»Endlich trug er den Sieg davon. An ihrem achtzehnten Geburtstage war es, als sie mit ihm vor die Großmama trat und jubelnd ausrief:
»›Ich bin Braut!‹
»Nun, glaubt ihr, Lucie ist eine andere geworden? Das Glück und die Liebe haben sie nachsichtiger gestimmt, nicht wahr, ihr glaubt, das könne nicht anders sein? – Wie seid ihr im Irrtum! Das Gegenteil war der Fall. Ihr Widerstand trat gegen den Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, oftmals heftiger hervor, als je vorher.
»Welche Mühe gab er sich, sie von diesem Fehler zu heilen, wie eindringlich und liebevoll stellte er ihr die Folgen desselben vor; sie hörte ihn an und versprach sich zu bessern, – aber ihr Wort hielt sie nicht, – – leider! – Hätte sie es getan, wie viel Kummer und Herzeleid hätte sie sich erspart!«
Einen Augenblick hielt die junge Lehrerin inne, ein scharfer Beobachter hätte ihr ansehen können, wie schwer es ihr wurde, die Geschichte weiter zu erzählen, – die jungen Mädchen indessen merkten nichts davon. Sie glaubten, die Heftigkeit des Gewitters habe die Pause hervorgerufen.
»O bitte, fahren Sie fort,« bat Nellie, deren Augen vor Entzücken glänzten; niemals bis jetzt hatte das Fräulein ähnliches erzählt, »bitte, weiter! O, ich bin zu gierig, weiter zu wissen!«
Ilse saß still und sinnend da. Was sie da hörte, berührte eine verwandte Saite in ihr, oftmals hatte sie das Gefühl, als ob das junge Mädchen nicht Lucie, sondern Ilse geheißen habe. –
»Lucies Brautzeit neigte sich zu Ende,« fuhr Fräulein Güssow fort, »in vier Wochen sollte die Hochzeit sein. An dem Morgen eines herrlichen Maitages saß das Brautpaar auf der Veranda vor dem Hause und träumte sich in die Zukunft hinein. Es wurde eine Reise nach der Schweiz und Italien geplant, – den ganzen Sommer wollten sie umherschweifen, und wo es ihnen am schönsten gefiel, dort wollten sie für den Winter ihr Nest bauen.
»Der Himmel wölbte sich hoch und blau über ihnen, die Frühlingssonne lachte sie freundlich an, – ringsum blühte, duftete und zwitscherte es, kein Mißton störte das wunderbare Lenzesleben.
»Lucie machte Pläne und malte sich aus, wie sie leben und wie sie sich einrichten wollten. Sie hing am Äußeren und hatte eine lebhafte Fantasie, da war es denn am Ende ganz natürlich, daß ihre Wünsche und Hoffnungen bis an den Himmel reichten.
»Er hatte ihrem Geplauder lächelnd gelauscht, ohne sie zu unterbrechen. Da gab ihm ein unglücklicher Zufall die Frage ein: ›Wie würdest du es ertragen, Lucie, wenn wir uns ganz einfach einrichten müßten, wenn wir nicht reisen könnten – wenn wir wenig Mittel hätten, – mit einem Worte, wenn die Not an uns herantreten würde?‹
»›Die Not?‹ fragte sie erstaunt und sah ihn beinahe entsetzt an. ›Das wäre furchtbar!‹
»›Du gibst mir keine Antwort auf meine Frage, liebes Herz. Ich meine, ob deine Liebe zu mir so stark sein würde, daß du ohne Klage auch ein armseliges Los mit mir teilen würdest?‹ –
»Es verdroß sie, daß Curt, so hieß der Maler, durch unnütze Fragen einen Mißklang in ihre frohe Stimmung brachte.
»›Laß doch den Unsinn!‹ wehrte sie ab, ›wir werden nie in solche Lage kommen. Ich bin reich und deine Bilder werden hoch bezahlt.‹
»›Man kann nicht wissen, was in den Sternen für uns geschrieben steht,‹ entgegnete er ernst. ›Du könntest zum Beispiel dein Vermögen verlieren, – und ich – nun wenn ich krank würde und nicht malen könnte?‹
»›Warum quälst du mich mit allerhand dummen Möglichkeiten, Curt,‹ sagte sie ungeduldig. ›Ich antworte dir nicht auf solche Fragen.‹ Und sie wandte sich halb von ihm ab.
