»Wie meinst du das? Was soll man mit 40 verpasst haben?«
Ich war etwas überrascht, weil ich nicht wusste, worauf er hinauswollte. Ich war in Rente. Mich konnte er nicht meinen.
»Was ein Mann in der Midlife Crisis halt so verpasst. Junge Hühner ins Bett kriegen und unabhängig sein, reisen, was auch immer. Aber man ist dabei jung, so jung wie damals, als man all die Sachen nicht gemacht hat, die man machen wollte und an die man immer zurückdenkt, immer, dauernd. Immer denkst du: ach, hätte ich doch damals das Mädchen geküsst, oder hätte ich doch das ausprobiert und das. Stell dir vor, du würdest mit Mitte 40 eines Tages in deinem eigenen Körper wieder aufwachen. Als junger Mensch, mit 18 oder 19. Aber mit dem Wissen eines 45jährigen. Wäre das was für dich?«
So ein verrückter Quatsch. Zeitreise im eigenen Körper. Aber jetzt ahne ich, worauf er hinauswill. Er will wissen, ob ich anders mit seiner Mutter umgegangen wäre. Also hat sie ihm doch was erzählt.
»Was sollte ich anders machen? In Bezug auf deine Mutter?«
David neigt den Kopf. »Ja, vielleicht. Du weißt, dass sie und die Männer… ich meine, sie hat einen kleinen Hass auf Männer entwickelt, oder?«
Also hat sie mit David über mich geredet. Dieses blöde Stück. Dabei hatte ich ihr ziemlich viel Geld gegeben. Und ihr gesagt, ihre Mutter würde es nicht überleben, wenn sie davon erfuhr. Mir wird schwindelig. Doch als David weiterspricht, wird mir klar, dass die Aufregung umsonst gewesen ist.
»Sie hat die Trennung von Papa nicht verkraftet. Sie ist immer noch sauer auf Männer. Sie trägt diese Kränkung mit sich herum, seit Jahren. Aber sie weigert sich, darüber zu sprechen. So wie Oma. Die redet auch nicht, oder?«
Gertrud und reden? Die doch nicht. Mein Puls beruhigt sich etwas. Sein Vater also ist es.
»Und was hat Brigittes Hass auf deinen Vater mit mir zu tun?«
»Nun, du bist der erste Mann in ihrem Leben. Und Omas auch. Ich kann mir vorstellen, dass die beiden…«
Er redet nicht weiter. Mir wird wieder unwohl. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er mehr weiß, als gut für mich ist.
»Hast du schon mal über eine Patientenverfügung nachgedacht?«
Davon hatte ich noch nie gehört.
»Erklär mir das bitte.«
»Die ist ein bisschen wie ein Testament. Da steht drin, was die Ärzte machen dürfen, um dich am Leben zu halten. Wenn du nicht mehr über dein Leben bestimmen kannst, weil du im Koma liegst. Stell dir vor, du ziehst dir eine Infektion zu, sagen wir, weil du mal fremdgegangen bist mit einer Prostituierten.«
Beinahe hätte ich vor Überraschung laut aufgeschrien. Woher wusste er das? Vor einem halben Jahr war David noch an meiner Pornosammlung interessiert, die es nicht geben durfte und die ich verleugnete, und jetzt ahnte er von meinen geheimen Treffen?
»Wie meinst du das?«
»Nur rein theoretisch. Stell dir vor, du wirst im Krankenhaus behandelt und steckst dich dort mit einem viel fieseren Keim an, dein Hirn wird dadurch angegriffen, dein Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide, du fällst in eine Art Koma und wirst in kurzer Zeit unfähig, selbst zu atmen. Dann wird man dich an ein Gerät anschließen und am Leben erhalten, aber du wachst aus diesem Koma nicht mehr aus. Dein Hirn ist tot, dein Körper lebt. Du kannst aber nicht sterben.«
Ein Ende im Krankenbett, zwischen Tod und Leben, war eine schreckliche Vorstellung. Dahinvegetieren. Was ist das? Eine versteckte Drohung? Eine Ahnung? Eine Strafe für meine perversen Neigungen? Mich kann doch nur bestrafen, wer davon wusste.
»Das ist ja grausam«, sage ich nur. David trinkt von seinem Bier. »Was kann ich dagegen machen?«
Gegen die Vorstellung, zwei Frauen ausgeliefert zu sein, die sich an mir rächen wollen.
»Schreib eine Patientenverfügung, deine Tochter wird dich sonst nicht gehen lassen. Sie will keinen Mann mehr gehen lassen, ohne dass sie die Kontrolle hat. Und Oma, keine Ahnung, die wird sich wahrscheinlich einfach nicht durchsetzen können. Vielleicht hast du zu wenig abgewaschen? Bist du am Ende mehr als einmal fremdgegangen? Aber vielleicht will Oma dich auch aus Liebe nicht gehen lassen.«
Fremdgehen. Wenn es nur das wäre. David hat ja keine Ahnung. Und das ist auch gut so. Er spekuliert. Vielleicht weil sein Vater auch fremdgegangen ist. Oder seine Mutter, die kleine Schlampe. Weil er ebenso mit dem Schwanz denkt wie jeder Mann. Sind doch alle wie wir. Und die Frauen sind nur eifersüchtig, dass sie nicht ewig jung bleiben können und wir Männer nicht auf alte Frauen stehen.
»Du meinst, wenn ich über eine diese Verfügungen klarmache, dass ich nicht gegen meinen Willen am Leben gehalten werden will, dann schaltet ein Arzt die Maschine ab?«
»Die wird gar nicht erst angeschaltet«, sagt David und trinkt sein Bier aus. »Ich kann dir sagen: Es ist kein schöner Anblick, jemanden so dahinvegetieren zu sehen.«
Es ist schon spät. Ich habe wieder mehr getrunken als gut für mich ist. Ich glaube, ich gehe noch eben in den Keller und blättere durch ein paar Hefte. Ich habe mir hinter die Regale einen Sessel gestellt. Vom Gang aus kann man nichts sehen, wenn ich dort sitze und genieße. Diese ganze nackte Haut, diese gespreizten Schenkel, und daran denke, wie es früher war, als meine Tochter noch bei uns gewohnt hat und wie es sein wird, wenn wir uns im Kreise Gleichgesinnter wieder treffen.
»Woher weißt du das alles? Das mit dieser Verfügung?«
»Ich habe mich ein bisschen mit der Zukunft unserer Familie beschäftigt. Mit dem Alter.«
»Und wieso glaubst du, dass mich das treffen könnte?«
Was für ein merkwürdiger Junge, sein Bruder ist so anders. Aber vielleicht hat er einfach auch endlich nur mal richtig gevögelt. Das Mädchen, das ihm den Kopf gewaschen hat, würde ich gerne mal kennenlernen.
Vielleicht finde ich im Keller eines in den Heften, das ihr ähnlich sieht. Aber vorher muss ich noch dieses Schreiben fertigmachen. Diese Vollmacht. Nur zur Sicherheit.
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