„War ganz nett gestern“, sagte ich irgendwann hilflos, weil mir einfach kein noch lockererer Spruch einfallen wollte.
Wenigstens wusste er damit schon mal, dass er auf meiner Bewerberskala nicht über ein mageres ‚ganz nett’ hinausgekommen war.
„Oh, ich fand es sogar sehr nett!“, entgegnete er zu meiner Verblüffung. Und dann auch noch in einem Tonfall, der oben am Treffpunkt meiner Schenkel ein Buschfeuer auslöste.
Ein paar Sekunden lang musste ich die Hand auf das Handy legen, damit er mein Keuchen nicht hören konnte.
„Sind Sie noch da?“, hörte ich ihn schließlich fragen.
„Ja, ja!“, entgegnete ich noch immer atemlos, nachdem ich hastig die Hand dort weggenommen hatte, wo sie nicht hingehörte.
„Ich habe von Ihnen geträumt“, erwiderte er ruhig. „Ich hoffe, das stört Sie nicht.“
„Nein, nein“, sagte ich rasch, ehe mir am Ende wirklich noch die Luft wegblieb. „Warum denn auch?“
„Oh, weil es ein reichlich anzüglicher Traum war.“
„Was denn? Sind Sie etwa zudringlich geworden?“
„Könnte man sagen.“
„Hoffentlich haben Sie mir erst rote Rosen gebracht, um sich für Ihr unmögliches Benehmen zu entschuldigen.“
„Nein.“
„Orchideen?“
„Was dann?“
„Ich hatte Sie in Ketten gelegt.“
Jetzt war es so weit. Jetzt blieb mir endgültig der Atem weg. Und was das Schlimmste war: Mir fehlten die Worte.
Wer mich kennt, weiß, wie ungeheuerlich das ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich davor zuletzt ein Mann sprachlos gemacht hatte. Seit ich das erste Mal einen Büstenhalter umgelegt habe, jedenfalls keiner. Auf den Mund gefallen war ich schon als Kind nicht gewesen, aber seit ich jeden Morgen zwei hinreißende Wonnedinger in die Auslage packen konnte, wusste ich, dass die Welt mir gehörte.
Und jetzt auf einmal war ich sprachlos.
„Maxine?“
Seine Stimme klang echt ein wenig besorgt. Rührend!
„… j-jjahh…“
Es war eher ein klägliches Krächzen, das ich da mit letzter Willenskraft zustandebrachte.
„Sind sie okay? Sie klingen so – abwesend?“
„Oh, ich muss bloß nebenbei … gerade … etwas Wichtiges erledigen.“
Erst als ich das gesagt hatte, wurde mir bewusst, dass die Finger meiner freien Hand tatsächlich gerade etwas zu erledigen versuchten. Jetzt war die Hand wirklich an einer Stelle, an die sie nicht hingehörte.
Oder vielleicht doch?
Ich musste schlucken und hatte Angst, er könne etwas davon mitbekommen. Auch keuchte ich jetzt noch mehr als vorher, so dass ich mich schließlich zwang, die Zähne aufeinanderzupressen und die Lippen ebenso. Geatmet wurde nur noch durch die Nase. Zudem wollte ich mich zwingen, die Hand von dieser hochempfindlichen, ja explosiven Stelle fortzunehmen. Doch das misslang auf ganzer Linie.
Das Streicheln war wunderschön. Ich wusste doch genau, wie ich es am liebsten hatte, und während diese unerhört warme, männliche, hocherotische Stimme unaufhaltsam ins Zentrum meiner Ohrmuschel kroch und ungehindert bis tief in mein Inneres vordrang, befiel mich unwillkürlich die Vorstellung, dass noch etwas völlig anderes unaufhaltsam in mich drang. Etwas unerhört Warmes, Männliches, Hocherotisches. Etwas, das eine Frau mit Herz außergewöhnlich glücklich machen konnte.
„Ist Ihnen das peinlich?“, fragte er jetzt in besorgtem Tonfall.
„Was? Was soll mir peinlich sein?“
„Denken Sie sich nichts“, beschwichtigte er sanft.
„Es … war ja nur ein Traum, nicht wahr!“
Der Satz kam fast von selbst über meine Lippen. Ich vermute, es war eine Art natürliche Schutzreaktion, sowas wie ein Notprogramm meines überforderten Gehirns, das nach vorübergehendem Totalausfall gerade nur von einer Art Notstromaggregat gespeist wurde.
„Auch wenn Sie nackt waren. Das ist doch etwas ganz Natürliches.“
„Ich – war – nackt?“, stieß ich entsetzt hervor.
