„Ja doch, das hast du mir mindestens schon zehnmal gesagt!“, rief Luisa ungeduldig. „Siehst du, du findest ihn blöd, aber trotzdem machst du dich für ihn stark.“
Adriana nahm Luisas Hände und drückte sie.
„Schätzchen, weil er dich bis jetzt immer glücklich gemacht hat. Ich bin mir auch sicher, dass er dich liebt. Ich glaube bloß generell nicht an Treue bei Männern, das weißt du doch, deshalb überrascht mich das jetzt auch alles nicht so sehr.“
Luisa zog ihre Hände weg. „Er macht mich aber nicht mehr glücklich!“, rief sie und ließ sich wieder zurück auf das Bett fallen. „Er macht mich so furchtbar, furchtbar unglücklich“, fügte sie nach einer kurzen Pause leise hinzu und fing wieder an zu weinen. „Adriana, hör mal, es tut mir leid, dass du jetzt meine ganze Wut abbekommst, meinen ganzen Frust, ich weiß nur einfach gar nicht mehr, wo oben und wo unten ist und….“ Der Rest des Satzes ging in einem lauten Schluchzer unter.
„Ich weiß, meine Liebe, mach‘ dir deswegen keine Sorgen, das halte ich aus, du kennst mich doch, mich erschüttert nichts so schnell.“
Luisa musste wider Willen lächeln.
„Trotzdem ist es ungerecht, eigentlich müsste ich das alles Enno an den Kopf werfen, ich könnte es im Augenblick nur einfach nicht ertragen, ich zu sehen.“
„Na klar, das verstehe ich doch“, sagte Adriana.
Eine Weile schwiegen sie, dann sagte Adriana zögernd: „Weißt du, vielleicht hat Enno einfach auch sowas wie Torschlusspanik wegen Eurer Hochzeit und wollte es sich noch einmal beweisen, wissen, ob er es noch drauf hat, das könnte doch sein.“
Luisa wollte schon wieder in die Luft gehen, besann sich jedoch noch rechtzeitig eines Besseren. Ihre Freundin konnte nun wirklich nichts für diesen ganzen Schlamassel und versuchte nur, nach Erklärungen zu suchen. Luisa bemühte sich daher, ihrer Stimme einen halbwegs ruhigen Klang zu verleihen, als sie ihr antwortete.
„Das könnte sicher ein Grund sein, aber das ist ja trotz allem keine Rechtfertigung für so ein Verhalten. Und wenn er Panik vor der Hochzeit hatte, hätte er doch ruhig mal mit mir reden können - mein Gott, die Hochzeit ! Was wird denn nun aus der Hochzeit?“ Sie schlug die Hände vors Gesicht.
„Ach, ihr habt doch noch nicht einmal Einladungen rausgeschickt“, wollte Adriana sie beruhigen. Luisa sah sie zwischen den Fingern hindurch an.
„Aber eine schicke Save-the-Date Karte“, jammerte sie.
„Gut, eine schicke Save-the-Date Karte, aber ansonsten entstehen euch doch gar keine Kosten für irgendwelche Absagen von….“ Weiter kam sie nicht.
„Kosten? Wer redet denn hier von Kosten? Ich bin fast dreiunddreißig Jahre alt und werde jetzt wahrscheinlich nie heiraten, das ist der Punkt!“ Luisa schnappte sich das Kissen vom Boden und vergrub wieder ihr Gesicht darin.
„Also noch ein Grund, dich mit Enno zu versöhnen!“ Adriana klatschte aufmunternd in die Hände. „Komm, ich hole dir das Telefon.“ Sie warf ihre schwarzen Locken in den Nacken und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.
„Nein, Adriana, es tut mir leid, ich kann jetzt nicht mit Enno sprechen. Ich sehe die beiden die ganze Zeit vor mir, wie sie da im Lieferwagen….“ Sie schüttelte den Kopf, um das Bild schnell wieder aus ihrem Kopf zu bekommen. „Vielleicht schaffe ich es ja morgen, ihn zurückzurufen. Oder übermorgen.“
„Ist okay, Schätzchen, lass dir noch ein bisschen Zeit, ich will dich auch gar nicht drängen, mir würde es wahrscheinlich ähnlich gehen, wenn ich so darüber nachdenke.“
Luisa bezweifelte das zwar, weil Adriana stets das Oberwasser in jeder Beziehung behielt und sowieso gern ging, bevor es allzu ernst werden konnte, aber sie sagte nichts.
