Gut, das würde sicher reichen, um ihn irgendwann mal wieder zu sehen. Nur wann?
Ich konnte natürlich ein paar Datenbanken bei uns im Amt anzapfen, um mehr über ihn zu erfahren. Aber seit immer mehr vollkommen unbedeutende Leute sich immer panischer dagegen wehren, dass wir in den Ämtern freien Zugriff auf ihre Daten haben, konnte das auch mal Ärger geben. Man konnte als treusorgende Staatsdienerin nie ganz sicher sein, dass nicht später irgend so ein wildgewordener Datenschützer dümmliche Fragen stellen würde, was zwar nie irgendwelche Konsequenzen hatte, aber eben einfach furchtbar lästig war. Deswegen hatte ich mich bereits entschieden, mit dem Anzapfen lieber noch ein wenig zu warten. Was meine Laune allerdings auch nicht grade verbessert hatte.
Gegen schlechte Laune jedoch – das wusste ich mittlerweile aus Erfahrung – half kaum etwas so rasch und so zuverlässig wie ein Auftritt in Uniform. Es ist ein überwältigendes Erlebnis, dieses unvergleichliche Gefühl der Macht zu spüren, wenn die niedriggeborenen Bürgerlichen vor der Uniform kuschen. Sie würden gerne aufbegehren, das sieht man ihren langen Gesichtern an. Aber sie wagen es nicht, weil die Uniform ihnen sagt, dass sie es mit einer Amtsperson zu tun haben. Und einer Amtsperson ist der Sterbliche nun mal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Ja, das wäre jetzt genau das Richtige gewesen, ein paar von denen ein wenig quälen zu können! Nichts Schlimmes natürlich. Nur so viel, dass ihnen der Schweiß auf der Stirn stand und der Widerschein der Ohnmacht in den Augen. Macht über andere zu haben, war einfach wundervoll. Und dass ich dieses Gefühl ausgerechnet jetzt, in diesem Zustand missmutiger Unzufriedenheit mit mir, der Welt und allem übrigen, nicht genießen konnte, machte meine Laune gleich noch ein ganzes Stück schlechter.
Schon die Nacht über hatte ich unruhig geschlafen, am Morgen war ich nur widerwillig aus den Federn geschlüpft, und dann war ich auch im Amt kaum zur Ruhe gekommen. Die Dienststunden hatten sich so entsetzlich gezogen, dass ich es nur mit eisernem Willen geschafft hatte, bis zum Dienstschluss durchzuhalten. Und selbst das nur, weil ich den Dienstschluss dank eines Hinweises aus der Bevölkerung vorverlegen konnte.
Zu meinem Aufgabengebiet gehörte nämlich auch die Überwachung von Parks und Grünanlagen, und wenn es einen Hinweis aus der Bevölkerung gab, dass da etwas im Argen lag, musste ich dem natürlich nachgehen. Um so mehr, wenn es ausgerechnet um einen Park ging, in dem ich mit Connie oft eine Extraschleife drehte, und wenn der Hinweis auch noch besonders zuverlässig war, weil ich ihn mir strenggenommen selbst gegeben hatte. Natürlich erwähnte ich solche unwichtigen Details im Amt nicht extra, und ein Mitglied der Bevölkerung bin ich ja wohl ohne Zweifel.
Schon auf dem Trottoir vor dem Amtsgebäude entschied ich dann, dass die Parkinspektion warten konnte. Wenigstens bis Connie Zeit hatte. Es ist nie gut, wichtige Amtshandlungen ganz allein vornehmen zu wollen.
Zuhause angekommen warf ich mich erschöpft mit dem Handy aufs Bett, um mich mit ihr zum Joggen zu verabreden. Ich brauchte dringend etwas Bewegung, sowohl körperlich als auch geistig. Mir ging einfach zu viel durch den Kopf. Na ja, so viel eigentlich auch wieder nicht, eher immer dasselbe. Derselbe, genauer gesagt.
Es gibt kaum eine Beschäftigung, bei der ich meine Gedanken so frei fließen lassen kann wie beim Laufen. Connie geht es ähnlich, und so treffen wir uns zwei-, dreimal die Woche und laufen eine halbe Stunde vor uns hin, reden ein bisschen dabei und anschließend findet sich immer ein Lokal, in dem wir den Flüssigkeitsverlust umgehend wieder ausgleichen können.
Als ich Connie aus den zuletzt gewählten Nummern herauspicken wollte, fiel mein Blick auf eine Nummer, die mir unbekannt vorkam. Ich wähle prinzipiell keine mir unbekannten Nummern, und wenn ich es doch tue, dann erkenne ich sie hinterher wenigstens wieder. Diese hier nicht.
