Ich war schlagartig nur noch ein Weibchen, das die Nähe eines Männchens wittert. Und wären nicht gar so viele Leute um uns herum gewesen, von denen sowieso schon einige neugierig guckten – ich weiß nicht, ob ich mich nicht wirklich vergessen hätte.
Aber nach allem, was er sich da gerade herausgenommen hatte, hätte ich das natürlich niemals zugegeben. Vor dem Hintergrund einer so beschämenden Niederlage auf ganzer Linie würde es schwer werden, ihm gegenüber wieder Land zu gewinnen. Weil mir aber nicht schnell genug etwas Besseres einfiel, setzte ich fürs erste bloß meine finsterste Miene auf und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor:
„Sie … Sie … Sie mieser kleiner Erpresser…!“
Der miese kleine Erpresser aber löste mit beängstigender Nonchalance diese doofe Krawatte vollends von meinen Handgelenken, wo sie nie hingehört hatte, und ging, ohne meinen finsteren Blicken Beachtung zu schenken, zurück an seinen Platz.
„Arnold“, sagte er mit triumphierendem Lächeln, sobald er sich in aufreizender Gelassenheit wieder gesetzt hatte. „Bitte nennen Sie mich doch einfach Arnold!“
Connie war ein Schatz. Zwar hatte ich in der Aufregung total vergessen, sie anzurufen, dafür fand ich aber am nächsten Morgen gleich eine SMS auf dem Handy vor, in der sie vorschlug, dass wir uns am Nachmittag an unserer Stammstrecke am Museumsufer treffen sollten. Was wir auch taten.
Liebend gerne hätte ich ihr sofort von Arnold erzählt. Doch da sie die Sache mit ihrem Chef noch nicht verkraftet hatte, wollte ich lieber kein Salz in offene Wunden streuen. Jedenfalls nicht gleich. Stattdessen fragte ich sie erst mal, ob sich wegen meiner neuen Bleibe schon was ergeben hatte.
In den Wochen davor hatte ich alles Mögliche unternommen, um eine Wohnung zu finden, die meinen Ansprüchen genügte. Hatte aber keine gefunden. Jedenfalls keine, die der Ebbe auf meinen Konten gerecht geworden wäre. Es war schon enttäuschend, dass die Vermieter nicht Schlange standen, um mir ihre Wohnungen anzudienen. Und wie habgierig sie waren, wenn es um die Vermietung selbst der kleinsten Bruchbude ging!
Deshalb ruhten meine Hoffnungen nun auf meiner besten Freundin. Connie kannte nicht nur meine Ansprüche, sie war auch die einzige, die mit der bedenklichen Entwicklung meiner Finanzen vertraut war. Manchmal kam es mir so vor, als ob sie die Lage besser erfasst hätte als ich selbst.
Connie kennt mehr Leute in mehr wichtigen Positionen, als ich mir auch nur merken könnte. Sie hat früher bei der Frankfurter Rundschau gearbeitet und hatte sich irgendwann gerade zur stellvertretenden Stellvertreterin des kommissarischen Ressortleiters hochgedient, als ihr aufgegangen war, dass Journalismus auf Dauer doch nicht so ihr Ding ist. Zu viel leeres Getue, zu wenig Chancen, auch mal die Wahrheit drucken zu lassen.
Naja, jedenfalls hatte sie sich erinnert, dass sie auf ihrem Tablet die Profile einiger Makler gespeichert hatte, von denen einer mal in zwielichtige Geschäfte verwickelt gewesen war. Connie hatte ihn am Ende verschont, weil er ihr eine Kommunalpolitikerin und einen Bauunternehmer quasi ans Messer geliefert hatte. Das hatte zwar nichts genützt, da die Story nie gedruckt worden war – jedenfalls nicht so, wie Connie sie geschrieben hatte –, aber das ließ ihn gefühlt nun sogar noch tiefer in ihrer Schuld stehen.
„Hast du ihn gefragt?“, erkundigte ich mich gespannt.
„Der hat jetzt ’ne neue Adresse“, antwortete Connie schulterzuckend.
„Is’ nich’ wahr! Aber du kannst sie doch rauskriegen!“
„Ich hab sie ja.“
„Dann nichts wie hin zu dem Kerl!“
„Geht nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Weil nur Verwandte Besuchserlaubnis kriegen.“
„Ist er krank?“
„Nö.“
„Sondern?“
„Er sitzt.“
Wir waren fast am Filmmuseum, als ich Connie endlich aus der Nase kitzeln konnte, dass der Typ vom Schreibtisch weg verhaftet worden war. Es waren Fotos aufgetaucht, die wohl in einer leerstehenden Wohnung aufgenommen waren, welche er vor einiger Zeit im Kundenauftrag angeboten hatte. Darauf war ein Schulmädchen abgebildet, das in sehr verfänglichen Posen und mit sehr, sehr hochgerutschtem Rocksaum in die Kamera gelinst und mit feuchtem Finger noch viel schlimmere Sachen angestellt hatte.