„Soll ich Ben anrufen und ihn bitten, nach dir zu sehen? Ich muss jetzt zurück ins Büro.“
„Oh, das ist eine tolle Idee“, sagte Luisa erleichtert. Sie konnte gerade mit ihren Gedanken nicht gut allein sein, da tat Gesellschaft gut. „Danke, dass du Deine Mittagspause für mich Heulsuse geopfert hast!“
„Ach, die Alternative wäre ein Lunch mit dem lüsternen Senior-Chef gewesen, da fiel mir die Wahl recht leicht!“
„Na warte!“, rief Luisa lachend und schmiss ein Kissen nach ihrer Freundin, die jedoch geschickt auswich und sich hinter der halboffenen Tür verschanzte.
„Da, Luisa, ich habe eben ein Lachen gesehen, ein echtes Lachen, gib es ruhig zu!“
„Los, du verrückte Nudel, ab zu deinem lüsternen Senior-Chef, wir sehen uns heute Abend. Und - Adriana?“
„Ja?“ Adrian steckte noch einmal den Kopf ins Zimmer hinein.
„Danke. Für alles.“
Adriana lächelte und warf ihr eine Kusshand zu.
„Dafür nicht, Süße, jederzeit und immer wieder gern. Versuche doch, noch ein bisschen zu schlafen. Bis heute Abend.“
Und damit schloss sie die Tür hinter sich.
Kapitel 2 - Aufmunternder Nachtmittagstee
Luisa schreckte aus einem unruhigen Schlaf hoch. Sie war nach dem Gespräch mit Adriana von deren Bett auf das gemütliche Sofa im Wohnzimmer umgezogen und anscheinend eingeschlafen.
Es hatte angefangen zu regnen, und man hörte nur die dicken Tropfen gegen die Scheiben prasseln, ansonsten war es sehr still in der Wohnung. Luisa sah auf die Uhr.
16:15 Uhr. Wo war Adriana? Ach ja, sie hatte zurück ins Büro gemusst. Vorhin hatte sie ihre Mittagspause geopfert, um schnell mal nach ihr zu sehen. Luisa war ihr so dankbar!
Adriana hatte die halbe gestrige Nacht mit ihr durchwacht, sie getröstet und im Arm gehalten. Luisa kamen wieder die Tränen, als sie an den furchtbaren Abend dachte. Nachdem sie Enno und Mia in flagranti erwischt hatte, war sie ziellos losgelaufen, einfach losgelaufen, nur in ihrem Kochoutfit. Es war empfindlich kalt gewesen, eine Hamburger Frühlingsnacht ist nicht zwangsweise milde. Irgendwann stand sie vor ihrer Wohnungstür in der Speicherstadt des Hamburgerer Hafens, immerhin eine halbe Stunde Fußmarsch vom Chez Enno entfernt. Natürlich hatte sie keinen Schlüssel dabei gehabt, daher klingelte sie bei der alten Frau Müller im Parterre, wo sie und Enno einen Ersatzschlüssel deponiert hatten.
Es war ihr völlig egal gewesen, dass die arme Frau bereits im Bett gelegen hatte. Ohne großartig eine Erklärung abzugeben, hatte sie nach dem Schlüssel verlangt und war hinauf in ihr gemeinsames Appartement gestürmt. Sie hatte furchtbare Angst gehabt, dass Enno sie hier suchen würde, sie hatte ihm auf keinen Fall begegnen wollen. Schnell hatte sie ein paar Sachen zusammengesucht, alles in ihre Sporttasche gestopft, ein Taxi gerufen und war wieder nach unten gerast.
Der Wagen hatte sie bei Adriana in Hamburg-Ottensen abgeliefert. Sie hatte Sturm geklingelt, der verblüfften Adriana gesagt, dass sie das Taxi bezahlen solle und sich dann auf deren Bett geworfen. Erst da hatte sie angefangen zu weinen.
Und nun saß sie hier in dieser leeren Wohnung und war mit ihren quälenden Gedanken allein. Sie sah auf den Anrufbeantworter. Die kleine Lampe blinkte wie wild. Enno hatte sich natürlich gleich gedacht, dass sie zu Adriana geflohen war. Auf ihrem Handy hatte er es sicher zuerst versucht, das lag jedoch noch in ihrer Tasche im Chez-Enno , eingeschlossen in ihrem Spint. Soll er doch warten, bis er schwarz wird, dachte Luisa und stand mühsam auf.
Sie fühlte sich um hundert Jahre gealtert. Luisa durchquerte den Wohnraum und ging in die offene Küche. Dort schenkte sie sich ein Glas Leitungswasser ein, nahm einen Schluck und lehnte sich an die Küchenzeile. Sie sah sich in der Altbauwohnung um. Adriana hatte wirklich einen tollen Geschmack. Obwohl die Wohnung sehr modern eingerichtet war, strahlte sie eine ungeheure Gemütlichkeit aus. Günstig war das alles sicher nicht gewesen, mutmaßte Luisa. Aber Adriana konnte es sich leisten, sie arbeitete in dem renommierten Architekturbüro Hermanns und Söhne und verdiente wirklich ausgesprochen gut.
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