Eigentlich hätte ich ihm alles Mögliche dagegen halten können. Zum Beispiel, was er bei mir wollte. Ich hatte ihm schließlich gesagt, dass ich mich bei ihm meldete. Oder dass er vergessen hatte danke zu sagen. Obendrein hatte er mich gestern Abend nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Daran erinnerte mich meine jetzt wieder heftig pochende Schulter. Zwei von den Tabletten, die ich mir vorhin gekauft hatte, drückte ich aus der Verpackung und schluckte sie pur hinunter, bevor ich mit Kaffee nachspülte.
In die Stille unserer Gedanken hinein fragte Alan plötzlich, ob seine Leute gefahrlos klingeln konnten, was mich meine Stirn runzeln ließ. Ich nickte, noch während ich den Ansatz, der sich in meinem Hirn zu formen begann, weiter verfolgte. „Was?“ Alan sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an. Meine Hand in die Höhe haltend, bedeute ich ihm, mir noch ein wenig Zeit zu lassen. Wenn es diese Frauen, aus welchem Grund auch immer, auf mich abgesehen hatten, wüssten sie, dass ich kein normaler Mensch war. Wären es irgendwelche Groupies von Alan, passten wiederum weder die Magie noch die Verstümmelungen dazu. Wäre ich mächtig genug, um selbst solch eine perplexe Magie anzuwenden, würde ich sicher gehen wollen, dass sie nur auf die Zielperson gerichtet wird. Was nicht der Fall gewesen war. Denn sie hatten bei Alan zugeschlagen und hätten auch mich erwischt, wäre ich nicht ich. Doch falls es jemand auf mich abgesehen hatte, musste derjenige einen Grund haben und würde bestimmt wissen, dass ich mehr war, als ich auf den ersten Blick schien. Besonders bei der Menge Magie, die eingesetzt worden war. Die drei Frauen hatten Alan nichts getan. Außer ihn zu fesseln und ihn ein wenig zu verschandeln. Aber sie hatten ihm keinen Schaden zugefügt. Was mich nun zu der Frage brachte, ob sie auf jemanden gewartet hatten. Auf eine vierte Person oder auf mich? Für die weitere Person sprachen die fehlenden Hirnströme der Mädchen.
Aber: Es war nun mal meine Wohnung. Nicht Alans. Hatten die Frauen einen Fehler gemacht und die falsche Person erwischt oder…
Kacke, ich drehte mich im Kreis.
Um Ordnung in dieses Chaos zu bringen, erzählte ich Alan, was ich dachte „Weißt du, wenn ich es auf dich abgesehen hätte, würde ich dich nicht direkt angreifen.“ Oh ja, er hatte mir selbst mit meinen Freunden gedroht. „Entweder weiß derjenige nicht, was du bist…“
„Oder du bist derjenige, auf den sie es abgesehen haben. Was aber auch keinen Sinn ergibt. Überleg doch mal. Wie oft warst du bisher in meiner Wohnung? Abgesehen von gestern Morgen und heute?“ Gar nicht. Und das wusste Alan so gut wie ich. „Ich hätte einfach klingeln sollen und abwarten, was sie tun. Ich wette mit dir, diese drei Ladys sehen keine Magie. Ich hätte so tun können, als wäre ich gefangen und dann, denke ich, wäre noch jemand aufgetaucht. Sie hätten irgendjemanden informiert.“ Weder nickte Alan noch schüttelte er den Kopf. „Wir können es nicht ändern. Außerdem hätten sie genauso gut auf dich warten und dich erschießen können.“ Ok, da war was dran. Aber inzwischen wusste ich, dass sie keine Waffe besaßen. „Gut, dass du noch lebst. Ich wüsste sonst nicht, wie ich an das Buch komme. Es gibt niemanden, der besser ist.“ Das versetzte mir einen Stich ins Herz.
Warum war er eigentlich hier?
Dumme Frage.
Er war Alan.
Wenn ich ihm sagte, dass ich mich melden würde, sobald ich etwas erfuhr, hieß das für ihn, ich schaue nach so oft ich will und gehe ihr auf die Nerven. Dann arbeitet der Mensch schneller. „Ich warte noch auf Informationen. Du siehst, es geht nicht schneller.“ Alan verzog seinen Mund. „Du solltest dir vielleicht einen anderen Informanten suchen. Einen, der effektiver arbeitet. Menschen sind dafür nicht gut genug.“ Oh? „Tja, wie wär’s, wenn du dir dann statt mir auch lieber jemand anderen suchst? Ich bin schließlich auch nur ein Mensch.“ Alan atmete tief ein, so dass sein Brustkorb drohte sein Hemd zu sprengen. „Du bist gut, in dem was du tust. Ich rede von deiner Quelle.“
Warum habe ich Alan gleich nochmal aus dem Teppich gewickelt?
