Die beiden Mädchen fanden sich unversehens in einem Zelt mit zwei Badezubern wieder. »Reinigt euch und macht euch bereit«, wies eine verschleierte Priesterin sie knapp an, und schon waren sie allein.
Merte war blass. »Und nun?«, zischte sie, sich hilflos umsehend.
Rike packte es von der praktischen Seite an. »Vielleicht solltest du dich wirklich waschen, so verschwitzt, wie du bist.«
»Und du? Wenn du in deiner normalen Kleidung draußen erscheinst, fällt das doch auf«, zischte Merte erbost zurück.
»Na gut!« Zögernd entkleideten sich die beiden und begaben sich in die Zuber. Schnell den Schweiß heruntergewaschen und wieder rausgesprungen, die langen Gewänder übergestreift und ihre dreckige Kleidung zu einem Bündel zusammengeschnürt.
»Wer sind die Nächsten zu empfangen den Segen der Götter?«, erklang draußen eine tiefe Stimme. Merte packte Rikes Hand. Vorsichtig schoben sie die Zeltbahnen am anderen Ende beiseite, doch dahinter wartete nur ein schmaler, leerer Raum.
»Wohin?«, wollte Rike flüstern, aber da teilten sich neben ihnen die Zeltbahnen und zwei Paar kräftige Männerhände packten sie, hielten ihnen die Münder zu und zerrten sie fort. Es ging so schnell, dass den beiden nicht einmal Zeit für einen Aufschrei blieb.
Vor ihnen erschienen zwei verschleierte Gestalten, und gleich darauf fand sich Merte ihrem breit grinsenden Liebsten gegenüber. Sie fiel ihm um den Hals. »Danke!«, flüsterte sie Galvin zu, der immer noch verschleiert war.
»Gern geschehen«, lachte er leise. »Komm, Rike, lassen wir sie allein.«
Vor lauter Erleichterung fiel es Rike gar nicht auf, dass er sie nicht nach draußen führte, sondern in ein ganz ähnliches Zeltabteil wie das vorherige. »Wir müssen dir beide danken und ich...« Rike verstummte. Sie stand vor einem Schlafplatz. »Was... wessen Lager ist das?«
»Meines.« Galvin schloss mit seiner freien Hand sorgfältig die Zeltbahnen hinter sich.
Rikes Herz schlug ihr bis zum Halse. »Ich wollte nicht...«
»Ganz ruhig.« Auf einmal wurde sie sich bewusst, dass er immer noch ihre Hand hielt, warm und stark. Wie nahe er ihr plötzlich war! Sie wagte kaum zu atmen, als er den Schleier zurückschlug. »Sieh mich an, Rike.« Ganz vorsichtig tat sie es. »Wenn dein künftiger Gemahl – so er es denn noch sein sollte – eine Saranerin ehelichen will, muss er sich auch mit den Bräuchen ihres Volkes abfinden«, flüsterte er, malte ihr mit seiner freien Hand heilige Symbole auf die Stirn und sprach den Segen dazu. Dann tat er nichts mehr, sah sie nur an. Noch nie hatte er ein Mädchen gezwungen. Sie sollte selbst entscheiden.
Seine Augen wurden dunkler, durchdringender, wie zwei Seen in der Nacht. Sie meinte, darin zu versinken. Ein belustigter Schimmer erschien in ihnen, er wusste, dass er gewonnen hatte und dass sie fiel, hier und jetzt. Rikes Knie wurden weich. ›Du Schuft, das hast du geplant!‹, dachte sie hilflos. Ohne dass sie bewusst eine Entscheidung gefällt hätte, hob sie ihm ihr Gesicht entgegen.
Althea mochte es sich nicht eingestehen, aber sie war nervös um ihre beiden Mädchen. Sie hatten sich hervorragend geschlagen, doch jetzt war es Abend und sie immer noch nicht zurück.
»Beruhige dich«, brummte Jeldrik an ihrer Seite und zog sie an sich. Althea legte ihren Kopf an seine Schulter und spürte eine leichte Berührung an der Schläfe, Jeldriks innigstes Zeichen, dass er sich um sie sorgte. »Wenn man sie erwischt hätte, dann hätte es längst jede Menge Geschrei gegeben.«
»Um Merte sorge ich mich nicht, sondern um Rike«, erwiderte Althea leise und strich über seine versehrte Hand. Ihre Finger verschlangen sich wie von selbst ineinander, doch dann hob sie verwundert den Kopf, als Jeldrik leise in sich hineingluckste.
