Odas Augen hingen strahlend an den Lippen des Rühmenden. „Mich dünkt, Ihr seht ihm von seinen Brüdern am ähnlichsten“, sprach sie.
„Findet Ihr?“ lächelte er, und nun war die Reihe zu erröten, an ihm. „Vielleicht im Gesicht, aber ein Mann wie er werde ich nie“, sagte er bescheiden.
„Da denke ich besser von Euch, Graf Siegfried!“ sagte sie freundlich. „Ihr werdet Euch noch manchen Dank gewinnen!“
„Könnt' ich ihn nur stets aus Eurer Hand empfangen!“ sprach er mit einem warmen Blick.
„Wenn Ihr ihn gewonnen und ich ihn zu vergeben habe, so soll er Euch nicht fehlen, das versprech' ich Euch!“ erwiderte sie lächelnd.
Ein rötlicher Schmetterling flog von außen zur Fensteröffnung herein und umflatterte Odas Haupt. „Seht!“ sprach sie, „ein beschwingter Herold des Frühlings hat Eure Burg erstiegen; gegen den seid Ihr wehrlos!“
„Er hat hier oben die schönste Blume gewittert, die uns der Frühling gebracht hat“, erwiderte er.
„Ihr seid ein Schmeichler, Graf Siegfried!“ lächelte sie und erhob sich. „Solche Worte passen wenig zu diesen grauen Felsenwänden und noch weniger für das Ohr einer armen Gefangenen.“
„Wer ist denn hier der Gefangene?“ frug er noch sitzen bleibend. Aber sie hatte schon ein paar Schritte dem Ausgange zu getan und gab keine Antwort.
„Wartet!“ rief er ihr nach und sprang auf. „Laßt mich voraus, es geht da steil und beschwerlich hinab.“
Sie ließ ihn vor und schritt die Stufen, die von dem Felsen auf den Burghof führten, dicht hinter ihm hinab, wobei sie sich mit einer Hand auf seine Schulter stützte. Wonnig fühlte er die sanfte Berührung.
Unten kamen sie an der dunklen Öffnung eines Stollens vorüber, der schräg in die Tiefe des Felsens hinein führte. Auf eine Bemerkung Odas über den unterirdischen Gang entgegnete Siegfried: „Er ist halb verschüttet, und wir brauchen ihn nicht; sie nennen ihn das Tempelherrenverlies, und – ich weiß selbst nicht warum.“
Er wußte es wohl, wollte es aber nicht sagen, und Oda frug nicht weiter.
„Nun will ich Euch noch meine Vögel zeigen“, sprach er. „Aber erst sollt Ihr die schwächste Seite des Regensteins von nahem besehen, damit Ihr Euch immer sicherer hier fühlt, falls sie etwa kommen sollten, Euch mit Gewalt von uns wegzuholen.“
„Freiwillig ging ich auch nicht mit“, erwiderte sie und sah ihn dabei schelmisch an.
Er führte sie nun über grünen Rasen und durch Gebüsch an den Befestigungen entlang, und sie sah mit steigender Verwunderung die Ausdehnung der Burg und die bemoosten, efeuumsponnenen Klippen, Ringmauern und Türme, die den Zugang auch an der schwächsten Stelle noch so unbezwinglich verteidigten.
„Dies ist mein Falkengärtlein mit hochfliegenden Vögeln“, sprach er, als sie endlich zu dem Vogelhause mit einem freien, von Gitterwerk umgebenen und überspannten Platze kamen, wo die Jagdfalken saßen. „Würde es Euch Freude machen, mit mir einmal auf die Beize zu reiten?“
„Große Freude!“ erwiderte sie.
„Gut! also nächstens!“
Ein fröhlicher Ruf aus dem Horne des Türmers erklang.
„Da kommt Albrecht zurück“, rief Siegfried, „wollen wir ihm entgegen?“
Oda nickte, und sie eilten zum Tore, wo sie eben eintrafen, als Graf Albrecht zu Pferde aus der dunklen Wölbung hervortauchte. Er stieg ab, klopfte das Roß mit der flachen Hand und sagte: „Geh, Brauner, weißt ja Bescheid hier!“ Der ging ruhig seines Weges zum Marstall der Oberburg.
Albrechts Blick ruhte mit Freuden auf den beiden jugendlich blühenden Gestalten. „Was tut Ihr denn hier?“ frug er.
„Ich habe unserer lieben Gefangenen ihren Kerker gezeigt“, antwortete Siegfried errötend, wie auf verbotenen Wegen ertappt.
„Seid Ihr mit Eurem Kerkermeister zufrieden, Fräulein?“ frug Albrecht lachend.
„O ja, Herr Graf! einen milderen konntet Ihr mir nicht bestellen“, erwiderte sie mit einem freundlichen Blick auf Siegfried, den ihr dieser herzinnig zurückgab.