„Ja, sicher. Und in Ketten. Sagte ich das nicht?“
„Vielleicht schon. Ich frage mich nur …“
Wieder musste ich schlucken, weil meine unverfrorenen Fingerchen sich nicht zu schade waren, das Schlüpfrige der Situation schamlos auszunutzen. Was natürlich nicht unbedingt dazu führte, meine Beiträge zum Gespräch intellektuell über die Maßen aufzuladen.
„Ich frage mich nur, ob Sie immer so … wilde Träume haben.“
„Oh, ich erkläre mir das so, dass die Ketten wohl den Wunsch nach einer besonders festen Bindung symbolisieren. Zwischen Ihnen und mir.“
„Ja, das … das leuchtet mir ein“, säuselte ich halbherzig, weil sich um mich herum gerade erste rosa Schlieren zeigten. Meine Knie wurden weich, ein unerhörtes Glücksgefühl durchflutete meinen Leib und meinem Mund fiel es immer schwerer, noch wohlartikulierte Laute zu formen.
„Die Nacktheit wäre dann nur eine belanglose Randnotiz. Sie symbolisiert im Prinzip Ihre völlige Offenheit mir gegenüber“, fuhr er nachdenklich klingend fort. „Aber sie hat auch eine praktische Bedeutung.“
„We-welche denn?“
Mir war fast, als verschluckte ich meine Zunge, doch er sprach ungerührt in einförmig dozierendem Tonfall weiter, als wäre ihm noch nichts an mir aufgefallen. Was ich mir allerdings immer weniger vorstellen konnte.
„Sie haben ein entzückendes Hinterteil!“
Jetzt verschluckte ich meine Zunge. Naja, fast.
„Ich habe was?“, stieß ich hervor.
„Oh, es war gar nicht zu übersehen, so aufreizend schamhaft, wie Sie sich in Ihren Ketten gewunden haben“, entgegnete er entschuldigend.
„In … Ihrem … Traum!“
„Ein formidables Hinterteil! Prall und knackig. Allerbestes Erbgut! Sie können wirklich stolz darauf sein.“
Das war ich auch, jedenfalls ein paar Augenblicke lang, bis allmählich doch das Gefühl überwog, dass unsere Unterhaltung die schmale Grenze zum Bizarren bereits weit überschritten hatte:
„Ich dachte“, stieß ich kurz atmend hervor, „Sie interessieren sich mehr für … ähm … Euter!“
„Ach wissen Sie! In der Anatomie der höheren Säugetiere gibt es immer wieder gewisse Parallelen.“
„Parallelen …“
„Ja. Nehmen Sie nur die Proportionen. Ein wohlgeformtes Hinterteil beispielsweise lässt mit hoher Sicherheit auf ebenmäßige Gesichtszüge schließen und vice versa.“
„Vice versa …“
„Genau!“
„Sie meinen, bei Rappenantilopen.“
„Da auch.“
Diese Stimme machte mich kirre. Vielleicht hatte ich zu lange keine Männerstimme mehr am Ohr gehabt, vielleicht hatte aber auch sein Timbre von Natur aus einen so hohen Schlafzimmeranteil, dass ich es trotz allen Bemühens nicht mehr fertigbrachte, unter der Beschallung durch so viel schmeichelnden Wohlklang den Kopf noch einmal klar zu bekommen.
Auf einmal packte mich wieder dieselbe Empfindung, der ich schon machtlos erlegen war, als er mir im Zoo die Hände gefesselt hatte. Es war eine schrecklich verwirrende Mischung aus heftigem Widerstreben und einer nachgerade selbstverleugnenden Bereitschaft zur Hingabe, die all meine Sinne restlos benebelte.
Völlig aus dem Gleichgewicht geriet ich aber, als ich gewahr wurde, dass die Mitte meines Leibes von dem heftigen Verlangen erfasst wurde, dieser tolle Mann möge mich auf der Stelle wieder in Fesseln legen, möge mich entschlossen in den Arm nehmen, mich leidenschaftlich küssen und dann wild und unerbittlich absolut alles mit meinem wehrlosen Leib anstellen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Und bitte keine Gnade!
Wie ich die Männer kannte, würde er sowieso nicht allzu lange überlegen müssen, womit er denn anfangen sollte.
Je mehr er jetzt noch redete und je weniger ich noch von seinen Worten erfasste, desto sicherer wurde ich, dass ich ihn – genau ihn! – jetzt auf der Stelle zu meiner Verfügung haben wollte. Oder wollte ich doch eher selbst bedingungslos zu seiner Verfügung stehen? Oder vielleicht beides zugleich? Atemlos lauschte ich noch meinen wildgewordenen Empfindungen, da fühlte ich die ersten Vorzeichen dafür, dass es mit mir durchging.
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