„Ich bin noch nicht fertig mit Betteln.“
Amüsiert, das zu hören, ziehe ich die Augenbrauen hoch.
„Und worum möchtest du mich noch anbetteln?“
Verlegen windet sich Lilly und räuspert sich zweimal.
„Ich bitte dich darum, mir alles beizubringen, was ich über das Geschäft wissen muss.“
„Damit ich mich entbehrlich mache und du alles übernehmen kannst? Das wäre aber nicht clever von mir, Harvard. Außerdem ist das ein Haufen Arbeit nebenbei.“ Es hat sie sichtlich Überwindung gekostet, mich darum zu bitten, aber meine Hilfe bekommt sie nicht so leicht.
„Okay, was möchtest du dafür haben?“ Sie kaut nervös auf ihrer Wange herum.
„Verhandeln wir hier gerade?“
„Ja, genau wie ich es auf der Columbia gelernt habe.“
Touché. Aber Elitecollege ist Elitecollege.
„Ich möchte die Sicherheit, dass du mir meinen Job und meine Stellung im Blaze nicht einfach wegnehmen kannst, wenn dir gerade wieder einfällt, dass das hier langweilig wird und du dir einen New Yorker Typen holst, der die nette Bar in den Hamptons an meiner Stelle für dich führen soll.“
Lilly blickt unruhig zwischen meinen Augen hin und her, als erkenne sie darin etwas, was ihr zuvor nicht aufgefallen ist, dann atmet sie entschlossen aus und kommt einen Schritt auf mich zu.
„Wenn du mir bis zum Ende der Saison alles beigebracht hast und die Bar weiterhin gut läuft, bekommst du einen Anteil von fünfundzwanzig Prozent an Bill’s Blaze .“
Erstaunt starre ich sie an. Das habe ich nicht erwartet. Ich würde tatsächlich etwas besitzen. Es würde mir gehören. Cole Cortez. Barbesitzer. Wie gut sich das anhört.
„Dreißig Prozent.“
„Jetzt werde nicht unverschämt … Fünfundzwanzig Prozent.“
Lilly streckt mir ihre Hand hin und ich schlage ein.
„Das wirst du nicht bereuen, Prinzessin.“
Eingezwängt im Lagerraum zusammen mit Cole bereue ich meinen Vorschlag schon jetzt.
„Heineken, Heineken Light, Guinness, Guinness Extra Stout, Corona, Stella Artois, Session IPA, Montauk Summer Ale, Montauk IPA, Brooklyn Lager, Brooklyn Local One, Samuel Adams, Budweiser und Bud Light. Das sind unsere Biersorten. Lerne sie auswendig und auch die Preise dazu!“
In diesem Befehlston geht Cole mit mir seit zwei Uhr nachmittags durch die Bar und füllt mein Hirn mit mehr Information an, als ich je verarbeiten könnte.
„Was war noch mal IPA?“
Er atmet geräuschvoll aus und sieht mich genervt an. Zwischenfragen mag er gar nicht. Außerdem geht mir seine Art langsam mächtig auf den Zeiger, egal, wie heiß er ist. Selbst in dieser engen, schwarzen Jeans.
„IPA“, wiederholt er überdeutlich. „Indian Pale Ale.“
„Ach ja, genau. Ich habe mir nie viel aus Bier gemacht.“ Ich zucke leicht mit der Schulter und sehe mir die Labels der Bierflaschen an. Wenn ich mir die Logos einpräge, merke ich sie mir besser. Namen sagen mir meist nichts, wenn ich nicht einen bildhaften Bezug dazu habe. Daher fiel es mir anfangs auch schwer, die Sache mit Moms Medis auf die Reihe zu bekommen. Die vielen langen und komplizierten Namen, Verpackungen und Dosen, die alle gleich ausgesehen haben. Wenn ich das lernen konnte, sollte die Bierkarte doch kein Problem darstellen.
„Ich kriege das hin. Vielleicht nicht bis heute Abend, aber spätestens bis Montag.“
„Da wird es dir allerdings nicht besonders viel nützen. Denn montags haben wir geschlossen. Der einzig freie Tag. Merk dir das!“
Genau das meine ich. Dieser Kommandoton reizt mich bis aufs Blut.
„Ja, mein Master und Commander“, murmele ich vor mich hin, während ich mich umdrehe.
Ich zucke zusammen, als er plötzlich hinter mir steht und mir über die Schulter blickt. „Für die Chefin genügt Cole, aber du darfst mich auch gerne Master nennen. Das überlasse ich ganz dir.“
Cole grinst mich schief an und geht in Richtung Bartheke. Der Vorratsraum kam mir sehr beengt vor. Keine Ahnung, ob das von seiner unmittelbaren Nähe kam oder von dem schiefen Grinsen, das eindeutig verboten gehört, so heiß wie es ist. Ich hasse es, dass ich nicht immun gegen seinen Charme bin. Mal ehrlich, was sagt das denn über mich aus, wenn ich ihn heiß finde, obwohl er mich ständig behandelt wie die tranige Praktikantin? Hab’s mir überlegt. Ich will es lieber gar nicht erst wissen.
