Ich hatte mich eine Zeitlang damit versucht, aber nachdem ich eher mich als irgendein Ziel damit traf, hatte ich es schließlich aufgegeben. Zum Glück war ich nie so dumm gewesen, das Gerät vom Rücken eines Pferdes aus zu benutzen. So konnte ich nur staunend zusehen, wie der Reiter seine Kunstfertigkeit bewies.
Er verkürzte hoch aufgerichtet die Distanz zum Ziel. Noch etwa zwei Seillängen trennten die beiden. Während ich zusah, hatte ich mich stöhnend erst auf die Knie, und schließlich gänzlich wieder aufgerichtet. Schwert und Schild ließ ich achtlos im Gras liegen, die hätten mir jetzt nichts genutzt.
Ein Bogen wäre eine Hilfe gewesen, aber den letzten hatte ich beim Würfelspiel verloren. Also blieb mir nichts anderes übrig, als meine „anderen“ Fähigkeiten einzusetzen.
Mit pochender Stirn, hämmernden Kopfschmerzen und einem geschundenen Rücken sammelte ich mich und versuchte gleichzeitig meinen Atem zu beruhigen und das Geräusch brechender Knochen und reißendes Fleisches auszublenden, mit denen Shadarr das Pferd verspeiste.
Ganz schwach nahm ich das Aufflackern meiner Kräfte war. Tief in meinem Inneren verbarg sich nach meiner Vorstellung ein großes bodenloses Loch, dass ich die meiste Zeit mit einem unendlich schweren Deckel verschlossen hielt. Nach Möglichkeit dachte ich so wenig wie ich konnte daran.
Wollte ich den Maganer retten, musste ich jetzt jedoch darauf zurückgreifen.
Wie Wasser in einem überquellenden Brunnen, stieg aus dem Inneren des Schachts Energie auf. Sie drückte den Deckel zur Seite und floss in meinen Körper. Breitete sich über meine Arme und Beine aus, strömte in den letzten Winkel und füllte mich gänzlich mit Macht. Vor Freude jubelte ich beinahe laut auf, konnte mich jedoch im letzten Moment noch zurückhalten. Nur ein Seufzer der Befriedigung entfuhr mir. Während ich mich gleichzeitig widerlich beschmutzt fühlte.
Ich konzentrierte mich darauf, die Energie in den linken Arm zu lenken. In meiner Hand ballten sich die Ströme zusammen bis ich sie kaum noch zurückhalten konnte. Ich riss den Arm ausgestreckt nach vorne und zielte damit auf den Reiter mit der Bola.
Meine Finger wurden von der gewaltigen Kraft wie von alleine weit auseinander gespreizt und ein Blitz raste krachend aus meiner Handfläche, überwand die Strecke von drei Seillängen in weniger als einem Lidschlag und bohrte sich direkt in den Rücken des Reiters. Er bäumte sich ohne einen Laut auf und schleuderte die Bola unkontrolliert nach vorne. Sie wirbelte davon und streifte dabei den Maganer am Hinterkopf, als dieser gerade den Waldrand erreicht hatte. Stolpernd verschwand er zwischen den Bäumen.
Der Reiter brach im Sattel zusammen und sein Pferd drehte nach Norden ab.
Die Energie in meinem Körper war noch immer da und ließ meine Muskeln zittern. Alle Haare an meinem Körper richteten sich auf und nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass sie ungewollt aus mir hervorbrach. Schweiß stand mir auf der Stirn, während ich sie langsam wieder zurück in das Loch zwang.
Natürlich gab es kein wirkliches Loch, aber ein Lehrmeister hatte einmal dieses Bild vorgeschlagen, um mir zu helfen, die Energien zu kontrollieren.
Gefühlte Ewigkeiten später ebbte die Energie endlich wieder ab und der Deckel senkte sich über die Quelle.
Ich atmete tief ein und hatte prompt den Geruch von Tod, und verkohltem Fleisch in der Nase und den Geschmack von Blut und Eisen auf der Zunge. Das war für meinen Körper anscheinend zu viel, denn ich verlor den Kampf mit meinem Magen erneut und würgte vorn übergebeugt einige Male bittere Flüssigkeit empor.
Das rettete mir vermutlich das Leben, denn noch im Vorbeugen spürte ich den Luftzug eines Armbrustbolzens, der an mir vorbei pfiff. Ich hatte den letzten Reiter völlig vergessen. Er preschte wenige Mannslängen entfernt an mir vorbei. Hätte er ernsthaft versucht, mich zu töten, wäre es jetzt wohl um mich geschehen gewesen, aber er hatte die Armbrust auf gut Glück auf mich abgefeuert, während er flüchtete.
