Layla schreckte zusammen. Sie war noch ganz in ihrem wunderbaren Traum gefangen gewesen und der Übergang zur Wirklichkeit fiel ihr etwas schwer. Doch Daniel hatte Recht. So sehr sie es auch bedauerte, sie hatte einfach keine Zeit, den ganzen Tag einfach nur vor sich hinzuträumen. Dafür hatte sie zu viel vor. Sie wollte gleich aufbrechen und sich in Cholula umsehen. Vielleicht konnte sie dort ein paar Leute zum geheimen Pfad interviewen und sie hoffte, dass sie die alte Frau fand, die sie in ihrer Internet Recherche gefunden hatte, die, die behauptet hatte, dass sie eine der verschwundenen Frauen direkt auf dem geheimen Pfad schreien gehört hatte. Zum Glück hatte sie alles auf ihrem Laptop gespeichert. Mann, war ihre Internetrecherche wirklich erst zwei Tage her? Es schien ihr fast so, als ob in der Zwischenzeit ein ganzes neues Leben an ihr vorbeigezogen wäre. Es hatte sich in der Zwischenzeit soviel für Layla geändert, und sie war sich auch sicher, dass sie selbst auch nie wieder die Selbe sein würde.
Da fiel ihr Blick auf ein Bild in der Zeitung, die Daniel gerade aufschlug. Das war doch, nein, das konnte unmöglich sein. Sie riss dem verdutzten Daniel die Zeitung regelrecht aus der Hand und wurde leichenblass. Unter einem Photo einer jungen, blonden Frau stand:
„wer kenn diese Frau? Sie wurde gestern Abend tot auf dem Parkplatz des Plaza Cristal aufgefunden. Für sachdienliche Hinweise…“
Weiter konnte Layla dann nicht mehr lesen. Sie war zu geschockt. Sie kannte diese Frau. Gut, „gekannt“ war wahrscheinlich zu viel des Guten. Sie wusste, wer das war. Die tote junge Frau auf dem Bild war die Blondine, mit der Antonio Gonzales López gestern im Flugzeug angebandelt hatte und mit der er sie dann in Puebla am Busbahnhof gesehen hatte. Sie zeigte das Bild Lupi, die hinter sie getreten war.
„Erkennst Du diese Frau?“
„Ja, dass ist doch die wunderschöne Frau, mit der dieser unheimliche Typ, mit dem Du gestern am Busbahnhof gesprochen hast, weggegangen ist.“
„Sie ist tot! Wir müssen sofort zur Polizei“
„Natürlich, ich komme mit!“
Dankbar nahm Layla das Angebot von Lupi an. Nicht, dass sie nicht auch alleine mit der Polizei fertig geworden wäre, aber es war einfach besser, jemanden von Vertrauen mit dabei zu haben. Layla sprang auf. Sie hatte es plötzlich sehr eilig. Sie musste noch duschen, sich anziehen und ihre Tasche wieder zusammenpacken.
Layla schaffte dies auch in Rekordzeit und war erstaunt, dass sowohl Lupi, als auch Daniel schon bereit an der Türe standen und auf sie warteten. Daniel hatte den Autoschlüssel in der Hand
„Ich fahre Euch. Heute habe ich frei und habe auch nichts Besseres vor!“
„Wie kommt es, dass Du mal nicht arbeiten gehst. Du würdest doch sogar noch sonntags gehen!“
Von all ihren Primos, war ihr Daniel der Liebste. Er war alles, was man sich wünschen konnte. Herzlich, ehrlich, vertrauenswürdig, verschwiegen, lustig, witzig und immer gut gelaunt. Er hatte zwar eine feste Freundin, verstand sich aber nicht ganz so gut mit der. Die beiden stritten oft, wobei sich Layla gar nicht vorstellen konnte, wie man mit Daniel streiten konnte. Er arbeitete als Software – Spezialist bei einer Computerfirma. Er war dort verantwortlich für die Entwicklung und Anpassung von Sicherheitssoftware. Dabei hatte er sich in einen Namen gemacht. Selbst die besten Hacker schienen ihn als gleichwertigen Gegner zu sehen. Sah man Daniel an, dann meinte man gar nicht, dass er solch ein Computergenie war. Er sah eigentlich ganz normal, fast unscheinbar aus. Er war circa 1,75 groß und schlank. Sein dunkelbrauner Teint gefiel den Frauen gut, ihm selbst aber weniger gut. Das markanteste an Daniel waren aber seine Augen. Layla hatte in ihren ganzen Leben niemals mehr einen Mann gesehen, der solch ehrlich blickenden, eindrucksvollen Augen hatte. Typisch Mexikanisch gab sich auch Daniel gerne, wie ein Macho, aber wenn man ihn kannte, dann wusste man, dass er genau das Gegenteil davon war. Auch jetzt sah Daniel sie wieder mit diesen unglaublichen Augen an, bevor er sich umdrehte und zur Eingangstüre ging. Lupi hackte sich bei ihr unter und die beiden gingen ihm stumm hinterher.
