»Er ist furchtbar reizend!« beteuerte Melanie und schlug den Blick schwärmerisch gen Himmel. »Das bezaubernde Lächeln um seinen Mund, das blitzende, geistvolle Auge, das schmale, vornehme Gesicht, das dunkle, lockige Haar! Wirklich furchtbar nett!« Die neugierige Grete hatte sogar entdeckt, daß Schwester Melanie in einem Medaillon, welches sie an der Uhr befestigt trug, ein Stückchen Papier mit seinem Namen geborgen hatte. Es war eine Unterschrift von seiner Hand, die sie unter einem früheren Aufsatze fortgeschnitten hatte.
Flora Hopfstange besang den Gegenstand ihrer Verehrung in den überschwenglichsten Gedichten, auch war er der Held ihrer sämtlichen Novellen und Romane. Wie zufällig verlor sie zuweilen eines ihrer schwärmerischen Gedichte, natürlich nur in der Litteraturstunde, indessen vergeblich. Doktor Althoff hatte noch niemals eine ihrer kostbaren Dichterblüten gefunden.
Selbst Orla teilte diese allgemeine Schwäche, trotzdem sie dieselbe stets verspottete. Längst aber hatte sie sich verraten und das ging so zu. Doktor Althoff trug eine Nelke in der Hand, als er die Klasse betrat und ließ dieselbe auf dem Katheder liegen. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als fast sämtliche Schülerinnen, wie die Stoßvögel auf die rote Blume zustürzten, um sie für sich zu gewinnen. Orla eroberte sie glücklich. Hoch hielt sie ihre Siegestrophäe in die Luft und eilte damit auf ihr Zimmer. Vom Juwelier ließ sie sich dann ein goldenes Medaillon anfertigen mit einer russischen Inschrift darauf. Grete hatte das bald genug herausgewittert, aber leider stand sie vor einem unlösbaren Rätsel, denn Orla würde ihr nimmermehr vertraut haben, daß die beiden Worte ins Deutsche übertragen hießen: »Vom Angebeteten.« – In diese kostbare, goldene Hülle legte sie die Nelke und trug sie immer.
Nellie machte es am ärgsten. Eines Abends, als sie mit Ilse allein auf ihrem Zimmer war, nahm sie ein Federmesser und ritzte damit den Anfangsbuchstaben seines Vornamens in ihren Oberarm. Mit spartanischem Mute ertrug sie lächelnd diese schmerzhafte Operation.
»Aber Nellie, wie albern bist du!« rief Ilse. »Warum machst du denn den Unsinn? Wenn Herr Doktor Althoff all’ eure Dummheiten erfährt, müßt ihr euch doch schämen.«
»Schweig!« gebot Nellie scherzhaft, »du bist noch ein klein’ grüner Schnabel. Du verstehst nix von heimliche Anbetung. Komm erst in der Jahre und lerne ihr begreifen. Dein Herz lauft noch in der Kinderschuhe.«
Ilse wollte sich totlachen. Ihr gesunder, urwüchsiger Sinn verstand und begriff dergleichen krankhafte Dinge nicht. »Ach Nellie!« rief sie fröhlich, »du sprichst so weise, wie eine alte Großmama, und bist doch nur zwei Jahr älter als ich.«
Nellie war aber keineswegs wie eine Großmama, oft sogar konnte sie recht kindlich denken und handeln, wenn es darauf ankam, irgend etwas für ihren Schnabel zu gewinnen.
Eines Sonntags, es war gegen Abend, stand sie am offnen Fenster in ihrem Zimmer und blickte sehnsüchtig auf den Apfelbaum, dessen Früchte goldgelb und rotwangig, höchst verlockend zwischen dem dunklen Laube hindurch lachten.
»Die schöne Äpfel!« rief sie aus, »o, hatte ich doch gleich einer davon! Er ist reif, Ilse, ich weiß, ich kenne dieser Baum genau. Ich habe jetzt so groß’ Lust, Apfel zu speisen, und darf ihn doch nur ansehen! Sehen – und nicht essen – es ist hart!«
Ilse, die nach Nellies Muster und Angabe einen grauen Wäschbeutel mit roten Arabesken benähte, legte die Arbeit beiseite und trat zu der Freundin.
»Ja, die sind reif,« sagte sie und betrachtete mit Kennermiene die Äpfel, »wir haben dieselbe Sorte daheim, das sind Augustäpfel. Wenn ich doch gleich in Moosdorf wäre, dann stieg’ ich in den Baum und holte welche herunter, aber hier – – ach!«
Nellie horchte auf und blickte Ilse an, die mit wehmütigem Verlangen hinauf in den Baum sah. Plötzlich kam ihr ein guter Gedanke.