»Um die hat sich, so scheint’s, Galvin gekümmert.«
Althea stemmte sich hoch. »Waas?! Du meinst...?«
»Hast du die Blicke nicht gesehen, mit denen er sie bedacht hat? Sie hing wahrscheinlich schon an seinem Haken, da war er kaum ein paar Augenblicke hier. Nein, reg dich nicht auf! Lass es, Thea! Für Rike ist es höchste Zeit, dass sie mal auf den Boden der Tatsachen zurückkommt. Ihr Belan wird sie frühestens nächstes Jahr zur Frau nehmen können, und ob das gut geht?«
»Nein. Es wird nicht gut gehen«, seufzte Althea und legte sich wieder zurück. »Deswegen möchte ich ja unbedingt nach Gilda. Damit sie sieht, ob ihr Traum der Wirklichkeit entspricht.«
»Thea, ich möchte nicht...«
»Ich werde nach Gilda reiten, mit dem Kind in mir drin oder im Arm. Mein Licht wird mir helfen. Das hat es bisher immer, verstanden?«
»Sturer kleiner Kobold!«, knurrte Jeldrik und gab sich damit endlich, endlich geschlagen. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie in seinen Armen ein.
Am nächsten Morgen hockte Rike mit abwesendem Blick auf der Bank neben der Stalltür und starrte ins Nichts. Von Zeit zu Zeit nahm sie einen Schluck Kaffee aus ihrem Becher. Sie sah nicht auf, als sich Althea neben sie setzte. Aus dem Innern des Hauses drangen die fröhlichen Stimmen der Jungen und Jeldriks Gebrumm. Althea wollte die kurze Zeit der Ungestörtheit nutzen und mit ihr reden. »Und? Wann bist du zurückgekehrt?«
Rike zuckte zusammen. Sie hatte Althea tatsächlich nicht bemerkt. »Eben. Gerade eben«, antwortete sie und wurde zutiefst rot.
Jeldrik hatte recht, dachte Althea verblüfft. »Hast du ein schlechtes Gewissen?«
Das Mädchen senkte den Kopf. »Hm. Wegen letzter Nacht?« Sie seufzte mit einem leisen, sehnsüchtigen Unterton. »Nein, habe ich nicht. Es war... oh Thea! Ich sollte eines haben und kann es nicht, und das macht mir ein schlechtes Gewissen, verstehst du? Es war wunderschön, wie Magie.« Wieder seufzte sie.
»Ja, ja, unser Galvin hat so seinen Ruf«, spöttelte Althea und lauschte verwundert auf den plötzlichen eifersüchtigen Stich, der sie durchfuhr. War sie denn verrückt? Was war nur mit ihr los? Konnte es ihr nicht gleich sein, mit wem sich Galvin zusammentat? Froh sollte sie sein, doch stattdessen störte es sie. Rasch schob sie den Gedanken beiseite, denn Rike sah auf.
»Ja, er hat mir gesagt, dass er gerne Mädchen einweist und ich es nicht persönlich nehmen soll. Nur, was soll ich bloß Belan sagen?«
Althea lachte leise. »Schreib es ihm. Ich finde, dass er es ist, der sich deiner als würdig erweisen muss. Du bist eine begehrte junge Frau, Rike, einzige Erbin deines Vaters, und er nur der Sohn einer einfachen Frau, einer Magd. Wenn ich all deine Verehrer aneinanderreihen würde, könnte ich Saran mit einer neuen Palisade umgeben. Schreibe ihm das, mache ihn eifersüchtig. Er soll sich entscheiden, was er will. Oder sag es ihm gleich selbst, wenn wir in Gilda sind.«
»In Gilda?!« Rike riss die Augen auf. »Du meinst...«
»Ich werde reiten, und du kommst mit mir.« Althea zwinkerte ihr zu und stemmte sich hoch. »Lass uns reingehen. Ich habe Hunger, du nicht?«
»Oh ja, und wie! Kannst du mir zeigen, wie man das Öl gegen Wundheit zubereitet? Und den Tee der Huren, der verhindert, dass man ein Kind empfängt?«
Althea lachte auf. »Jetzt ja. Du bist soweit und Merte auch.« Gemeinsam gingen die beiden Frauen hinein.
Der Abschied von den Zwillingen fiel Althea diesmal nicht schwer, würde sie ihre Freunde doch in Kürze wiedersehen. Die bevorstehende Reise versetzte alle in Aufregung. Die beiden kleinen Jungen sprachen von nichts anderem mehr, und Rike schwebte in seligen Höhen, so sehr, dass Althea sie manches Mal ermahnen musste, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders war, nur nicht bei ihrer Heilerinnentätigkeit. Für Althea war es Anlass für Freude und Traurigkeit zugleich. Ihre Mädchen würden sie verlassen, Merte schon bald, und Rike würde vielleicht sogar in Gilda bleiben. Es wurde Zeit, dass sie sich nach einem neuen Mädchen umsah. Nur mit der taubstummen Ona würde sie die viele Arbeit nicht schaffen.
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