„Das Foto kenn ich.“
„Du Idiot, es geht nicht um das Foto, das ist irgendeine Malware ...!“ Panisch schaltete er die Stromzufuhr ab, um der Schadsoftware nicht noch mehr Zeit zu geben, seine Dateien zu durchforsten und Informationen wohin auch immer zu senden. „Jemand hat meinen Computer geknackt. Das darf doch nicht wahr sein ...!“
Wenig später saßen beide wieder am Küchentisch. Frederik war völlig geschafft und kurz eingenickt. Patrik hatte zunächst kein Wort gesagt und sich fahrig einen Kaffee gemacht.
„Die Mail war von Hunters privatem E-Mail Account, da bin ich mir sicher“, sagte er endlich, „aber wer ist der Adressat, wer sollte den Code auf der Pinnwand entdecken?“
„Ich“, flüsterte Frederik und zündete sich eine Zigarette am Filter an, ohne es zu bemerken. „Ich bin der Adressat, das ist doch klar!“, hustete er und drückte den Glimmstängel hastig aus.
„Was ist daran bitte klar?“
„Wer immer dahintersteckt, die konnten davon ausgehen, dass ich ins Haus zurückkomme. Die haben in Windeseile die Villa leergeräumt, aber die Pinnwand oben hängen lassen. Im Schein der Wandlampe hab ich das Gekritzel sofort gesehen, ja, sehen müssen, die Lampe war ja direkt darauf gerichtet. Aber die Schrammen haben mich nicht weiter interessiert. Verflucht, da will mich jemand ködern. Mein ehemaliges Internat … was ist das für eine Spur … was wollte er damit?“
„Vergiss nicht mich dabei!“
„Warum?“
„Weil ich offensichtlich auch gemeint bin. Auf so einen Code muss einer wie ich anspringen, und jetzt haben wir den Salat, meine Maschine ist gehackt, ich bin geliefert!“
„La Liberté muss der Schlüssel sein.“
„Dann müssen wir dorthin!“
„Es liegt ganz oben in Schottland, mitten in der Pampa, da können wir nicht mal so hingondeln!“
„In der Pampa? Von wegen. Hab vorhin nachgesehen, als du kurz eingeschlafen warst. La Liberté gibt’s nur einmal auf der Welt. Und zwar ganz in unserer Nähe, unweit von Washington in Virginia.“
„In Schottland, du Idiot, das muss ich doch wohl besser wissen. Immerhin war ich da fünf Jahre. Die Anlage erstreckt sich über ein Riesengelände, du würdest Augen machen, eine Architektur, ich sag’s dir. Und super Villen, die sich so genial in die Landschaft schmiegen, dass sie praktisch unsichtbar sind. Man findet Sport- und Freizeitanlagen jeglicher Couleur. Für Schüler und Gäste gibt’s sogar einen Gasthof, ganz aus Holz gezimmert wie in den Schweizer Bergen. Im Anchor war ich oft und hab für die Leute gespielt!“
„Dann hab ich mich eben geirrt“, knurrte Patrik, „offenbar bin ich jetzt auch noch zum Googeln zu doof. Aber lassen wir das, im Augenblick bleiben die Geräte auch besser unangetastet!“
„Wie konnten die eigentlich davon ausgehen, dass ich damit zu dir komme? Die konnten doch nicht im Traum daran denken, dass ich einen Hacker zu Rate ziehe. Das macht doch keinen Sinn!“
„Das macht Sinn, verdammt noch mal. Die wissen von mir. Und Sie wissen offensichtlich auch, dass wir uns getroffen haben.“
„Quatsch!“
Frederik stand auf und spähte heimlich auf die Straße.
„Das hieße ja, dass sie auch hinter dir her sind und nicht nur mich in eine Falle locken wollen.“
„Genau. Die Botschaft ist an uns gerichtet, an uns beide. Die Attacke gilt uns. Dir höchstpersönlich und meinem Computer. Außerdem ... ich hab dich doch heute Nacht in Chinatown nur gefunden, weil ich dein Signal hatte. Du hast aber gar keins, also muss es mir jemand gesendet haben, damit ich dich finde, verstehst du ... Matrix für Arme!“
Frederik hatte sich mit dem Rücken zur Wand gestellt. Und Patrik stand auf und ging auf ihn zu.
„Den Kampf nehmen wir auf, wir haben keine Wahl! Es ist dir doch hoffentlich klar, dass wir da in eine wirklich ernste Sache hineingeraten sind.“
Frederik antwortete nicht. Er rutschte zu Boden und starrte Patrik an wie weggetreten.
