Was ich schade fand, war, dass sie uns David und Lars vorenthalten hat. Wir haben die beiden kaum gesehen, in den ersten Jahren, erst später, als sie sich vom Vater der beiden getrennt hat. Peter war für uns immer fremd geblieben. Er ist so ein verkopfter Typ, so‘n Künstler, naja, oder Lebemann. Dass er dann sein Leben so auf den Kopf stellt und seine Koffer packt – es hat mich überrascht, und dann wieder nicht. Wer bin ich schon. Ein alter Mann.
Auf jeden Fall war Brigitte mit beiden Kindern überfordert und bat uns, Lars zu nehmen. Er ist nach der Realschule direkt nach München gekommen, um hier seine Lehre zu machen. Unsere Wohnung ist groß genug, wir sind gesund. Und Lars war so ein süßer Junge. Wir hatten Glück. Eigentlich hätte Gitta, wie wir sie nannten, auch glücklich sein können. Zwei Jungs, die nicht viel anstellten, gehorchten. Hätten ja auch kriminell werden können. Ich meine, so mit Klauen und so. Dass sie sich nach der Trennung der Eltern so sehr gezofft und gehauen haben, naja. Wer will ihnen das verdenken.
Brigitte und David haben mich gerade erst im Sommer besucht. Nicht ganz freiwillig, so hatte ich das Gefühl gehabt. Wir sind alle nicht so familientauglich. Wie gesagt. David und ich, wir hatten nie viel miteinander geredet. Er war immer mitgelaufen, wenn meine Tochter mich besucht hatte, was sehr selten vorgekommen war. Der Besuch im Sommer war der erste nach einer langen Zeit. Ich war mir nicht sicher, was Brigitte wollte. Mir Vorwürfe machen, und damit lag ich ganz richtig.
Wieder einmal, und ich hatte ihr Geld gegeben, sie sagte, ich würde mir damit nur ihr Schweigen erkaufen. Ja, was auch immer. Das war zu erwarten gewesen. Aber ich war ganz schön erschrocken, als ich David so gesehen habe. Er wirkte vollkommen verunsichert und irgendwie fett. Ein großer, schwerer Junge, gerade 18 oder 19 geworden, aber er benahm sich ein bisschen wie ein kleines Kind, das sich immerzu verstecken wollte.
Die beiden Brüder konnten nicht viel miteinander anfangen. Sie verzogen sich zwar in Lars‘ Zimmer, aber nach kurzer Zeit kam David wieder raus, setzte sich in eine Ecke des Wohnzimmers und begann zu lesen. Das hat er immer viel getan: lesen. Daran kann ich mich erinnern. Ich glaube, David sagte, er könne die Musik von Lars nicht ertragen. Lars hört gerne diese laute Musik, deshalb haben wir ihm zum Geburtstag auch Kopfhörer geschenkt. Abgesehen von der Musik ist Lars echt ein lieber Kerl. Seine Noten sind gut und besser, ich glaube, der macht später mal Karriere. Bei BMW suchen sie immer gute Leute, die übernehmen ihn bestimmt nach der Lehre. Lars hat schon gesagt, dass er sich das vorstellen kann.
David hingegen – ich weiß nicht. Als sie im Sommer bei uns waren, wollte er unbedingt in die Bavaria-Filmstudios, da wo sie diesen Kriegsfilm über das U-Boot gedreht haben. Und diesen Kinderfilm. Ich war nie da, das interessiert mich nicht. Wie ich verstanden habe, will David auch was beim Film machen. Davids Oma, also meine Frau, hat gelacht, als David erzählte, dass er Regisseur werden will. Traumtänzer. Wie sein Vater. Aber vielleicht hat er auch was von mir in seinem Blut gehabt. Von beiden.
Ich weiß, dass Davids Vater einer von diesen warmen Brüdern ist, in seiner Kommune da soll es ja heiß hergehen, so mit Orgien, wo Männer und Frauen, aber wohl vor allem Männer mit Männern rumvögeln. Das wäre auch was für mich gewesen – so eine Kommune. So wie in den 60ern in Amerika, ein abgelegener Hof für Familien, die sich anderen Menschen öffnen wollen, und dann freie Liebe. Für alle.
Kann mir vorstellen, dass dieser David, der im Sommer bei mir war, auch ständig an sowas dachte. Der kriegt bestimmt nicht die Mädels ab, von denen er träumt. So deppert wie er daherkam.
Da fragt mich dieser David in einer ruhigen Minute doch, wo ich denn meine Pornos aufheben würde. Meine Pornos. Das konnte er nicht wissen. Vor Lars hatte ich sie damals verstecken müssen, nachdem der Junge sie in meinem Schrank gefunden hatte.
Ob die beiden sich darüber ausgetauscht hatten?
