Romy Meißner - Darum bin ich wie ich bin
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Wir zogen 1987 von Dresden nach Velten. Im Krankenhaus Hennigsdorf wollte meine Mutter zum üblichen Gipswechseln. Mich untersuchte mal wieder ein Arzt und sagte, dass der Gips ab muss, weil ich ansonsten Wachstumsschwierigkeiten bekäme. Mein linkes Bein ist da schon nicht mehr richtig mitgewachsen und war zwei Zentimeter kürzer als das rechte Bein. Ich war um die zwei Jahre alt und plötzlich stand meine Mutter mit mir da. Ohne Hosen, Strümpfe oder Schuhe. Sie ging mit mir in ein Schuhgeschäft. Da sie nicht wusste, welche Größe ich habe, musste die Verkäuferin mehrere Schuhe ausprobieren. Meine Mutter erzählt mir heute noch oft wie schlimm das war. Ich habe den ganzen Laden zusammengeschrien, weil ich bei jedem berühren und bewegen meines Beines starke Schmerzen hatte. Ich fing an laufen zu lernen. Wenn ich davon Fotos sehe, tut es mir in der Seele weh. Das kleine blonde Mädchen mit den strahlenden Augen versucht zu laufen. Und dabei der fröhliche Gesichtsausdruck. Was mir aber auch so wehtut, ist die Fröhlichkeit und die freundliche Offenheit die das kleine Mädchen ausstrahlt, denn ich weiß, was ihr alles noch bevorsteht. Wenn ich mich auf den Bildern sehe, möchte ich am liebsten das kleine Mädchen in den Arm nehmen und beschützen.


Am linken Schuh habe ich da schon einen zwei Zentimeter dicken Absatz als Beinlängenausgleich. Das nervt und verfolgt mich bis heute. Zwar darf ich normale Schuhe im Laden kaufen, aber sie müssen eine gerade Sohle haben und am besten sind eh Turnschuhe. Egal für was immer Turnschuhe. Und dann muss der linke Schuh eine Woche zum Schuhmacher, um die dicke Sohle unter den Schuh zu kleben. Ich fand das immer hässlich und mochte auch nie Schuhe kaufen. Von Anfang an wurde auch schon das rechte Bein in Mitleidenschaft gezogen. Ich glich den Längenunterschied selbst auch aus, in dem ich das rechte Bein immer eingeknickt ließ und mit dem Knie drückte ich gegen das linke Bein um es zu stabilisieren. Ich verstehe bis heute nicht so richtig, wieso ich das rechte Bein nie gerade durchstreckte, wenn ich doch einen Längenausgleich am linken Schuh hatte. Ich sollte wohl in Velten in einen Kindergarten für behinderte Kinder. Aber da wurde dagegen entschieden, weil ich mich sonst geistig nicht richtig entwickeln würde. Also kam ich in einen Kindergarten für „normale“ Kinder. Ich weiß aus dieser Zeit absolut nichts. Aber Mama erzählt heute noch gern davon, dass ich dort mal über den Zaun geklettert und nach Hause gelaufen bin. Warum auch immer.
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In Velten blieben wir nur ein Jahr und zogen 1988 nach Berlin. Ich weiß, dass ich zu der Zeit noch gut drauf war. Ich bin gern in den Kindergarten gegangen und früh aufstehen machte mir nichts aus. Ich war fröhlich und offen allen gegenüber. Wenn die anderen Kinder meine Narbe sahen, machte ich Scherze darüber. Ich verglich sie mit einem blätterlosen Baumstamm oder einer Mohrrübe bei der man die äußere Schicht abgeknabbert hat. Ich glaube da spielten auch die anderen Kinder mit mir. Und ich weiß noch, ich lernte zu dieser Zeit Schuhe zuzubinden. Zu Hause nahm ich alle Schnürschuhe und machte freudig Schleifen. Der Kindergarten wurde geschlossen und wir kamen in einen anderen Kindergarten.