Albrecht sah es und lächelte still vor sich hin. „Kommt!“ sprach er dann und ging ihnen schweigend zum Palas voraus.
Ein sonniger Gedanke stieg ihm in der Seele auf: Siegfried und Oda! die beiden fürs Leben vereint und die Grafschaft Falkenstein als Odas Mitgift zur Machterweiterung des Regenstein'schen Hauses, – welche ein Wunsch und Ziel!
Und ehe der Graf heut abend einschlief, war der Wunsch zum festen Plan bei ihm geworden.
Auf dem Regenstein war jetzt ein beständiges Gehen und Kommen reitender Boten. Graf Albrecht hatte dem Bischof von Halberstadt in der nachdrücklichsten Weise geschrieben, daß er die Einverleibung der Grafschaft Falkenstein in das Bischof unter keinen Umständen dulden und äußersten Falles mit Waffengewalt verhindern würde, um der rechtmäßigen Erbin, Gräfin Oda, die sich auf dem Regenstein unter seinem besonderen Schutze befände, ihr Recht zu wahren und ihr einstiges Erbe zu sichern. An die Grafen von Mansfeld, von Hohnstein und von Stolberg hatte er ebenfalls Schreiben erlassen mit der freundnachbarlichen Aufforderung, ihm gegen das widerrechtliche Umsichgreifen der bischöflichen Macht kräftig und förderlich beizustehen. Die Hilfe auch der Grafen von Blankenburg und von Wernigerode anzurufen, hatte er gar nicht erst versucht, denn er wußte, daß auf diese in ihrer Eifersucht auf das Emporblühen des Regenstein'schen Stammhauses nicht zu zählen war. Die ihm befreundeten Harzgrafen aber erklärten sich in ihren Antworten mit Albrechts Meinung durchaus einverstanden, sagten ihm ihre Hilfe im Kriegsfalle zu und wollten dann auf seinen Ruf mit ihrem Gesinde zu Roß und zu Fuß heranrücken.
Zum Grafen Hoyer von Falkenstein war Albrechts Bruder Bernhard selber geritten, um ihm mündlich dringende Vorstellungen über seine unverantwortliche Begünstigung des Bischofs zu machen.
Odas Gefangennahme war schnell bekannt geworden im Lande, und Albrechts Feinde, namentlich die Städter, erhoben ein großes Geschrei darüber. Abenteuerliche Erzählungen knüpften sich daran, wie sie in Hinterhalt gelockt und, natürlich wieder von der bösen Sieben, mit ihrem reisigen Gefolge überwältigt sei dicht bei der Stadt Quedlinburg, die nun wohl werde ausbaden müssen, was innerhalb ihrer Feldmark gefrevelt sei, denn der Falkensteiner werde sowohl ihr wie ihrem Schirmvogt – ein schöner Schirmvogt, dieser Raubgraf! – bald genug Fehde ansagen.
Graf Hoyer, dem die beiden von Bock entlassenen Reisigen die Nachricht überbrachten, hatte die Gefangennahme Odas durch einen Regenstein'schen Dienstmann für einen Irrtum gehalten, den Graf Albrecht gewiß schnell gutmachen und gebührend entschuldigen werde. In dieser Absicht glaubte er den Grafen Bernhard gekommen. Als er sich jedoch hierin getäuscht sah, und vollends als er auf seine Frage erfuhr, daß seine Schwester noch nicht freigegeben war, machte er sehr ernsthafte Miene, dafür den Gast in den Turm zu werfen. Erst als ihm Bernhard mitteilte, in welcher Weise Oda, die ihnen nur ein glücklicher Zufall in die Hände gespielt hätte, auf dem Regenstein gehalten würde und daß ihr dortiges mit der größten Freiheit ausgestattetes Verbleiben vielmehr eine Maßregel gegen den Bischof als gegen ihn, den Grafen Hoyer, wäre, beruhigte er sich einigermaßen und erklärte, daß ihm die Abtretung der Grafschaft keineswegs so eilig wäre wie dem Bischof, dessen heftigem Drängen nachzugeben er durchaus nicht gesonnen sei.
Mehr war nicht von ihm zu erreichen, am wenigsten ein bindendes Versprechen, von seinem Vorhaben gänzlich abzustehen. Gegen dieses Verlangen schützte er teils sein dem Bischof gegebenes Wort, teil seinen und seiner Gemahlin dringenden Wunsch vor, sich aus der Welt zurückzuziehen, und wollte Rücksichten auf seine Schwester Oda nicht gelten lassen; nur gefangen wollte er sie nicht wissen und forderte ihre sofortige Freilassung. Diese verweigerte Graf Bernhard mit der bestimmten Erklärung, daß die Regensteiner die Übergabe der Grafschaft Falkenstein an den Bischof nun und nimmer dulden würden. So schieden sie in Unfrieden voneinander, und Bernhard kehrte unverrichteter Dinge zurück.
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