1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Bemerkenswert war der Tag, an dem sie vor der kleinen Insel Pitcairn vor Anker lagen, um den Nachfahren der Meuterer von der “Bounty“ einen Besuch abzustatten. Eine Anlandung dort war nur mit den Zodiacs möglich, robusten Schlauchbooten, von denen die “Hanseatic“ nicht weniger als vierzehn Stück an Bord hatte.
An diesem Tag waren beinahe alle davon im Einsatz, denn es waren nicht nur die Passagiere auf die Insel zu transportieren, sondern auch reichlich Vorräte für die Bewohner, die das Schiff von Chile aus mitgebracht hatte. Lebensmittel vor allem und andere Güter des täglichen Bedarfs.
Natürlich ließ Martin es sich nicht nehmen, eines der Schlauchboote selber zu steuern. Kartoffeln hatte er an Bord, Zwiebeln, Mineralwasser, Bier und andere Getränke. Das Anlanden war nicht ganz einfach, denn es drückte eine starke Dünung geradewegs in den kleinen Hafen. Die Zodiacfahrer schimpften nicht schlecht darüber.
Martin ließ sich von dem Gezeter nicht beirren. Er tauschte seine Uniform gegen abgeschnittene Jeans und eines seiner “unmöglichen“ T-Shirts, zog Sandalen an die nackten Füße, setzte aber seine Mütze auf. Wenigstens das, damit sie ihn auf der Insel nicht von vorneherein für einen Piraten hielten.
Dann fuhr er los, volle Fahrt voraus. Das kleine Boot tanzte auf den Wellen, daß man meinen konnte, es werde jeden Augenblick kentern. Aber nichts dergleichen. Martin fuhr wie der Teufel und war bei der Ankunft an der Pier klatschnaß, aber Boot und Ladung waren unversehrt. Es gab einige bewundernde Kommentare der Inselbewohner, als er festmachte. Den Kapitän des Kreuzfahrtschiffes, das vor der Insel vor Anker lag, erkannte niemand in ihm. Und Martin hielt es auch nicht für nötig, es ihnen zu erklären. Er wurde wie ein Kumpel begrüßt. Man lachte und schlug ihm anerkennend auf die Schulter.
Bis einer der Passagiere fragte: „Fahren Sie immer so, Herr Kapitän?“
Erst da ging den Leuten auf, wen sie da vor sich hatten.
„Nee, nur wenn der Klabautermann mich gebissen hat“, antwortete er. „Und heute hat er. Also, wenn Sie mit mir zurückfahren wollen, machen Sie sich auf was gefaßt.“
Das war nicht unbedingt eine Antwort, die die Spaßbremsen der Reederei für gut gehalten hätten, aber die waren ja, zum Glück, einige zehntausend Kilometer weit entfernt. Ebensowenig wie die Bemerkung, die er fallen ließ, nachdem er andere “Opfer“ gefunden hatte, die sich nach zwei weiteren Anlandungen, die er inzwischen hinter sich hatte, von ihm mit zurück zum Schiff nehmen ließen.
„Was wollen Sie?“ fragte er launisch, nachdem das Boot nach dem Ritt auf einer besonders großen Welle so heftig ins Wasser tauchte, daß alle im Boot, aber auch wirklich alle, eine kräftige Dusche abbekamen. „Sie haben eine “Expeditionskreuzfahrt“ gebucht. Jetzt kriegen Sie eine. Ich hab Ihnen ja versprochen, daß es abenteuerlich wird. Geben Sie Ihre Sachen nachher an Bord in die Wäscherei, morgen haben Sie sie zurück, gewaschen und gebügelt. Die Rechnung übernehme ich. Das ist es mir wert, ein bißchen Spaß zu haben. Und Ihnen doch sicher auch, oder?“
Selbst wenn sie gewollt hätten, Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen konnte niemand auf dem kleinen Boot dazu abgeben. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, sich an den Leinen festzuhalten aus Angst, über Bord gespült zu werden. Natürlich ging alles gut, und hinterher hatten sie alle wieder was zu reden. Über den neuen Kapitän, der sich gelegentlich aufführte wie ein wildgewordener Teenager.
***
Am Ende der Reise, nachdem er sie pünktlich, wie angekündigt, im Hafen von Papeete an Land gesetzt hatte, hatten sie den jungen Mann schätzen gelernt. Das bekamen auch die Damen und Herren in der Reederei in Hamburg zu hören, wo zahlreiche und meist positive Nachrichten eingingen.
Auch Martin hatte seine Sachen bereits gepackt, denn er erwartete, daß die angestammte Besatzung nach dem Ende dieser Reise das Schiff wieder übernehmen würde und er seinen unterbrochenen Urlaub fortsetzen konnte, um danach seinen Dienst als erster Offizier auf dem Containerschiff “Essen-Express“ wieder aufzunehmen. Aber es sollte anders kommen.
