Der Kerl konnte zupacken. Absolut!
Und ich war garantiert nicht die erste Frau, die er mit diesem entschlossenen Griff an sich zog. Fast so, als wolle er ganz nebenbei zeigen, dass er sich im Zweifelsfall jederzeit nehmen konnte, worauf er Lust hatte.
Ob er auf mich Lust hatte?
Spontan machte ich ein wenig auf verliebtes Pärchen, rieb meine Stirn kosend an seiner Schulter und war gespannt auf seine Reaktion. Die kam aber nicht, jedenfalls nicht so, wie ich gedacht hätte. Er lachte nur glucksend auf, löste kurz den Griff seiner Rechten und gab mir einen leichten Klaps auf den Po.
Ich juchzte kurz auf, wollte ihn vorwurfsvoll ansehen, doch schon beim Kopfheben merkte ich, dass das gründlich danebenging. Während ich mich noch bemühte, meine schönen Lippen zu einem möglichst überzeugenden Schmollen hochzuziehen, grinste er mich bereits hämisch an, und dann hatte er meine Taille auch schon wieder so sicher im Griff wie zuvor.
Mist! Diese Runde ging auch schon wieder an ihn.
Der tadelnde Klaps, den er mir da verabreicht hatte, entfaltete eine nachhaltige Wirkung. Es fühlte sich fast so an, als ob ich mir mit meiner schmusenden Annäherung etwas herausgenommen hätte, was mir nicht oder noch nicht erlaubt war, und das ärgerte mich.
Die kleine Zurückweisung war auch nicht gerade geeignet, mein Selbstbewusstsein zu stützen. Was mir insofern ungelegen kam, als uns auf dem Weg zum Restaurant viele Leute begegneten und ich ständig das Gefühl hatte, sie müssten mir sofort ansehen, was er mit mir angestellt hatte. Tatsächlich aber gab es keinerlei Reaktion, die darauf hingedeutet hätte.
So lehnte ich meinen Kopf irgendwann doch wieder kess gegen ihn, achtete aber extra darauf, nicht wieder zu weit zu gehen. Und tatsächlich fühlte ich mich so an ihn gelehnt, sanft geborgen in seinem Arm, schon bald bemerkenswert sicher. Lustvoll sicher.
*
Angekommen am Zoorestaurant suchte er auf der wunderschönen Terrasse einen Platz mit Blick auf den Pavianfelsen aus und rückte mir einen Stuhl zurecht. Sehr zuvorkommend! Es würde ein Kinderspiel sein, den Burschen dahin zu kriegen, wo ich ihn haben wollte.
Jetzt, zur Mittagszeit, war in dem Lokal ordentlich Betrieb. Und so war ich gespannt, wie er es anstellen wollte, mir unauffällig die gefesselten Hände zu befreien.
Die Antwort war: überhaupt nicht.
„Lassen Sie schon mal die Karte bringen“, sagte er statt dessen fröhlich, während er ohne mich erst zu fragen mein Handy aus der Jackentasche zog und dann sorgfältig die Jacke wieder so richtete, dass sie meine gefesselten Hände gerade noch verdeckte. „Ich sage später, was ich nehme.“
„Das geht doch nicht“, konnte ich ihm noch zuraunen, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken. Zu meinem Entsetzen nickte er mir nur kurz vielsagend zu und wandte sich dann mir nichts, dir nichts vom Tisch ab.
Mir blieb noch Zeit, sprachlos den Mund zu öffnen, dann war er auch schon fort. Der hatte ja wohl ’ne Supermeise. Möglicherweise hatte er sich übertrieben viel mit seinen bescheuerten Tieren beschäftigt.
Ich aber war auf mich allein gestellt bei der Beantwortung der Preisfrage des Tages: Wie bestellt man eigentlich in einem fremden Lokal, wenn man nicht mal die Hände frei hat, um mal eben cool in der Karte zu blättern?
*
„Sie haben noch nicht ‚bitte’ gesagt!“, erwiderte er gelassen, als ich ihn nach seiner Rückkehr mit Wut im Bauch angezischt hatte, er solle auf der Stelle meine Hände befreien.
„Werde ich auch nicht!“, gab ich keck zurück. Der sollte nur gleich wissen, dass er so mit mir nicht umspringen konnte.
„Ja, dann!“, entgegnete er achselzuckend und widmete sich mit unglaublich interessiertem Interesse der Speisekarte.