„Sie haben den Punkt getroffen Mrs Craft, es gibt nur diese zwei Möglichkeiten. Entweder wir reißen das Steuer herum und kriegen die Dinge wieder in den Griff oder wir müssen weg, zu einem anderen Planeten, so einfach ist das. Stephen Hawking gibt uns noch 200 Jahre. Bis dahin sollten wir die notwendigen Technologien entwickelt haben, um für den Ernstfall gerüstet zu sein.“
„An dieser Technologie wird schon gearbeitet, Mr Sueton?“
„Davon können Sie ausgehen! Alles andere wäre fahrlässig, denn die Zukunft des Menschen liegt im Weltraum. Das sich rasant beschleunigende Wachstum der Weltbevölkerung, die begrenzten und zur Neige gehenden Ressourcen, die Wasserknappheit und nicht zuletzt der Klimawandel werden für uns alle zur Bedrohung. Und es wird schwierig, das Überleben des Superorganismus Mensch die nächsten hundert Jahre sicherzustellen, geschweige denn die nächsten tausend, da hat Hawking völlig recht.“
„Muss man so pessimistisch sein?“
„Was heißt pessimistisch, im Augenblick sieht es doch nicht gerade rosig aus auf unserem Planeten! Das hat nichts mit dem allgemeinen Geschwätz vom Weltuntergang zu tun. Wenn ich nur an den Irrsinn mit dem Mayakalender denke, wird mir schlecht. Der 21. Dezember 2012 liegt hinter uns, und siehe da, wir leben noch, nichts ist passiert. Die Leute hätten sich besser mit anderem beschäftigt, als in die Keller ihrer Villen Bunker einzubauen, Wasser zu horten und Fresspakete für ein paar Jahre zu kaufen, um dem Weltende zu entkommen. Es gab ja schon eine regelrechte Apokalypse-Industrie. Renommierte Wissenschaftler haben schon lange vorher gegen diese Spintisiererei gewettert, denn der Kalender der Mayas endet nicht 2012, ganz im Gegenteil. Er sagt eine neue Ära voraus, er kündigt das Erscheinen eines Gottes und nicht die Ankunft der Engel der Offenbarung an. Aber egal, die Welt ist in Angst gefangen, und manche glauben, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Etliche meiner Kollegen schüren diesen Psychoterror noch und behaupten, der Zug sei längst abgefahren, und provozieren diese kruden Fantasien.“
„Sie machen da nicht mit?“
„Ich halte das für völlig übertrieben. Denn noch können wir reagieren. Schauen Sie sich die leidige Klimadiskussion an: Ob der Klimawandel nun vom Menschen verursacht ist oder nicht, ist doch vollkommen einerlei – es wird wärmer und der Mensch heizt mit an. Das ist alles. Er könnte dagegenhalten, indem er die ständig wachsende CO 2-Emission endlich reduziert. Aber nein, er erfindet sich den sogenannten Emissionshandel, um ein ruhiges Gewissen zu bewahren, macht weiter wie bisher und setzt auf Wachstum um jeden Preis.“
„Was schlagen Sie vor?“
„Manche Thinktanks propagieren eine Weltregierung, den Zusammenschluss aller Völker dieser Erde, repräsentiert von wirklichen Experten und nicht von politischen Schwachköpfen. Im Augenblick aber bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung. Die Welt bricht auseinander und droht im ökonomischen Chaos zu versinken oder von Glaubenskriegen zerrieben zu werden. Der internationale Terrorismus hält uns in Atem, die Kluft zwischen Okzident und Orient wächst. Dieses Phänomen nennt man heute übrigens ‚asymetrische Kriegsführung‘, als gäbe es die nicht schon seit der Antike. Uns droht ein neues Mittelalter.“
„Ein neues Mittelalter? Wir leben doch in Zeiten der Globalisierung – die Welt wächst zusammen, ob sie will oder nicht.“
„Die einzigen, welche die Globalisierung wirklich geschafft haben, sind die Finanzhaie und ihre Programme der Hochfrequenz. Und diese Borderline-Typen repräsentieren den wahren Terrorismus, der die Staaten kaltblütig erwischt, sie in ihren Grundfesten erschüttert, und damit das Wiedererstarken des Nationalismus und der Ultrarechten provoziert. Nein, die Welt fällt auseinander, eine Weltregierung wird es nicht geben, eine global offene Gesellschaft, die friedlich das Erdenrund bevölkert, wie sie sich manche Philosophen erträumt haben. Wie sollte das gelingen? Eine schöne Idee, aber doch eher was fürs Kinderbuch!“
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