Zurück an der Bar möchte ich ihm gerne Paroli bieten und ihm sagen, dass ich ihn Master nur dann nenne, wenn Trump den Weltklimagipfel leitet, als es an der Vordertür klopft.
„Das wird Joe mit der Lieferung sein. Na endlich! Wird auch Zeit … Was ist? Kommst du?“ Cole sieht mich auffordernd an.
Mein Wunsch, Joe wiederzusehen, hält sich eher in Grenzen. Mutwillig folge ich Cole zur Tür. Ein sichtlich gut gelaunter Joe steht mit seiner Sackkarre vor unserer Tür.
„Hey, Cole! Na, was geht? Ich habe deine Getränke dabei.“
„Wunderbar. Dann komm mal rein!“ Cole hält ihm die Tür auf. Beim Reinfahren bemerkt er mich. Ich nicke ihm steif zu.
„Heute gar nicht im Lolly-Pyjama?“
Cole sieht zwischen Joe und mir hin und her. Nicht gerade erfolgreich verbeißt er sich ein fieses, breites Grinsen.
„Es waren Kuchenstücke und ich hatte verschlafen.“
„Ja, ja.“ Joe bringt die Kisten in den Lagerraum, während Cole den Lieferschein kontrolliert.
„Der Gin und das Stella sind wieder mal teurer geworden“, ruft er nach hinten. „Willst du mich ausnehmen, Joe?“
„Sei froh, dass du den Preis gekriegt hast“, raunt Joe abfällig. „Was denkst du, was ich ihr abgeknöpft hätte?“ Er zeigt lachend mit dem Daumen auf mich. Sexistischer Arsch!
„Das sind ja nette Leute, mit denen wir Geschäfte machen.“
Auch wenn ich es leise murmle, hat Joe meinen giftigen Tonfall bemerkt. Cole packt mich am Oberarm und zieht mich ein Stück von ihm weg. Er sieht angepisst aus.
„Pass besser auf, was du sagst. Joe hat beinahe so was wie ein Monopol. Wenn wir es uns mit ihm verscherzen, bleiben uns nur noch die großen Lieferanten der Hamptons und die machen keine guten Geschäfte mit Läden wie uns. Kapiert?“
„Verstehe.“ Das ist das erste Mal, dass ich Cole ernst und aufrichtig besorgt erlebe. So langsam wird mir klar, warum sich jeder von Joe dem Getränkekerl an der Nase herumführen lässt. Wenn man keine Wahl hat, hat man keine Wahl. Eine Lektion, die ich in meinem Leben viel zu oft lernen musste.
Joe liefert den Rest und Cole zeichnet ihm den Lieferschein ab. Ich bin froh, als der Kerl wieder zur Tür raus ist.
„So ein Arsch!“
„Yup! Ist er immer gewesen. Er würde für ein bisschen mehr Profit seine eigene Mutter verkaufen.“
Cole geht zurück ins Lager und winkt mir, mitzukommen. Ich folge ihm und bin erleichtert, als ich die vielen Kisten auf dem Boden unter den leeren Regalen sehe.
„Wir räumen jetzt die Lieferung ein und zeichnen dabei den Bestand auf. Hier!“ Er deutet auf ein Klemmbrett, das neben der Tür hängt. Oldschool, aber es funktioniert anscheinend.
„Du räumst ein und ich zähle mit.“
Wieso wundert mich das nicht? Lässig hält er mir ein Teppichmesser entgegen. Ich schneide die Verpackungen damit auf. Wir arbeiten uns Karton für Karton vor. Ich habe die ganze Zeit über seine monotone Stimme im Ohr.
„Hundertvierundvierzig, hundertfünfundvierzig … hundertfünfundsechzig Heineken. Gut. Das passt.“ Cole hat eine angenehme Stimme, wenn er eine Pause macht und keine Befehle damit ausgibt. Während ich einräume und er zählt, beobachte ich ihn. Sein kurz geschorenes Haar ist dunkel, genau wie seine Augen. Wenn er murmelt, leckt er dabei immer wieder über die Unterlippe. Das wirkt beinahe unanständig. Ich weiß nicht, ob es an seinen festen, vollen Lippen liegt oder an meiner totalen Abstinenz seit dem letzten Semester auf der Uni, aber ich bin schlicht und einfach ausgehungert, was menschliche Nähe und Sex betrifft, deshalb reagiere ich dermaßen stark auf seine männlichen Reize. Das ist alles. Ich frage mich, wie alt er wohl ist.
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