Ich sah ihm hinterher, wie er sich entfernte. Einen Moment blieb ich noch vorgebeugt stehen und beobachtete ihn, dann hob ich mein Schwert und meinen Schild auf und ging zu dem Toten, der neben Shadarr lag.
‚ Um die Beute streiten? ’, fragte er mich, während ich den Mann untersuchte.
‚ Nein. Ich bekomme die Rüstung, Du den Mann ’, gab ich ihm zu verstehen.
‚ Mann riecht schlecht.’
Überrascht sprang ich ein paar Schritte zurück.
„Du meinst, er war schon vorher tot?“
Untote Reiter? Großartig. Schon jetzt war mir klar, dass ich gar nicht wissen wollte, worein ich hier geraten war.
‚ Riechtschlecht noch nicht lange.’
„Also erst vor Kurzem gestorben.“, überlegte ich laut.
Die Rüstung war neu, von sehr guter Qualität aber völlig schmucklos. Auch der Helm war völlig ohne besondere Zeichen. Ein komplett geschlossener, brünierter Topfhelm mit runder Kalotte und mit einem für eine Reiterrüstung sehr breiten, einzelnen Sehschlitz.
Die Hände steckten in Kettenhandschuhen mit rauen ledernen Handflächen und die Füße wurden von eisenbeschlagenen Stiefeln bedeckt.
Die Machart und der Stil der Sachen verriet normalerweise ihre Herkunft, aber eine Rüstung wie diese hatte ich noch nie gesehen. Das wollte nicht viel heißen, denn es gab sehr viele Rüstungsschmiede.
Ich sah mich nach dem Schild um. Er lag ein paar Schritte weiter. Keine Zeichen darauf. Immerhin, das Holz aus dem es gemacht war, stammte aus dem Westen und wurde von fingerbreiten Eisenbändern mit dreieckigen Nieten zusammengehalten. Diese Art der Schilde wurde nur in einer Region gefertigt, auch wenn ich noch nie dort gewesen war.
„Morak. Ziemlich weit weg von hier.“
Kein Wunder also, dass ich die Rüstung nicht erkannt hatte. Das Land war für Ausländer verbotenes Territorium. Dort erwischt zu werden, bedeutete den sicheren Tod. Also hatte ich bisher einen großen Bogen um das wenig gastfreundliche Land gemacht.
Vorsichtig beugte ich mich wieder zu dem Toten herunter und zog ihm den Helm vom Kopf. Ein übelriechender Gestank wehte mir entgegen. Tatsächlich, der Reiter war schon vor dem Kampf tot gewesen. Lange vorher. Viel länger, als Shadarr gesagt hatte.
Ein Schädel starrte mich einen Moment lang an, dann fielen die Augenhöhlen plötzlich nach innen, gefolgt von den Zähnen. Vor meinem überraschten Blick zerfiel er plötzlich zu Staub. Der Prozess hörte nicht mit dem Schädel auf, denn Augenblicke später rieselte feines Pulver aus den Öffnungen der Rüstung, auf der sich rötlich-braune Flecken bildeten.
Erschreckt warf ich den Helm zur Seite und machte in der Luft ein Schutzzeichen gegen Böses. Der Körper und die Rüstung in der er gesteckt hatte, verwandelten sich nach und nach in Staub und Rost. Nach ein paar Herzschlägen war nichts mehr von ihnen übrig als Flecken im Gras, die vom Wind davon geweht wurden. Einzig das Schwert und der Schild waren übrig geblieben. Ein Blick auf das Schwert brachte mir keine weiteren Erkenntnisse. Es war Massenware, die man beinahe auf jedem Markt erwerben konnte.
Ohne neue Erkenntnisse machte ich mich also langsam auf den Weg in Richtung Waldrand, um nach dem Maganer zu sehen, der schließlich irgendwo abgeblieben sein musste.
Vielleicht erhielt ich von ihm Antworten auf einige der Fragen, die mir durch den Kopf gingen.
Davon, dass sie sich bei ihrem Tod in einer Stichflamme auflösten hatte ich zwar gehört, glaubte aber nicht wirklich daran. – Andererseits würde das erklären, warum viele von ihnen für große Feuer verantwortlich gemacht wurden.
Auf halbem Weg sah ich plötzlich einige hundert Schritte nördlich der Stelle, an er verschwunden war, wie mehrere Gestalten aus dem Wald traten. Sie waren zu weit weg, als dass ich sie klar erkennen konnte.
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