Dieser Umweg über die Polizei brachte Laylas geplanten Tagesablauf natürlich mächtig durcheinander. Sie wusste, wie es dort aussehen würde. Hunderte von Menschen, die dort wirr in der überfüllten, stickigen Polizeistation herumstanden und durcheinander schwätzten, überforderte Beamten, die versuchten, die Protokolle aufzunehmen und daneben die höheren Beamten die arrogant und selbstherrlich herumstanden, oder nichts tuend in ihren Büros saßen.
*
Als Layla, Lupi und Daniel dort ankamen, war alles noch viel schlimmer, als Layla es sich vorgestellt hatte. Es hatte einen furchtbaren Verkehrsunfall mit zwei Toten gegeben und die Beamten waren gerade damit beschäftigt, die Zeugen zu verhören. Das konnte Stunden dauern, bis sie hier ihre Aussage würden machen konnten.
Resignierend lehnte sich Layla gegen die Wand. Einen freien Stuhl zu erwischen war wohl illusorisch. Doch nicht einmal zwei Minuten später näherte sich ihnen ein höherer Beamter, deutlich erkennbar an der dunklen Anzughose und der hässlichen, farblich überhaupt nicht zum Anzug passendend Krawatte. Er fragte in überheblichem, fast arroganten Ton:
„Was kann ich für Sie tun!“
Dabei stellte er sich so hin, dass Layla seinen Gürtel an dem eine beeindruckende Waffe und die Dienstmarke, sowie ein Handy und ein Sprechfunkgerät befestigt waren. Mein Gott, dachte Layla, was konnte man an einem einzigen Gürtel noch alles mit sich herumschleifen. Aha, er war also „Teniente“, also Leutnant und demnach wirklich ein höheres Tier. Teniente Marco Chavala Jiménez.
Ein dickerer, ungepflegter Mann näherte sich, stellte sich direkt vor den Teniente. Er fuchtelte aufgebracht mit den Armen und sagte in ärgerlichem Tonfall:
„Oficial, wir waren zuerst da!“
„Gehen Sie zurück, sonst lasse ich Sie umgehend verhaften!“
Eingeschüchtert ging der Mann zurück zu seiner Familie und setzte sich auf einen alten abgewetzten Stuhl. Layla war erschüttert zu sehen, wie viel Angst der Mann hatte. Aha, dachte sie, solch ein wohltuender Hüter des Rechts war also dieser Teniente Marco Chavala Jiménez. Sie wollte gerade zu einer schärferen Bemerkung ansetzten, da sagte Lupi.
„Die tote blonde Frau aus der Zeitung, die, die auf dem Parkplatz der Plaza Cristal gefunden wurde. Meine Cousine weiß, wer das ist!“
Chavala sah Layla mit abschätzigem Blick an, wobei seine Augen jeden weiblichen Teil von Laylas Körper regelrecht an grapschten. Layla fühlte sich fast nackt unter diesem geilen Blick. Trotzdem weigerte sie sich, ihre Arme schützend vor ihren Körper zu legen. Es würde Schwäche zeigen und die wollte sie bei diesem prächtigen Exemplar der Gattung Halbaffe mit Sicherheit nicht zeigen. Deshalb blickte sie ihm selbstbewusst und unnachgiebig in die Augen. Und obwohl gut einen Kopf kleiner, gewann sie dieses erste Duell. Teniente Chavala drehte sich wortlos um und gab über die Schulter mit dem großen Finger ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollten. Layla ging hinter ihm her, gefolgt von Lupi und Daniel.
„Nur die Señorita! Ihr beiden wartet hier!“
Unschlüssig standen Lupi und Daniel auf halben Weg. Layla gab ihnen ein beruhigendes Zeichen und sagte:
„Schon gut, nicht so schlimm. Wollt ihr in der Zwischenzeit einen Kaffee trinken gehen. Ich rufe Daniel auf dem Handy an, wenn ich fertig bin!“
Der Offizier war ohne inne zu halten weitergelaufen. Er war schon fast in seinem Büro. Trotzdem ging ihm Layla ohne Eile hinterher. Wohl war ihr nicht dabei, alleine mit diesem arroganten Arsch in diesem dunklen Loch, das er sein Büro nannte, eingesperrt zu sein, aber nichtsdestoweniger zeigte sie auch hierbei kein Zögern. Als sie dann in sein Büro eintrat, saß der Leutnant schon an seinem Tisch. Seine Ellenbogen lagen auf dem unaufgeräumten Schreibtisch auf. Die Finger beider Hände waren ausgestreckt und gespreizt und berührten sich an den Spitzen. Die Szenerie sah dabei einstudiert und fast lächerlich aus. Layla musste fast laut auflachen. Mann, dass konnte ja richtig lustig werden, dachte sie sarkastisch.
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