»›Du sprichst jetzt gegen deine bessere Überzeugung, du kleine Widerspenstige,‹ sagte er halb ernst, halb scherzhaft. ›Ich weiß, du wirst mir ganz bestimmt meine Gewissensfrage beantworten, ich weiß auch, meine Lucie würde den Mut haben, ein sorgenvolles Leben mit mir zu teilen, wie sie meine Gefährtin in Glück und Wohlstand werden wollte. Nicht wahr? Du siehst ein, Liebling, daß ich von meiner zukünftigen Frau das verlangen kann?‹
»›Das sehe ich nicht ein!‹ rief Lucie sehr entrüstet und entzog ihm ihre Hand, die er liebevoll ergriffen hatte. ›Armselige Verhältnisse würden mich unglücklich machen – ja, unglücklich machen!‹ wiederholte sie, als er sie zweifelnd ansah, ›lieber würde ich gar nicht heiraten!‹
»Er wurde blaß bei ihren Worten, aber noch wollte er nicht an den Ernst derselben glauben. ›Hast du mich lieb, Lucie?‹ fragte er sie.
»›Ja, aber in einer Hütte bei Salz und Brot mag ich nicht mit dir wohnen!‹
»›Kein ›Aber‹, Lucie. Hast du mich lieb? Sage ja und nimm zurück, was du gesagt hast.‹
»›Nein!‹ rief sie entschieden und sprang von ihrem Platze auf. ›Nichts nehme ich zurück! Was ich gesagt habe, ist meine wahre Meinung!‹
»›Lucie!‹ rief er erregt, ›besinne dich! Es ist nicht wahr, du denkst nicht wie du sprichst! Dein Widerspruch gab dir die Worte ein ....! Nimm sie zurück, Herz!‹ und flehend blickte er ihr in das Auge.
»›Du irrst,‹ entgegnete sie mit scheinbarer Kälte, ›nicht aus Widerspruch, sondern mit voller Überzeugung sagte ich dir meine Ansicht.‹
»›Nein, nein! Ich kann’s, ich will’s nicht glauben! – Komm her, sieh’ mich an. Deine Augen sollen mir die Antwort geben, ich weiß, daß sie nicht lügen können. – Du liebst mich? Ja? Nicht wahr, du hast mich lieb?‹ wiederholte er noch einmal dringend – ›und du nimmst zurück, was du gesagt?‹
»Unglücklicherweise hatte die Großmama auf der entgegengesetzten Seite der Veranda gesessen und war so eine stumme Zeugin dieser Scene geworden. Ängstlich erhob sie sich und trat dem jungen Paare näher.
»›Sie dürfen Lucie nicht so übel nehmen, was sie sagt, lieber Curt,‹ sprach sie beruhigend, ›es kommt ihr nicht vom Herzen, glauben Sie mir.‹
»Die alte Frau hatte es gut gemeint, aber sie stiftete Unheil an. Hätte sie sich nicht in den Streit gemischt, vielleicht war es besser. Ihre gütigen Worte stachelten Lucies Trotz noch mehr an.
»›Es kommt mir wohl aus dem Herzen!‹ rief dieselbe aufgebracht, ›und ich wiederhole noch einmal: Lieber heirate ich gar nicht, als daß ich Not und Mangel leide!‹« –
»O, wie hart ist sie!« warf Nellie ein, als Fräulein Güssow wie erschöpft einen Augenblick innehielt.
»Sie war nicht hart, nur verblendet,« fuhr diese fort. »Niemals hatte sie gelernt, sich einem andern Willen zu beugen, niemals war sie im stande gewesen nachzugeben. Jetzt, wo das ernste Verlangen ihres Verlobten in aller Entschiedenheit an sie herantrat, ihren Widerstand zu zähmen, da bäumte derselbe sich dagegen auf und sie unterlag seiner Macht.
»›Ist das dein letztes Wort, – Lucie!‹ – Wie ein Schrecken kam es über seine Lippen. Sie blieb ungerührt, wandte sich von ihm und eilte aus dem Zimmer.
»Besorgt folgte ihr die Großmama, aber sie klopfte vergeblich an der verschlossenen Türe, dieselbe wurde nicht geöffnet. –
»Lucie befand sich in keiner beneidenswerten Stimmung. Es kochte und tobte in ihr und verworrene Gedanken durchzuckten ihr Hirn. War es recht, wie sie gehandelt hatte? ›Ja,‹ antwortete sie sich darauf, ›ich bin im Rechte. Warum schreckt er mich mit den Gespenstern Sorge und Not, warum peinigt er mich damit? Ich will in eine glückliche Zukunft sehen und er will mir das Herz schwer machen mit Unmöglichkeiten. Und welch eine wichtige Sache er daraus macht? – Ich soll zurücknehmen, was ich gesagt habe! Solch ein Verlangen! Abbitte soll ich tun – Abbitte! Und er hat mich doch erst herausgefordert. Er ist an allem schuld.‹
»Aus einem Winkel ihres Herzens meldete sich auch eine Stimme, die ihr zurief: ›Gib nach! Reich’ ihm die Hand, oder du hast ihn verloren!‹ Sie wurde nicht beachtet, und als eine Stunde vergangen war, hatte sie sich so völlig in den Gedanken an ihre Schuldlosigkeit eingelebt, daß sie erwartete, Curt müsse kommen und sie um Verzeihung bitten.
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