„Machen Sie mich sofort los!“, fuhr ich ihn erbost an. Erschrak aber sofort über meine eigene Lautstärke, während er nur belustigt die Augenbrauen hochzog. „Machen Sie mich sofort los!“, wiederholte ich mit deutlich gedämpfter Stimme. „Oder ich …“
„Oder was?“, gab er belustigt zurück. „Oder Sie rufen die Polizei? Lassen sich von der Bedienung losmachen? Oder gehen in Ihrem entzückenden Kleidchen zu den sechs Jungs in den beflockten T-Shirts, die da drüben etwas umwerfend Wichtiges mit gehaltvollen Mixgetränken begießen?“
Er hatte recht. Das waren alles Möglichkeiten. Die ich alle unmöglich nutzen konnte. Zumindest, wenn ich mich nicht noch viel mehr blamieren wollte, als ich mich sowieso schon blamiert hatte.
„Sie lernen gerade etwas sehr Wichtiges“, sagte er, während er mit einem leichten Schnippen die Bedienung auf sich aufmerksam machte.
„Einen Campari Soda, bitte“, bestellte er gleich darauf ungerührt, „am besten gleich einen doppelten!“
„Und für die Dame?“
„Nichts, danke! Sie war nicht artig und darf leider nur zusehen.“
Die Serviererin sah mich unschlüssig an, fragte sich wohl, ob das ein Scherz sein sollte, schien dann aber an meiner Miene nichts ablesen zu können. Was auch? Ich wusste ja selbst nicht, was ich davon halten sollte. Schließlich nickte sie knapp, brachte ein etwas halbherziges Lächeln zustande und hatte sich abgewandt, ehe ich auch nur ein Wort herausgebracht hatte. Und das wollte etwas heißen.
„Sehen Sie“, sagte er mit genüsslichem Lächeln, „so ist das. Sie würden jetzt gerne etwas tun. Aber Sie sind nicht so frei in Ihrer Entscheidung, wie Sie es gewohnt sind. Das beeinflusst Ihr Verhalten.“
Da hatte er recht. Aber das war nicht alles. Außerdem war ich nämlich auch noch stinksauer. So kaltschnäuzig hatte mich noch kein Kerl gegängelt. Und dann auch noch leer ausgehen lassen. Ein Gläschen egal womit wäre gerade genau das richtige für mein hitziges Gemüt gewesen.
„Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich ihn wütend an.
„Wie bitte?“
„Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich noch einmal. Eigentlich hatte ich viel lauter zischen wollen als vorher, doch das hatte nicht so recht geklappt. Unwillkürlich hatte ich meine Stimme doch wieder gesenkt, damit die Leute am Nebentisch erst gar nicht auf uns aufmerksam wurden.
„Oh, oh!“, sagte er denn auch tadelnd. „Für den Augenblick sind Sie auf meine Gunst angewiesen. Sie werden mich milde stimmen müssen, ob Sie wollen oder nicht. Sonst kommen Sie keinen Schritt weiter. Was ist das für ein Gefühl?“
Schwer zu sagen.
Vor allem hatte das Gefühl etwas von einem Zahnarztbesuch. So ungefähr die letzten Sekunden vor Beginn einer qualvollen Wurzelbehandlung. Dennoch hatte er recht. Ohne ihn wäre ich schön blöd dagestanden.
Aber er zog einfach noch nicht ganz in die Richtung, in die ich wollte.
Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn normalerweise kriegte ich jeden Kerl, der was von mir wollte, mit einem Augenaufschlag in die Spur. Wenn überhaupt mal einer auf dumme Gedanken kam.
Der hier war eine härtere Nuss, wie es schien.
Und ausgerechnet jetzt waren mir buchstäblich die Hände gebunden.
Trotzdem: So leicht sollte der mich nicht kleinkriegen.
„Das Gefühl ist gar nicht so aufregend“, sagte ich so lässig wie möglich. Blöd nur, dass mich gerade, als mir die selbstbewusste Erwiderung über die Lippen kam, eine erschreckende Erkenntnis befiel: Das Gefühl war in Wirklichkeit unglaublich aufregend!
„Hmmm“, schwärmte er indessen und überflog schon einmal die Karte, in die ich noch keinen Blick hatte werfen können. „Das Umherstreifen unter freiem Himmel macht hungrig, nicht wahr?“
Statt einer Antwort warf ich ihm nur einen bitterbösen Blick zu. Ich hatte gewaltigen Hunger. Bärenhunger, Löwenhunger, Spitzmaulnashornhunger, Piranhahunger – ganz egal. Ich brauchte nur endlich was zu futtern!
„Gar kein Hunger?“, hakte er mit leichtem Stirnrunzeln nach. „Versteh ich nicht!“
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