Verbotene Pornos. Sie liegen in meinem Keller, gut versteckt. Pornohefte, die ich in den 60ern und 70ern gekauft und aufgehoben hatte. Pornos aus Skandinavien, zu Dutzenden habe ich sie gehortet. Nudisten, Sonnenfreunde, Jung und Frei, Color Climax und sowas. Hefte, für die man heute bestraft wird Das weiß ich. Hefte, über die ich nicht sprechen darf, vor allem nicht mit meinem Enkel.
»Gertrud hat alles, was ich hatte, beim letzten Großputz weggeworfen. Und jetzt bin ich zu alt, weißt du, ich habe auch das Interesse verloren«, hatte ich gesagt und gehofft, er würde mir glauben.
Meine Frau hat kein Verständnis, ihre Leidenschaft für Sex ist längst erloschen. Allerdings war sie nie genug für mich, auch als sie jünger war. Um ihr Kinder zu machen, sie richtig schön zu schwängern, hat die Geilheit gereicht. Ich will es immer härter. Auch früher schon. Und immer noch. Das hat sie nicht verstanden. Wir sind zusammengeblieben. Oft habe ich davon geträumt, auszubrechen, woanders anzufangen. Ja, ich bin fremdgegangen. Oft. Aber auch das war mir irgendwann nicht genug. Die Hefte haben mich früh darauf gebracht, dass die jungen Dinger was für alte Papas sind. Diese frische Haut, diese glatten Punzen.
Das mit Brigitte hat Trudi auch nie verstanden. Ein Mann hat halt so seine Bedürfnisse. Das müssen die Frauen eben wissen. Solange sie den Mund halten. Über manche Sachen redet man nicht. Ich nicht. Meine Frau nicht. Und Brigitte auch nicht. Ich glaube auch nicht, dass es ihr geschadet hat.
Der Mensch ist eben hart, ich habe im Krieg auch einiges ausgehalten. Und bin nicht zerbrochen. Was ich gesehen habe, will niemand sehen, und hat es mich gebrochen? Nein. Dazu braucht es mehr. Die Hand an der Waffe, das ist es, was zählt, und ich meine, die Waffe eines Mannes ist am Ende sein Schwanz. Und solange ich noch einen hochkriege, bin ich nicht gebrochen.
Bei David, diesem Schlappschwanz, war ich mir nicht so sicher. Als ich sagte, Oma Trudi hätte die Hefte weggeworfen, sah ich sowas wie Enttäuschung auf seinem Gesicht. Das habe ich früher oft gesehen, damals in Russland, im Lager, mehr als einmal. Beim Blick in den leeren Blechnapf vor allem. Genau so sah David aus, im Sommer, wie ein Landser, der im Kriegsgefangenenlager in den leeren Blechnapf guckt und seine Enttäuschung verbergen will, um Stärke zu zeigen.
Aber je ausgehungerter man ist, umso weniger kann man seine Enttäuschung verbergen. David war verdammt ausgehungert. Dick, aber ausgehungert. Weil er keine Freundin hatte, weil er nicht ficken konnte, weil seine Waffe eine Ladehemmung hatte. Nimm einem Mann die Möglichkeit, seinen Saft in eine Frau zu schießen, und du machst ihn zu einer Memme.
Als ich ein Junge war, wurde ich zum Mann, weil mein Vater aus Verdun nicht zurückgekommen war, er und der Mann von Frau Gschwendtner, die bei uns wohnte, weil sie ihre Miete nicht mehr hatte bezahlen können. Es war ein heißer Sommer, damals, und draußen dräute ein Gewitter. Die Bäume rauschten, bogen sich im heißen Sturm. Das Tageslicht war verschwunden, die Wolken schwarz. Unser Fenster war sperrangelweit geöffnet. Der Junge lag auf dem Rücken in der Mitte des Ehebettes, das er mit Frau Gschwendtner teilte, weil seine Mutter nicht mit einer anderen Frau in einem Lager schlafen wollte. Die Mutter des Jungen verachtete Frau Gschwendtner, aber nur ein bisschen, weil sie ihren Teil der Miete zahlte und weil ihre beiden Männer nicht nach Hause gekommen waren.
Frau Gschwendtner stand neben dem Bett, nackt, erregt. Ihre schweren Brüste knetete sie mit beiden Händen, zwirbelte die Nippel. Er starrte abwechselnd auf sie und auf seinen jugendloch aufgerichtete Penis.
Er wusste, dass es in dieser Nacht soweit war, weil Frau Gschwendtner seit Wochen schon nachts an ihm herumgefummelt und in sein Ohr geflüstert hatte, er sei jetzt der Mann im Hause, und eine Frau bräuchte ab und zu ein gesundes Stück Fleisch zwischen den Beinen, eines, das hart und ausdauernd war, nicht wie das der kriegsversehrten Invaliden, die impotent im Kopf waren.
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