1 ...6 7 8 10 11 12 ...44 »Herr! Herr!«
Endlich hatte Jeldrik den kleinen Sklaven entdeckt, der sich durch das Gewühl im Hafen zu ihm durchschlug. »Was ist?«, knurrte er, knapp, aber nicht unfreundlich. Manch anderer hätte dem Sklaven für die Störung seine Faust spüren lassen. Nicht jedoch Jeldrik. Er schlug seine Sklaven niemals.
»Herr, das Pferd deiner Frau ist reiterlos zurückgekehrt!«
Jeldrik richtete sich mit einem Ruck auf. Um ihn herum wurde es totenstill, und wer die Worte des Sklaven nicht gehört hatte, hielt verwundert inne, weil es plötzlich so still war.
›Thea...‹, hämmerte es in seinem Kopf.
»Es... es stand plötzlich vor der Weide mit Schaum vor dem...« Weiter kam der Sklave nicht. Jeldrik stieß ihn grob beiseite und rannte.
Die ersten Spuren fanden sie sehr schnell. Die beiden Wächter lagen tot auf dem Weg zu Harcons Siedlung. Man hatte ihnen die Kehlen durchgeschnitten. Furcht schoss wie flüssiges Eis durch Jeldriks Adern. Er brüllte die Männer an, ja keine Spuren zu zertrampeln, und näherte sich allein der Stätte. Er fand mehrere Pfeilspitzen und eine rote Haarsträhne, wie zufällig zurückgelassen. Beides betrachtete Jeldrik lange in seiner Hand, scheinbar regungslos, doch in seinem Innern tobte ein Sturm. Er hätte aufheulen mögen aus Angst um Althea, es nahm ihm fast den Atem. Diese Pfeilspitzen kannte er. Sie stammten vom Jägervolk auf der Insel. Er sah auf die Pfeilspitzen, auf die Haarsträhne und machte einen fast zögerlichen Schritt vorwärts auf das Schilf zu. Was, wenn er sie fand, gleich dort?
Doch stattdessen fand er Schleifspuren, sie war gezerrt worden. Der Anschub eines Flachbootes. »Sie sind in die Sümpfe... holt die Männer des Sedats! Alarmiert Oren! Sie sollen eine Wachpostenkette um die Sümpfe bilden, ein paar Schiffe auf der Seeseite!« Seine Stimme war heiser, er brachte die Worte kaum hervor.
Stunden später waren sämtliche verfügbaren Männer Sarans auf der Jagd. Jeldrik verdrängte die Furcht, die verängstigten Mienen seiner Söhne, die sich immer wieder in ihm hoch drängten, und ging allen grimmig voran. Ein Sedatschüler steuerte ihr Flachboot. Sie folgten einer Spur, die Althea ihnen gelegt hatte. Blutige Haarsträhnen, Fetzen ihres Umhanges – unverwechselbar die wasserfeste Wolle. Jeldrik wusste, sie waren nicht schnell genug, sie verschwendeten kostbare Zeit, die vielen Kanäle nach dem nächsten Hinweis abzusuchen. Bis spät in den Abend hinein folgten sie so ihrer Spur, und Jeldrik wurde mit jedem Haar und jedem Fetzen verzweifelter und wütender. Zum ersten Mal wünschte er sich, sie hätten ausprobiert, ob ihre Söhne etwas von Altheas Begabung geerbt hatten, aber das hatten sie immer wieder verschoben, sie wollten die Kinder nicht mit diesen Dingen belasten. Dies rächte sich nun. Wenn doch nur einer von ihnen begabt wäre und gelernt hätte, geistig Verbindung Althea aufzunehmen! Sie wären ein ganzes Stück schneller vorangekommen.
Bei Einbruch der Nacht wurde die Richtung, in die Altheas Entführer wollten, klar. Sie hielten auf die südöstlichen Bergwälder zu. Im letzten Dämmerlicht stießen sie auf das erste feste Land. Jeldrik ließ einen brennenden Pfeil abschießen, und geraume Zeit später, viel zu lange für sein Empfinden, hörten sie Hufe sich schnell nähernder Pferde.
Oren kam mit seinen Wächtern herbeigesprengt. »Wir haben sie nicht gefunden!«, rief er Jeldrik entgegen, sprang ab und packte ihn bei der Schulter. Allen Männern stand die Furcht ins Gesicht geschrieben, obwohl es niemand offen zugegeben hätte. Althea wurde von ihnen verehrt wie niemand sonst in Saran.
»Das Boot muss hier irgendwo sein. Sucht weiter!«
»Jeldrik, wenn sie Thea in die Berge bringen, gerät sie in noch größere Gefahr. Die Goi sind gesichtet worden...« Oren wurde wie so viele andere vor ihm einfach beiseite gestoßen.
»Ein Grund mehr, es zu finden!«
Im Licht ihrer Fackeln fanden sie schließlich das Boot. Dunkles Blut klebte an dem schlickverkrusteten Holz, Altheas Kiepe lag achtlos ausgekippt und geplündert im Schlamm. »Zwei Pferde. Sie reiten tatsächlich in die Berge!« Oren fluchte.
