Für meine vom Fressmüll ruinierten Geschmacksnerven war ja selbst der nun servierte Dinkel-Seitan mit Sojakäse nicht wirklich der Bringer.
Webses lobende Worte, die sie für mich und mein Wirken fand, allerdings um so mehr. Vor allem die Art, wie sie mich als wichtige Verbündete in ihrem geheimen Netzwerk beschrieb, eröffnete mir einen ganz neuen Blick auf mich selbst und ließ mir die Zukunft rosarot erscheinen. Da war ich natürlich gerne bereit, den paar belanglosen Forderungen erst gar nicht zu widersprechen, die sie dafür mehr oder weniger zur Bedingung machte. Und die letztlich alle auf Ergebenheit ihr gegenüber hinausliefen.
Bald darauf waren wir bereits beim Espresso. Ganz in Gedanken an die rosige Zukunft versunken führte ich das Tässchen zum Mund. Und zuckte.
„Das ist Bio-Kaffee aus fairem Handel und ohne Zusatzstoffe“, sagte sie mahnend, weil ich wohl etwas zu auffällig das Gesicht verzogen hatte.
„So schmeckt er auch!“, hätte ich fast erwidert, besann mich aber rechtzeitig darauf, dass mir meine Karriere unter den aktuellen Umständen doch wichtiger war als irgendwelche Röstnuancen von Kaffeebohnen.
„Wenn Sie sich als loyal erweisen, können Sie hier sehr rasch vorankommen“, fuhr Webse fort. „Wissen Sie, was A14 bedeutet?“
„A14 gibt es doch nur für den höheren Dienst, dachte ich.“
„Oh, wir arbeiten gerade an einer Ausweitung für verdiente Frauen aller Dienstgruppen. Es ist nur eine Frage der Zeit, das durchzusetzen.“
„Für Männer nicht?“
„Männer werden sowieso maßlos überbewertet“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „meinen Sie nicht auch?“
„Oh, doch, natürlich! Maßlos überbewertet.“
Ich dachte kurz an Arnold und befand, dass selbst er seinen wirklichen Wert erst noch unter Beweis stellen musste. Und zwar möglichst bald!
„Mein Motto war von jeher: eine für alle, alle für eine!“, verkündete Webse salbungsvoll. „Wird es schon bald auch das Ihre sein?“
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Was bestimmt nicht typisch ist für mich. Es war wie eine Aufforderung zum feierlichen Treueschwur, und entsprechend ergriffen war ich. Schade, dass der Kellner in den feierlichen Akt hineinplatzte, weil sie ihn zum Bezahlen herangewunken hatte:
„Getrennt!“, wies sie ihn scharf an. Und ergänzte zu mir gewandt, mit schmallippigem, auffallend kontrolliertem Lächeln:
„Wir wollen doch hier keinen Vorwand für Vorwürfe der Begünstigung schaffen, oder?“
Natürlich nicht! Also zahlte ich etwas verdutzt für mich selbst und durfte feststellen, dass das Mittagsmenü vielleicht nicht das schmackhafteste, dafür aber mit Abstand das exquisiteste des Monats gewesen war. Jedenfalls am Preis gemessen. Naja, gesunde Ernährung muss man sich eben etwas kosten lassen. Und die Mitgliedschaft in elitären Zirkeln erst recht.
Außerdem waren 17,80 Euro kein wirklich hoher Preis dafür, dass ich nach allem, was Webse gesagt hatte, jetzt endlich dazugehörte.
Wozu auch immer.
*
„Zeit für eine Wohnungsbesichtigung?“, las ich zum soundsovielten Mal vom Display ab.
Fahrig strich ich mir mit der Hand durchs Haar, von vorne unterm Pony bis ganz nach hinten, wo ich mit langen Fingern meinen Hinterkopf umfassen konnte. Der Hinterkopf brauchte eine Massage. Eine Massage des Hinterkopfs fördert das Denkvermögen.