„Hör mal, ich habe mich erst vorhin mit ihm getroffen, ihm den Auftrag erteilt und ihn bezahlt. Natürlich erstattest du mir die anfallenden Kosten. Und glaub mir, wenn Vine nichts findet, dann tut es auch keine andere Quelle.“ Alans Blick verdunkelte sich und jagte mir eisige Schauer über den Rücken. „Vine?“ Vielleicht hätte ich seinen Namen nicht erwähnen sollen, ging mir aber an meinem Hintern vorbei. Es war nicht mein Problem, dass Alan ihn nicht leiden konnte. Also zuckte ich nur mit den Schultern. „Und?“ Alan holte tief Luft und fuhr sich aufbrausend durch die Haare. „Was weißt du über ihn?“ Was sollte denn diese Frage? „Dass er gut in dem ist, was er tut. Mehr muss ich nicht wissen.“ Alan stellte sehr geräuschvoll seine Tasse ab, nahm mir meine aus der Hand und packte meine Oberarme, um mich kräftig zu schütteln… mir zu drohen, mir kostenlose Fingerabdrücke zu verpassen oder was auch immer.
Das war jedenfalls der Moment, in dem ich die Kontrolle verlor.
Gepeinigt von dem heftigen Schmerz, der von meiner Schulter ausging, entlud ich genug Energie, um Alan quer durch meine Küche gegen den Küchenschrank zu schleudern. Nur das Klingeln hielt mich davon ab, ihm noch ein paar Wörtchen zu sagen.
Meine ächzende Schulter festhaltend, lief ich zur Tür, schaute durch den Spion und öffnete den drei Rudelmitgliedern die Tür. Einer von ihnen war Josh. Er fragte mich sofort, wo Alan sei. Ich deutete mit dem Kopf Richtung Küche. Mir war egal, was Josh dachte. Oder Alan. Ich hatte es satt, ständig für das Rudel oder andere Kreaturen den Sandsack zu spielen. In meiner Wohnstube lagen drei Frauen ohne Gehirnströme. Praktisch gesehen waren sie tot, obwohl sie noch atmeten.
Mein Stubentisch war verschwunden, meine Schulter pochte dröhnend und ich musste ein blödes, altes Buch finden.
Meine Nerven flatterten wie junge Vögel, die das erste Mal versuchten zu fliegen. Gleich würden sie auf den Boden klatschen. Bloß gut, dass ich keine Katze hatte…
Die Augen weit aufgerissen, sank ich am Türrahmen zu Boden und fing an zu lachen. Ein schrilles, hysterisches Lachen, das von Bitterkeit getränkt war. Obwohl ich lachte wie eine Irre, liefen mir brennende Tränen über die Wangen. „Kannst du die Frauen zurückbringen?“ Joshs tiefe Stimme durchdrang meine Niedergeschlagenheit effektiver als das liebevolle Streicheln einer Mutter. Mein Lachen verebbte. Nur die Tränen blieben, die ich mir wirsch von der Wange wischte. „Zurück? Wohin?“ Josh hockte neben mir. „Du hast Alan gesagt, dass ihre Chakren im Kopf nicht da sind. Kannst du das umkehren?“ Ich zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Ich kann es probieren, aber ich gebe keine Garantie. Ich tue es auf keinen Fall in meiner Wohnung. Und ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen. Ich meine, hast du sie dir angesehen? Ihre Augen fehlen, ihre Finger sind…“ Ich hatte Mitleid mit den Mädchen, aber ich war nicht blöd.
Er nickte, stand auf, hielt mir seine Hand hin und zog mich nach oben. Gott sei Dank mit wenig Schwung. Das hätte meine Schulter nicht vertragen. „Du fährst mit Alan.“ Irritiert mustere ich Josh, der wiederum mich mit kritischen Augen betrachtete. „Ist das ein Problem?“ So, wie er sein Grinsen unterdrückte, hätte er sich die Frage auch sparen können. „Solange er mich nicht anfasst, wird er die Fahrt schon überleben.“ Das ließ ihn nun endgültig grinsen. „Gut. Dann los.“
Niemand auf der Straße sprach die Gestaltwandler an, die drei bewusstlose Frauen in ihrem Van verstauten.
Vermutlich war das Alan zu verdanken. Mir war es egal – ich musste mit diesem Vollpfosten mitfahren.
Während der Fahrt sagte Alan kein einziges Wort, was mir ganz recht war. Wir hatten heute schon genug miteinander gesprochen.
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