»Du bist in der Baum gestiegen?« fragte sie. »O, Ilse, ich habe ein’ furchtbar nette Idee! – Du steigst in der Baum und holst uns von der Apfel!«
Die letzten Worte sprach sie flüsternd, damit ja kein unberechtigtes Ohr etwas erlauschte.
Ilses braune Augen leuchteten auf. »Wie gern würde ich das tun! Aber ich darf ja nicht! Denk’ nur, Nellie, wenn Fräulein Raimar oder irgend jemand anderes mich sehen würde!«
»Laß mir nur machen,« meinte Nellie und machte ein höchst listiges Gesicht. »Heut’ abend, wenn Fräulein Raimar und alles andere auf seines Ohr liegt, dann erheben wir uns wieder von unsrem Lager und die mutige Ilse wird wie eine Katz’ leise aus die Fenster steigen und in der Baum klettern. Der lieber Mond steckt sein’ Latern’ dazu an und leuchtet sie, daß sie die besten und großesten Apfel finden kann. Und ich geb’ acht, daß nix kommt, – ich werde eine gute Spion sein.«
Ilse strahlte vor Wonne. Der Gedanke war auch zu verlockend, als daß sie noch länger Bedenken tragen sollte.
»Das ist zu himmlisch!« rief sie so laut, daß Nellie ihr die Finger auf den Mund legte. »Ich ziehe meine Blouse und den blauen Rock dazu an und steige hinauf in das grüne Blätterdach. Es ist himmlisch, Nellie!«
Und sie ergriff die Freundin am Arme und tanzte mit ihr durch das Zimmer.
»O, du bist einer Engel! du kluge Ilse! Wenn wir nur erst Nacht hätten!«
Ilse stand schon wieder am Fenster und warf prüfende Blicke in den Baum. »Siehst du, auf diesen Zweig steige ich zuerst,« sagte sie ganz erregt, »und dann auf den dort, – es hängen drei herrliche Äpfel daran, – die pflücke ich zuerst und werfe sie dir zu, – dann geht es höher hinauf bis an Melanies und Orlas Stubenfenster, – sie lassen es immer offen stehen des Nachts – dann stecke ich den Kopf hinein und rufe: Gute Nacht!«
»Ilse!« rief Nellie entsetzt, »du darfst der Unsinn nicht tun! Gib dein’ Hand darauf!«
»Es war nur Scherz,« entgegnete Ilse. »Sei ohne Sorge, Nellie, ich werde ganz artig und still sein, niemand soll von unsrem entzückenden Abenteuer erfahren!« –
Die Zeit verging den beiden Mädchen wie mit Schneckenpost. Ilse, die sich wenig verstellen konnte, war während des Abendessens ganz besonders lustig und aufgeregt.
»Du siehst so unternehmend und fröhlich aus,« bemerkte Fräulein Güssow, »hast du eine gute Nachricht aus der Heimat erhalten?«
Ilse wurde rot und fühlte sich wie ertappt. Ein Glück für sie, daß die Lehrerin ganz arglos die Bemerkung machte und gar nicht weiter auf sie achtete, vielleicht wäre ihr doch die verräterische Röte aufgefallen.
Endlich, endlich, war alles still im Hause. Die Runde durch sämtliche Schlafgemächer war gemacht, und Fräulein Güssow war bereits in ihr Zimmer zurückgekehrt.
Nellie saß in ihrem Bett und lauschte. Sie hatte unten die Tür sich schließen hören, wartete noch eine kleine Weile, dann erhob sie sich und glitt wie ein Geist durch das Zimmer und lehnte sich weit zum Fenster hinaus.
»Was machst du?« fragte Ilse.
»Ich will sehen, ob Fräulein Güssow noch Licht in sein’ Schlafstube hat –« flüsterte sie. »Noch ist hell unten, – immer noch – –«
»Soll ich aufstehen?« fragte Ilse.
»Nein, du sollst dir ganz ruhig halten und nicht so laut sprechen. Sie hat noch immer hell. Wie langweilig! Was sie nur anfangt! Warum geht sie nicht in ihr Bett und macht die Auge zu.«
Sie beugte sich weit zum Fenster hinaus und sah unverwandt auf die seitwärts liegenden, noch immer erleuchteten Fenster. Im Flüstertone rief sie Ilse ihre Bemerkungen zu. Plötzlich fuhr sie schnell mit dem Kopfe zurück und legte den Finger auf den Mund.
»Sei ganz still, Ilse, rühr’ dir nicht,« sagte sie dann, sich auf den Zehen zu derselben heranschleichend, »sie hat eben der Kopf zum Fenster ausgesteckt und sieht in der Mond. Beinah’ hat sie mir erblickt.«
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