Kann es sein, dass der Mensch eine Nachricht, auf die er sehr, sehr lange mit zunehmender Verbissenheit gewartet hat, irgendwann nicht mehr wahrzuhaben vermag?
Tage, Wochen, Monate hatte ich eine Nachricht ungefähr dieses Wortlauts herbeigesehnt. Und jetzt, wo sie dastand, gut lesbar auf dem Display meines schicken kleinen Galaxy, fiel mir nichts anderes ein, als dass daran etwas nicht stimmen konnte.
Denn die Nachricht stammte von Arnold.
Arnold war kein Immobilienmakler. Ich hatte ihn auch nicht gebeten, etwas für mich zu suchen. Möglicherweise hatte ich mein Problem bei unserem ersten Date nebenbei erwähnt, als ich ihn unterm Sternenhimmel in 500 knappen Sätzen über mich, mein Leben, meine Herkunft, meine Arbeit, meine Figur, meine Vorlieben und meine 23 Lieblingsträume informiert hatte. Oder vielleicht doch bei einem der kleineren Treffen, zu denen wir seither an mehreren neutralen Orten zusammengekommen waren?
Hatte ich da eventuell auch das Problemchen mit dem Geld erwähnt?
Schätze, dass mein ohnehin leichtgängiges Mundwerk in romantischen Situationen noch ein bisschen unaufhaltsamer sprudelt als ohnehin schon. Ich hatte mich einfach immer so wohl gefühlt in diesem mächtigen männlichen Arm, wenn er ihn ebenso selbstverständlich wie entschlossen um mich gelegt hatte. Am liebsten hätte ich den Schutz dieses Arms zwischendurch gar nicht mehr verlassen wollen, wenn das irgendwie möglich gewesen wäre. Überhaupt nie mehr.
Naja, und wenn wir uns sowieso niemals mehr trennen würden, dann war ja wohl auch nichts dabei, wenn ich ganz am Rande erwähnt hatte, dass mein spitzenmäßig gebauter, liebeshungriger Körper in Kürze kein Dach mehr über dem süßen Köpfchen haben würde.
Und nun das!
Mir war auf einmal völlig egal, ob es grade eine günstige Zeit war, ihn anzurufen, und ehe ich noch die Hand wieder richtig aus den Haaren hatte, tutete es schon aus dem Handy.
„Was? Wann? Wo?“, platzte ich heraus, ohne ihn auch nur zu Wort kommen zu lassen.
„Hallo, Maxine. Wären Sie denn interessiert?“
„Interessiert? Ich platze vor Neugier!“
Das war nicht gelogen. Und es bezog sich sogar nur zum kleineren Teil auf die Wohnung. Viel wichtiger war, dass seine Nachricht ganz sicher ein Zeichen war. Ein Zeichen dafür, dass es mit uns was werden würde!
„Aber Sie wissen doch noch gar nichts.“
„Was muss ich schon wissen?“
„Naja – Lage, Quadratmeter, Anzahl der Zimmer … Wäre sowas nicht ganz interessant?“
„Schauen Sie: Ich suche jetzt so lange, dass ich schon sicher war, Wohnungen dürften neuerdings überhaupt nicht mehr vermietet werden.“
„Was denn sonst?“
„Ich dachte eben, sobald irgendwo jemand auszieht, wird das Haus gleich abgerissen.“
„Da wären aber eine Menge Speditionen arbeitslos.“
„Die werden auch abgerissen!“
Er lachte. Sein Lachen war ansteckend. Es steckte bei mir schon wieder einen Brand an, der gar nicht direkt mit Lachen zu tun hatte.
„Na schön“, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in der ich mir bereits ausmalte, wie gerade er diesen Brand löschen konnte, falls es mit der Wohnung etwas werden würde. „Dann sollte ich Ihnen vielleicht die Nummer des Maklers geben, oder?“
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