Am Abend der Ankunft in Papeete erreichte ihn eine Nachricht aus Hamburg, in der er darum gebeten wurde, das Schiff auch während der nächsten Reise weiterzuführen. Offensichtlich waren die erkrankten Offiziere der “Hanseatic“ noch nicht wieder so weit hergestellt, daß sie ihren Dienst wieder antreten konnten. Martin wunderte sich ein wenig darüber, daß eine simple Fischvergiftung so lange brauchte, bis sie auskuriert war. Aber mit tiefergehenden Überlegungen hielt er sich gar nicht lange auf, sondern machte sich umgehend daran, seine Sachen wieder auszupacken.
„Auf ein Neues, also“, sagte er sich. „Die in Hamburg müssen total verrückt sein, mich hier weiterfahren zu lassen. Als ob’s in der ganzen, großen Reederei nicht einen gestandeneren Mann gäbe, der auf dem Posten wesentlich besser aufgehoben wäre.“
Natürlich gab es solche Leute. Aber die Manager der Reederei hatten ihre guten Gründe, niemanden aus dieser Gruppe zu benennen. Es sollte eben Martin Schöller sein, neunundzwanzig Jahre alt und eines der größten Talente, die sie je in ihren Reihen gehabt hatten.
Wie war Martin Schöller überhaupt so weit gekommen?
Zur See fahren wollte er schon immer. Allemal, nachdem ihn sein Onkel zum ersten Mal mit auf sein Segelboot genommen hatte. Damals war er noch ein kleiner Junge gewesen. Dann wurde er größer, und als Teenager durfte er sogar gelegentlich alleine mit dem Boot hinaussegeln. Sobald er alt genug war, legte er die entsprechenden Prüfungen ab und fuhr über die Ostsee, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot.
Sein Onkel hatte volles Vertrauen zu ihm, denn schon früh erwies Martin sich als ein sehr verantwortungsbewußter Junge, der die Situation zu jeder Zeit richtig einzuschätzen wußte und nie leichtsinnig war.
Martins Leben war aufregend und geordnet, abenteuerlich und behütet, meistenteils gewöhnlich, aber ein wenig außergewöhnlich doch, von Zeit zu Zeit. Er wurde geliebt von seinen Eltern, gemocht von seinen Kameraden, und doch schickte man ihn weit weg, ins Internat, weil sich dort Chancen boten, die sich ihm zuhause nicht eröffneten.
So zog er fort. Nicht gerne, aber doch in der Einsicht, die Gelegenheit, die sich ihm bot, zu nutzen. Er war ein eifriger Schüler, der gute Leistungen brachte, aber doch ständig heimwehkrank. Am Anfang stärker, aber das legte sich, als er ein wenig älter wurde. Dennoch fieberte er in all den Jahren dem Tag entgegen, an dem es Ferien gab und er nach Hause fahren konnte.
Bis zu dem Tag, an dem sich alles änderte. Als ein kleines Mädchen ihn bat, von ihm mitgenommen zu werden, auch nach Hause, auch in die Ferien. Wobei, so klein war sie eigentlich gar nicht. Vierzehn und ein richtiger Teenager. Ein wenig keß, aber ziemlich unglücklich. Im Grunde genommen hatte er wenig Wert auf ihre Gesellschaft gelegt, aber je länger die Fahrt vom Internat in Klagenfurt nach Deutschland und dann hinauf in den Norden dauerte, desto mehr hatte er seine Meinung geändert. Er fing an, sie zu mögen. So sehr, daß ihm der Abschied von ihr sogar ein wenig schwerfiel, als er sie zu Hause absetzte.
Aber dann überwog die Vorfreude auf seinen geplanten Segelurlaub. Er ganz allein, mit der prächtigen Segelyacht seines Onkels. Von Neustadt in Holstein hinaus auf die Ostsee, nach Dänemark oder wohin der Wind ihn auch treiben mochte. Ihn und das Boot und mit ihnen Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Vivaldi und Johann Sebastian Bach mit ihrer Musik, die er so sehr liebte. Oder auch Glenn Miller, Duke Ellington und Frank Sinatra. Dann verwandelte er das Deck der “Blue Star“, der Segelyacht seines Onkels in einen Konzertsaal oder auch in eine Showbühne, je nachdem in welcher Stimmung er gerade war. Dann ließ er sich über die Wellen tragen, war “In the Mood“, hörte “The Summerwind“ in den Segeln rauschen, oftmals mit Tränen in den Augen, wenn in einer sternklaren Nacht das “Große Hallelujah“ erklang aus Händels “Messias“ oder er versunken war in Beethovens “Pastorale“ beim Ansteuern des nächsten Hafens: “Frohe Gedanken bei der Ankunft auf dem Lande“. Lachen mußte er jedesmal, wenn er eines seiner Lieblingsstücke anhörte, Beethovens „Mondscheinsonate“, derentwegen er einmal einen argen Rüffel seines Klavierlehrers kassiert hatte, als er das Klavierstück mit diesem Namen bezeichnete.
Читать дальше