Schwer atmend versuchte Jeldrik, seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. »Zieht alle verfügbaren Männer zusammen und folgt uns, so schnell ihr könnt, aber leise!« Jeldrik wählte eine Handvoll erfahrener Kämpfer aus. Doch bevor sie sich auch nur in Bewegung setzen konnten, traf sie ein heimtückischer Schlag. Fassungslos mussten die jüngeren Wächter ansehen, wie ihre beiden Anführer und viele der älteren Kämpen mit einem Aufschrei zusammenbrachen.
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Der Angriff
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Im letzten Licht des Tages kam endlich die Siedlung Branndar in Sicht. Unter den sonst so diszipliniert dahinreitenden gildaischen Soldaten machte sich eine gewisse neugierige Unruhe breit. Der Dienst in Branndar, zu Anfang eher einer Strafe gleich, war mit den Jahren zu einer Ehre im Heer geworden, je größer und erfolgreicher ihr Fürst und die Minen wurden.
Phelan konnte sie verstehen und tat nichts, sie zur Ordnung zu rufen. Immer wenn er herkam, verfehlte der Zauber dieses Ortes seine Wirkung auf ihn nicht. Wann immer er es einrichten konnte, brachte er die jährliche Wachablösung persönlich her. Warum, das wusste er wohl selbst nicht genau. Vielleicht, weil er so seinen beiden vertrautesten Freunden jenseits der Berge etwas näher sein konnte. Der Traum von einer sicheren Passage durch die Berge geisterte immer noch in seinem Kopf herum, wie auch in Jorids und Altheas und Jeldriks. Nun, diesmal würde er sie persönlich in Nador abholen. Er war sich absolut sicher, dass Althea trotz ihrer erneuten Schwangerschaft mitreiten würde. Jeldrik hatte keine Chance, dachte er, grinste und blinzelte dem Reiter neben sich zu.
Er hatte einen ihm sehr lieben und geschätzten Begleiter. Nathan ritt, wie schon manches Mal in diesem Sommer, mit seinem Onkel. Currann hatte befunden, dass er ruhig mit auf Phelans Reisen gehen konnte, bevor er in die Heerschule eintrat. Und Phelan war viel unterwegs. Laufbursche des Königs wurde er scherzhaft im Kreise ihrer immer größer werdenden Familie genannt. Er war Curranns Kundschafter, Botschafter, Steuereintreiber und Herold, was immer dieser verlangte, und er war es gerne. In Gilda kam er sich immer ein wenig fehl am Platz vor, zu lange hatte er in der Fremde gelebt. Sein ungewöhnliches Aussehen, das in Gilda mehr aneckte als ihm zur Ehre gereichte, verhalf ihm bei seinen Besuchen zu einer ganz eigenen Durchsetzungskraft, die sein Bruder zusehends nutzte und Phelan sehr genoss, ohne es zuzugeben.
Einziger Wehmutstropfen war dabei die Trennung von Noemi, welche ihm eine bildschöne Tochter nach der anderen schenkte. Phelan hatte Currann einmal sagen hören, er rette seinen Bruder vor der weiblichen Übermacht, indem er ihn so viel auf Reisen schickte. Phelan selbst störte es keineswegs, dass er keine Söhne hatte. Was hatte er schon zu vererben? Seine lebhafte Töchterschar machte den Mangel mehr als wett. Keine Einzige von ihnen hatte Noemis Gebrechen geerbt, und dafür dankte er Althea auf Knien. Er war sich absolut sicher, dass dies ihrem Licht zu verdanken war, wie auch in Gilda seit dem Fall SEINER Macht ungewöhnlich viele Kinder geboren wurden.
»Phelan, wollen wi’?«, drängte Nathan. Er fieberte dem Wiedersehen mit seinem großen Freund Kiral schon seit Wochen entgegen.
Phelan lachte auf und drehte sich um. »Hauptmann, Ihr bleibt in Formation! Los, Nat, wer als Erster da ist!«
Nathan jauchzte und trieb sein Pferd an. Es war für Phelan nicht nur Spaß gewesen. Es war wirklich schwer, Nathan im Reiten zu besiegen. Selbst mit seinen gerade mal zwölf Jahren war er allen haushoch überlegen, Kiral vielleicht ausgenommen. Dies war es auch, was Currann für ihn plante. Er sollte in die vor einigen Jahren gegründete Reiterschar aufgenommen werden, und dafür war die Absolvierung der Heerschule unabdingbar, trotz aller Proteste Siris, die ihren ungewöhnlichen Sohn nicht aus der Obhut der Familie lassen wollte. Dort war er stets behütet und frei von Anfeindungen gewesen, unterrichtet von seinem Großvater und seinem Onkel. Nathan war ein ernster Junge, in vielerlei Hinsicht schon viel erwachsener, als alle dachten, seine Mutter eingeschlossen. Es würde Nathan auf Dauer nicht helfen, so behütet zu werden. Er musste lernen, allein in der Welt zurechtzukommen, Phelan gab seinem Bruder in diesem Punkt recht. Dafür würde er, wie sie beide damals auch, ins kalte Wasser geworfen werden. Diese Reise war die Vorbereitung dafür.
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