Erst mit Verzögerung, dann aber schlagartig, wurde mir klar, weshalb: Das war die Nummer, die Arnold gewählt hatte, diese linke Bazille, als er sich ohne Erlaubnis meines Handys bemächtigt hatte.
Wen er da wohl angerufen hatte?
Es interessierte mich zwar überhaupt nicht, und weshalb hätte es das auch tun sollen? Aber immerhin hatte er unerlaubt mein Handy benutzt, da war es doch nur angebracht, wenn ich einer verdächtigen Spur erst einmal nachging. Was ich sonst natürlich niemals getan hätte.
Also wer war es?
Wer konnte es sein?
Garantiert so eine doofe Tussi, mit der er was hatte oder vielleicht gerade was anfangen wollte! Er hatte diese gemein zufriedene Miene aufgesetzt gehabt, als er zu mir zurückgekommen war. Die haben Männer nur dann auf, wenn sie gerade bei einer Frau gepunktet haben. Aber dann immer.
Also wer?
Die Wiederwahltaste hatte ich schon gedrückt, als ich noch gar nicht mit dem Durchdenken fertig gewesen war. So überraschte es mich doch ziemlich, als jetzt aus dem Handy eine samtene Stimme zu hören war, die unversehens einen dicken Kloß in meinem schmalen Hals versenkte:
„Ja, Arnold Kreutzer, mit wem habe ich das Vergnügen?“
Es wäre ein Klacks gewesen, die Verbindung zu trennen und nicht nur den Anruf, sondern auch diesen hinterhältigen Kerl auf der Stelle zu vergessen. Aber sag das mal einer jungen Frau, die gerade von genau der dunklen, samtig warmen Stimme umgarnt wird, die ihr sowieso den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen ist. Und die Nacht über noch viel weniger.
„Ich …“, begann ich zögernd, und das klang so beschämend hilflos, dass die kleine Denkfabrik zwischen meinen Ohren schlagartig in Alarmbereitschaft versetzt und glücklicherweise sofort auf hundertzwanzig Prozent Leistung hochgefahren wurde. „Ich habe mich grade gefragt, wie weit Sie wohl inzwischen mit Ihren Brüsten sind.“
„Ach Sie sind’s, Maxine“, erwiderte er mit einem Lachen.
Seltsamerweise fand ich den Umstand, dass er sich nach beinahe sechsunddreißig Stunden noch an meinen Namen erinnerte, eine tolle Leistung. Für einen Mann, meine ich.
„Ich denke an gar nichts anderes mehr“, antwortete ich bemüht flapsig. Eigentlich war es als ironische Anspielung auf sein Forschungsprojekt gemünzt. Erst als es schon hinaus war, fiel mir auf, dass er meine hingehauchten Worte ohne weiteres auch als Aufforderung zu einem unmoralischen Angebot verstehen konnte. Was zwar auch nicht direkt falsch gewesen wäre, aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Ich gebe zu, dass ich in der Nacht zuvor ein wenig nachgeholfen hatte. Ich hatte natürlich an ihn gedacht und an all die aufregenden Sachen, die wir zusammen angestellt hatten. Nein, die er mit mir angestellt hatte. Ich hatte viel in mich hineingeschmunzelt, weil es sehr angenehme Erinnerungen waren, zumindest wenn ich an die Empfindungen dachte, die er in mir ausgelöst hatte. Ein paar Details waren nicht ganz so schön gewesen, eher ein bisschen blamabel, aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle?
In mich hineinsummend hatte ich mir nächtens ausgemalt, wie schön es mit uns beiden noch werden konnte. Oder wie schön es hätte werden können? Ob es überhaupt noch so etwas wie ein Wir geben würde?
Ach was!
Ich hatte mir alles weiter ausgemalt, in den schönsten Farben, und die meisten dieser Farben waren irgendeine Schattierung von Rosarot. Naja, und soll ein Mädchen dann vielleicht gleichgültig bleiben, wenn es sich vorstellt, wie der Geliebte es in den Arm nimmt, und noch enger in den Arm nimmt und ihm zärtliche Worte ins Ohr flüstert und, und, und, und?
Es war mir auf einmal alles wieder in den Sinn gekommen, als ich nun diese Stimme wieder gehört hatte. Wie es schien, hatte das keinen vorteilhaften Einfluss auf meine Fähigkeit, mich unnahbar zu geben.
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