ARMIN HIRSEKORN
RENATE HIRSEKORN
Autoreisen durch Russland und damalige Sowjetrepubliken
Alle Rechte vorbehalten © 2016 by Armin und Renate Hirsekorn, Dresden, Germany
Vorwort
Ziemlich verrücktes Vorhaben
Standard- oder Sonderprogramm
Anreise und Grenzübergänge
Unendliche Autopisten
Moskaubesuch und seine Folgen
Goldener Ring Russlands
Leningrad und das Baltikum
Schlammbad im Tambukan See
Frühstück am Kreuzpass
Anmache am Tbilissi-See
Schlagbaum vor Armenien
Kniefall vor Stalins Totenmaske
Kolchosschmiede an der kaukasischen Riviera
Schwalbennest und Märchenwiese
Minarett und Baumwollblüte
Rückkehr
Anhang
Verzeichnis der Bildtexte
Was hat uns wohl veranlasst, dieses Buch zu schreiben, 35 Jahre nach unseren Erlebnissen in der Sowjetunion und 25 Jahre nach der Wende? Es entstand vorwiegend aus unseren Notizen während der Autoreisen durch die Sowjetrepubliken, in den Jahren 1978 bis 1989. Wir haben knapp 40000 Kilometer, meist mit dem eigenen Auto, auf nahezu allen in diesen Jahren freigegebenen Touristenstrecken der Sowjetunion, zurückgelegt.
Viele Jahre waren wir unsicher, ob es sich lohnen würde, uns mit der späten Durchsicht der Notizen, Manuskripte und Bilder zu befassen, im Zweifel, ob diese Arbeit auch wirklich einen Sinn machen würde und wir im Alter den Antrieb aufbringen könnten, ein solches Vorhaben zu vollenden. Vor dem Aufwand scheuten wir fast ein halbes Jahrhundert. Wir wussten, ein E-Book mit dem Titel „Reisen in Russland, als Autotouristen in den damaligen Sowjetrepubliken “ würde nicht sehr viele Leser finden. Doch Renate und ich hatten während unserer Fahrten mit dem LADA so viele wunderbare Erlebnisse, so einmalige Begegnungen mit den Menschen, dass es uns reizte, sie aufzuschreiben und als E-Book herauszugeben.
Sehr viele DDR-Bürger besuchten die Sowjetunion als Gruppenreisende über Intourist oder im Freundschaftsaustausch der Betriebe. Doch wir erinnern uns gerne an die Fahrten durch die Weite des Landes, allein, ohne jede Begleitung, an die Exkursionen als Individualreisende, mit dem Reiseleiter von Intourist als Beifahrer im eigenen Fahrzeug.
Der ständige Konflikt von Unendlichkeit und Nähe begleitet uns ein Leben lang, die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne, der bedrohenden Endlosigkeit und der gleichzeitige Wunsch nach Berührung, Wärme und Geborgenheit. Viele Menschen sind an diesem Konflikt zugrunde gegangen und ganze Staaten. Die DDR zerbrach an der Enge und den Mauern, die sie ihren Bürgern errichtete. Eine durch die Machthaber erzwungene Abschottung über Jahrhunderte, wie in China, über Jahrzehnte, wie in der Sowjetunion, ließ sich nie auf die Dauer halten. Das Fernweh und der Entdeckerdrang, eine dem menschlichen Wesen immanente Eigenschaft, ließ ihn die Mauern durchbrechen.
Immer wieder waren auch wir bei unseren Fahrten durch die unendliche Weite Russlands und der damaligen Sowjetrepubliken diesem Konflikt ausgesetzt. Unendliche Strecken legten wir zurück, die aneinandergereiht eine Erdumrundung ergeben würden, doch am Ende trieb es uns mit aller Macht nach Hause. Wir erinnern uns an einen Augenblick der Rückkehr, als wir im Oktober 1980 die Union über die Waldkarpaten verließen und Renate nachdenklich feststellte: „Gulliver mag sich so gefühlt haben, als er aus dem Land der Riesen ins Land der Zwerge kam!“
„Ja, du hast Recht! Die Berge werden kleiner, die Hügel verkümmern, die Steppen und Wälder verlieren ihre unendliche Ausdehnung, schmaler werden die Straßen und enger die Gassen, Felder schrumpfen wie Leinentücher nach einer heißen Wäsche!“
Etwas nachdenklich setzte Renate ihren Gedankengang fort: „Wie schwierig muss es doch sein, dieses riesige Land zu regieren und eine gehörige Ordnung darin durchzusetzen?“
Inzwischen sind unsere Erlebnisse - nach rund vierzig Jahren! - schon von historischer Bedeutung. Es war uns möglich, unbehindert die Grenzen der Sowjetrepubliken zu überschreiten, mit einer Ausnahme – beim Übergang von Georgien nach Armenien – ohne jeden Schlagbaum, ohne kriegerische Unruhen und Spannungen. In den Jahrzehnten seitdem wäre das nicht möglich gewesen und ist es immer noch nicht.