Der Makler behauptete nun, dass er von Fotos nie etwas gewusst habe. Er habe einfach den Schlüssel für die Wohnung einer Interessentin zur Verfügung gestellt, die sie mit ihm zusammen bereits besichtigt hatte und nun angeblich noch ihrem Verlobten zeigen wollte. Sowas sei in seiner Branche durchaus üblich, wenn jemand ernsthaftes Interesse an einem leerstehenden Objekt zeige und es terminlich momentan nicht anders zu arrangieren sei. Kein Makler wolle sich einen zeitnahen Abschluss entgehen lassen, bloß weil er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte.
Natürlich hatten die ermittelnden Beamten sofort durchschaut, dass das alles fadenscheinige Schutzbehauptungen waren. Und hatten ihn nach allen Regeln der Verhörkunst unter Druck gesetzt. Schon erstaunlich, was sich beispielsweise allein mit der Drohung bewirken lässt, zum nächsten hochnotpeinlichen Verhör nur mal so die Ehefrau des Verbrechers vorzuladen.
Wie sich dann allerdings eher zufällig herausgestellt hatte, war die Interessentin selbst das Mädchen auf den Fotos. Und sie war 22. Sie hatte nur ihren Freund in einer ungewöhnlichen Umgebung mal so richtig scharf machen wollen und sich dafür selbst auf Schulmädchen getrimmt, mit allem Drum und Dran, von neckischen Zöpfen bis zum superkurzen karierten Uniformröckchen. Die Maskerade war ihr wohl ganz gut gelungen, denn bis sie sich nach einiger Bedenkzeit widerstrebend selbst zu erkennen gegeben hatte, waren alle mit dem Fall Befassten der Version vom ruchlos verführten unwissenden Schulmädchen aufgesessen. Offenbar gibt es heutzutage wohl ziemlich viele hilflose Schulmädchen, die in Bezug auf Sex nicht die blasseste Ahnung haben, wo’s langgeht.
So richtig war der Fall allerdings jetzt gar keine Unzucht mit Minderjährigen mehr. Aber das hatte der Makler ja nicht wissen können. Also konnte er es auch nicht zu seiner Entlastung anführen. Und wen unsere Polizei erst mal wegen so einer richtig schlimmen Sache am Wickel hat, den lässt sie so bald nicht mehr laufen. Außerdem waren mittlerweile auch Kinderschutzbünde und Verbrechensopferringe in den Fall einbezogen, die dafür bekannt waren, auch in aussichtslosen Fällen nicht so schnell locker zu lassen.
Unterstützt wurden sie vom Hersteller einer landesweit verbreiteten Verpackung für stinkenden alten Fisch, die mit ein paar Bildern nackter Mädchen und vielen sinn- und skrupellos kombinierten Wörtern so lustig bedruckt ist, dass viele Käufer sich Tag für Tag einen Spaß daraus machen, die Fischverpackung wie eine Zeitung zu lesen.
Doch bei solch kapitalen Verbrechen wie dem Betrachten von Fotos minderjährig aussehender Mädchen konnten die Behörden in der Wahl ihrer Verbündeten nicht kleinlich sein. Wichtig war nur, dass die Missetäter auf jeden Fall hinter Schloss und Riegel blieben, egal ob ihnen zufällig schon etwas nachgewiesen werden konnte oder nicht.
Wie gut, dass sich wenigstens viele Richter allein von der Schwere des zur Last gelegten Verbrechens leiten ließen und gerade bei derart schlimmen Vorwürfen hinsichtlich der Frage nach stichhaltigen Beweisen nicht allzu kleinlich waren! Dadurch liefen die Winkeladvokaten der Missetäter ganz von selbst ins Leere, auch wenn sie penetrant mit ihrem öden Gefasel von wegen Unschuldsvermutung zu punkten versuchten.
Und deshalb saß der Ganove noch immer. Auf unbestimmte Zeit. Irgendein Vorwand für die Verlängerung der U-Haft findet sich immer. Und wenn es bloß ist, dass ein Täter auch nach dem zwanzigsten harten Verhör noch immer nicht gestehen will. Weil das ja nur beweist, dass er schon eine Menge solche Schurkereien auf dem Kerbholz haben muss, weil er bei derart schlimmen Vorwürfen sonst niemals so abgebrüht leugnen könnte.
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