dem Block herausarbeitete, dachte er: Ob sie weniger hübsch ist, wenn sie Schnupfen hat? Und gab sich Mühe, das Riechorgan ein bisschen feiner zu schnitzen als es von Natur aus war. Angepasst dem schmaleren Gesicht im Tonmodell. Das ihre Hoheit abgesegnet hatte. Ob sie merkt, dass ich ein bisschen gemogelt habe, zu ihren Gunsten?
Er machte eine Pause. Hatte die Absicht am folgenden Tag mit den Lippen zu beginnen. Traute sich nicht anzufangen, dachte er an Teje. Diese vollen Lippen laden zum Küssen ein. Schon beim Modellieren in Ton juckte es ihn, mit dem Hölzchen zärtlich darüber hin zu streichen. Länger auf den Lippen zu verharren als nötig. Zu verführerisch dieser schmollende Mund. Warum muss diese reife Frau so schön sein wie eine junge? Für wen? Amenophis hat sie lange genug genossen. Alle Männer lieben schöne Frauen. Besonders die sie in ein Kunstwerk verwandeln, wie er. Bedauerte sich und legte den Stichel zur Seite. Morgen ist auch noch ein Tag. Unter der Nase blieb das Holz, was es war. Nackt, unbearbeitet. Lippenlos. Blieb so eine volle Woche.
Immer wieder träumte er von den Lippen. Die den leidenschaftlichen Schwung Afrikas haben. Seine Frau fragte sich, warum küsst er mich nicht mehr vor dem Einschlafen? Ein Tag verging, ein zweiter, ein dritter. Trank Bier und noch ein Bier. Schlich um den Torso im Schraubstock. Küsste die Stelle unter der Nase. Fantasierte die Lippen kämen ihm entgegen. Wie durch ein Wunder. Aber das Holz blieb hart. Wartete auf sein Messer. In seinem Kopf tobte das Problem. Sollte ihm das Eisen ein Minimum zu hoch, zu tief rutschen, waren die Lippen nicht mehr ihre Lippen. Alles für die Katz. Lippen sind das Schwierigste für Schnitzer. Ließ noch eine Nacht verstreichen.
Diesmal schlief er traumlos. Reckte die ausgeschlafenen Glieder, tatendurstig. Ein Schluck vom Tee, ein Biss ins Brot, im Sturmschritt zur Werkstatt. Ergriff das feinste Messer. Das mit der angeschrägten Bronzeklinge. Schärfte sie und strich mit dem Finger die Schneide entlang. Fühlte nicht den geringsten Grat. Holte tief Luft und begann.
Formte die Umrisse des Mundes. Konzentrierte sich darauf, ihn ein Minimum lächeln zu lassen, die Mundwinkel leicht anzuheben. Schnitt dann mit dem scharfen Instrument den aufsteigenden Bogen der Oberlippe. Bis zur Mitte. Setzte eine Vertiefung, sodass sich zwei Lippenhälften ergaben. Gut so, dachte er befriedigt. Schnitt weiter. Einen winzigen Augenblick unkonzentriert. Rutschte ab, wie befürchtet. Unter der Klinge schälte sich ein Span und fiel herunter. Der linke Lippenbogen nur noch angedeutet. Nubiens Oberlippenschwung, den er so liebte, weggeschnitten. Nichts ersetzt ihn mehr. Es sei denn er fängt wieder ganz von vorne an.
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