Was das Buch interessant macht, wäre in der DDR sicher nicht veröffentlicht worden. Es gab dafür mehrere Gründe: Die Reisen waren kontingentiert, nur möglich mit Antrag und Genehmigung der Betriebsgewerkschaftsleitung, - bei langwieriger und umständlicher Überprüfung der Personalien. Und es gab nur ein eng begrenztes Limit für Reisen der Autotouristik. Man war in der Sowjetunion sicher mehr an Besucher aus den Ländern des Westens und aus Japan interessiert. Auch war die Möglichkeit solcher Fahrten in der DDR fast unbekannt, da keine Werbung auf sie aufmerksam machte. Nicht zu vergessen sei auch eine gewisse Voreingenommenheit der breiten Bevölkerung gegen die unbequemen und mit einigem Risiko behafteten Fahrten als Individualtourist. Es gab die allgemein verbreitete - richtige, doch stark negativ interpretierte - Auffassung: „Da muss man ja nur vorgegebene Strecken fahren!“ Sicher führte auch die formale Übertreibung des Freundschaftsgedankens zur Sowjetunion zu einer gewissen Skepsis.
Heute jedoch erscheint es uns interessant, auf die alten Notizen zurückzugreifen. Das Interesse für Russland ist gewachsen. Es gibt viele Journalisten, die das Land bereisen und in den verschiedenen Medien über Russland berichten. So mag sich in der öffentlichen Wahrnehmung des russischen Volkes und seiner Geschichte einiges verändert haben.
Deshalb haben auch wir uns entschlossen, unsere Notizen und Bilder aufzubereiten und über unsere Autotouristikreisen in der ehemaligen Sowjetunion zu berichten. Wir überspannen mit unserem Buch, wenn auch nicht chronologisch, einen großen historischen Bogen von eineinhalb Jahrtausenden: von Rjurik, dem sagenhaften Begründer Nowgorods, über Iwan den Schrecklichen, der die Tartaren besiegte, bis zu Peter dem Ersten, Katharina der Großen, Napoleons Russlandfeldzug, und die Zeit vor und nach der Oktoberrevolution.
Die Fotos sind während unserer Fahrten als Diapositive aufgenommen worden, später wurden sie eingescannt und einer digitalen Bearbeitung unterzogen. Das macht ihre geringe Qualität im Vergleich zum Stand der heutigen Fotografie verständlich. Wegen ihres jeweils typischen Inhaltes haben wir uns entschlossen, auch einige weniger gute Aufnahmen in das Buch aufzunehmen.
Renate ist mit ihren Tagebuchnotizen, ihren Erinnerungen, Ideen, und mit der abschließenden Korrektur an diesem Buch beteiligt. So ist die Fassung des Buches vorwiegend aus der Sicht des Ich-Erzählers zu verstehen.
Ziemlich verrücktes Vorhaben
Das war die Meinung vieler Menschen, denen wir von den Vorbereitungen für unsere Autoreise in die Sowjetunion im Jahre 1978 erzählten: „Ihr ahnt ja nicht, was da auf Euch zukommt: schlammige Wege, primitive Unterkünfte, Risiken mit dem Fahrzeug auf den unendlichen Straßen des Landes, dazu die Vorschriften, die ununterbrochene Aufsicht und Kontrolle durch die Sowjets. Täglich sind nur 500 Kilometer erlaubt, und keine Abstecher von der Hauptstrecke sind zugelassen. Alle paar Kilometer stehen an der Strecke die rundum verglasten Kontrollbaracken der Verkehrspolizei, hinter denen sie Euch schon von weitem mit dem Fernglas ins Auge fassen.“
Renate und ich ignorierten diese Warnungen. Zu unserem Glück, sonst könnten wir nicht auf eine unendlich schöne Etappe unseres Lebens, in den Jahren 1979 bis 1989, zurückblicken.
Die täglich 500 Kilometer Fahrstrecke nahmen wir schon bei der Planung nicht als Reglementierung, auch nicht die GAI-Posten der Verkehrspolizei an den Überlandstraßen, sondern als Sicherheitsmaßnahme zu unserem Vorteil. Unterwegs, auf der Strecke, in der Weite des Landes, kann unendlich viel geschehen, ob nun ein Unfall, eine verpasste Tankstelle, ein Steinschlag, eine Landung im Schlammloch oder ein übles Delikt. Kämen wir nicht planmäßig im nächsten Hotel oder Motel an, dann würde man nach uns suchen. So empfanden wir auch diese Posten als einen wichtigen Teil dieses Systems, und wir haben uns durch sie nie unzumutbar beaufsichtigt, sondern immer relativ sicher gefühlt. Und selbstverständlich sind wir immer davon ausgegangen, dass wir die Gesetze, Regeln und Gewohnheiten in dem Lande, das wir besuchen, zu achten und zu beachten haben. Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben: Nicht immer haben wir dieses eigentlich selbstverständliche Prinzip bei den Fahrten durch die Weite des Landes beachtet, vor allem nicht, was die vorgegebenen Fahrtrouten betrifft.
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