In dem neuen Kindergarten fühlte ich mich sehr unwohl. Ich wollte da nicht sein. Seit diesem Wechsel bereitet mir das früh aufstehen Probleme. Die Kindergärtnerin, deren Namen ich heute noch weiß aber nicht nenne, war eine furchtbare Person. Sie war eine große und sehr kräftige Frau und ließ mich spüren, dass sie mich nicht mochte. Ich weiß nicht mehr ob sie zu allen Kindern so war, aber mit mir meckerte sie nur rum. Alles was ich tat war falsch. Ich traute mich kaum mich zu bewegen oder überhaupt etwas zu sagen und saß nur ruhig in der Ecke, weil ich große Angst vor der Frau hatte. Das einzige worin ich ihrer Meinung nach gut war, war Tische mit nassen Lappen abzuwischen. Weil ich so viel Kraft hatte und den Lappen soweit auswringen konnte das er nicht mehr zu nass war. So sagte sie es und ich musste immer die Tische abwischen. Außerdem zwang sie mich Milch zu trinken. Ich weiß, das klingt aus erwachsenen Sicht nicht schlimm aber als Kind war es für mich schlimm. Ich trinke bis heute keine pure Milch. Und warm mit der Pelle schon gar nicht. Aber da musste ich. Einmal habe ich die Milch auf den Teller wieder ausgespuckt. Sie steckte mich ins Bett, weil sie der Meinung war, dass ich krank sei. Ich blieb auch artig liegen. Mir war das Recht. So ließen mich alle in Ruhe und ich konnte liegend ja nicht viel falsch machen. Dachte ich. Nur irgendwann musste ich auf die Toilette. Es war wohl schönes Wetter und alle waren draußen im Garten und spielten. Ich war allein im Gebäude des Kindergartens. Die Toiletten waren ja nicht weit weg also ging ich schnell auf die Toilette um mich danach gleich wieder hinzulegen. Bis meine Mutter kam lag ich da. Ich dachte mir noch, dass der Tag ja gut gelaufen war doch irgendjemand, ich glaube eine Putzfrau, hat mich dabei gesehen wie ich auf die Toilette ging und am nächsten Tag schimpfte die Kindergärtnerin mit mir, dass ich nicht rumzulaufen habe, wenn sie mich ins Bett steckt. Sie hatte es aber nicht einfach nur so gesagt, sondern sich richtig aufgeregt und mich angebrüllt. Ich hatte furchtbare Angst. Die Erzieherin hatte auch einen Vogelkäfig mit einem Wellensittich im Raum stehen. Einmal saßen wir alle um den Käfig um ihn uns anzusehen. Ich saß hinter allen. Weil ich eh die größte war musste ich immer ganz nach hinten. Die Erzieherin verließ kurz den Raum und der Vogel erschrak wegen irgendwas. Ich konnte es nicht sehen was da genau geschah. Ich sah und hörte nur wie der Vogel ganz aufgeregt im Käfig umherflatterte. Die Erzieherin kam zurückgeeilt und fragte böse wer das war. Die anderen Kinder sagten alle ich wäre es gewesen und somit bekam ich wieder Ärger und wurde in eine Ecke des Raumes geschickt wo ich auf dem Boden sitzen bleiben musste bis meine Mutter mich abholte. Ja das war keine schöne Zeit. Ich war allein. Keiner spielte mit mir oder wollte mit mir zu tun haben. Die Zeit in dem Kindergarten sind meine ersten Erinnerungen und auch meine ersten Erinnerungen wie ich ausgegrenzt wurde. Während alle Kinder miteinander spielten, beschäftigte ich mich am liebsten damit, mit diesen kleinen Holzbauklötzern einen Turm um mich herum zu bauen. Das war das einzige was ich dort immer „spielte“ und ich war froh, wenn grad kein anderes Kind mit diesen Bauklötzern spielen wollte. Ich stapelte sie solange um mich herum bis alle Klötzer aufgebraucht waren. Dann baute ich den Turm wieder ab und begann von neuem. Nachmittags war ein Mädchen oft mit mir eine der letzten die auf ihre Eltern warteten. Auch ihren Namen weiß ich noch. Sie sagte, wenn kein anderes Kind da ist, spielt sie mit mir, aber das durfte auch keiner wissen. Und so hatte ich wenigstens nachmittags kurz jemanden als Spielpartner. Zu Hause war ich auch nur allein in meinem Zimmer. Ich habe zwar einen Bruder, aber der ist vierzehn Jahre älter und konnte mit mir nicht viel anfangen. Außerdem war er selten da, weil er die meiste Zeit in Velten war. Ich glaube er machte da eine Ausbildung. Und er hatte eine Freundin dort, mit der er dann auch später in Velten zusammenzog. Bis das aber soweit war bestand mein „Zimmer“ aus einer Ecke im Schlafzimmer meiner Eltern wo eben mein Bett stand. Mein Bruder und ich hatten nicht viel mit einander zu tun. Aber einmal wollte er mit seinen Freunden auf einen Rummel gehen und meine Mutter sagte, dass er mich mitnehmen muss. Es war nur dieses eine Mal aber ich fand es toll und vergesse das nie. Es war schon dunkel und die vielen Lichter des Rummels und die Fahrgeschäfte fand ich toll. Ich bin mit nichts mitgefahren, sondern immer, wenn mein Bruder und seine Freunde fuhren, blieb einer bei mir und passte auf. Und damit ich lieb war kaufte mein Bruder mir alles an Süßigkeiten was ich haben wollte.
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