Er hielt inne, damit hatte er nicht gerechnet. „Wo zum Henker warst du?!“ Vorsichtig schaute er, ob Shana davon wach geworden war, doch sie schlief tief und fest. Selbst sein abruptes Aufstehen hatte sie nicht geweckt. „Wo warst du?“ Auch wenn er seine Stimme gesenkt hatte klang sie in dem Raum noch zu laut. Vollkommen desinteressiert ließ sich der Wolf auf einen Kissenberg fallen. „Ich rede mit dir! Shana war krank vor Sorge! Weißt du was es mich an Überredungskunst gekostet hat sie davon abzuhalten nach dir zu suchen?!“ Was bildete er sich ein? Es gab keinen Grund Shana zu verlassen, vor allem nicht da Emilian in der Stadt herumgeisterte. Sei leise, Vampir. Sie wird sonst noch wach.
Plötzlich hallte eine herrische, dunkle Stimme in seinem Geist. Für einen Augenblick verlor Gabriel die Contenance. „Also bist du doch nicht stumm.“ Mit aller Macht zwang er sich unüberrascht zu wirken. Genauso wenig wie du, Vampir. Sagte ich nicht du sollst deine Stimme dämpfen? „Du wiederholst dich Fao. Jetzt wo du deine Sprache wiedergefunden hast, kannst du mir bestimmt auch meine Frage beantworten. Wo warst du?“ Unterwegs. „Unterwegs, aha. Und dir ist nicht zufälligerweise Emilian über den Weg gelaufen?“ Ich war unterwegs, der Rest geht dich nichts an, Vampir. Außerdem warum bist du hier? Was hat ihr Onkel damit zu tun? Dabei streckte Faolan sich und begann zu schnuppern. Zwar wusste Gabriel, dass er seine Stimme nur in seinem Geist hörte, aber wie der Wolf das anstellte blieb ihm ein Rätsel. „Weil er hier war. Durch Zufall nahm ich seine Präsenz war. Als ich hier ankam fand ich eine ahnungslose aber ganz schön aufgebrachte Shana vor. Die nachdem ich ihr alles erklärt hatte los wollte und dich suchen.“ In dem Moment atmete Shana tief durch. Vorsichtig schaute er ob sie von alldem was mitbekam aber sie schlief. Tief und fest. Sie war also aufgebracht, hmm? „Sagte ich das nicht bereits? Man es war wesentlich leichter mit dir zu reden, als du noch nicht die Zähne auseinanderbekommen hast.“
Eine unangenehme Stille legte sich über sie. Mit einem tiefen Seufzer setzte sich Gabriel neben Shana. Das Bett gab unter seinem Gewicht leicht nach, schob sie zu sich. Sofort drehte sich Shana zu ihm als würde sie seine Wärme vermissen. Zärtlich strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht, formte Kreise auf ihrer Wange. Sie sieht so unschuldig aus, wenn sie schläft. Ein leises Knurren ging durch den Raum doch Gabriel ignorierte es. „Seit wann kannst du es?“ Ohne den Wolf eines Blickes zu würdigen machte er weiter. Was genau? Gabriel fixierte Faolan, der es sich wieder auf der Erkerbank bequem gemacht hatte. „Sprechen, du Genie.“ In Grunde schon immer. Leise knurrte Gabriel vor sich her. Wollte er ihn auf den Arm nehmen?! Sein Blick wanderte wieder zu der schlafenden Schönheit neben ihm. „Ihr würde es sehr viel bedeuten. Wieso sprichst du mit mir und nicht mit deiner Herrin?“ Ein erschütterndes Raunen ging durch seinen Geist. Durch ein paar Umstände war ich für längere Zeit nicht in der Lage zu sprechen. Mir ist selbst unbekannt warum es sich gelöst hat aber heute ist es das erste Mal seit Jahrhunderten. Und solange ich nicht weiß woran es liegt, werde ich die Zahl meiner Gesprächspartner so gering wie möglich halten. Gabriel seufzte. „Also wirst du dich auch in Zukunft nicht mit ihr Unterhalten?“
Vorerst nicht, nein. „Und warum mit mir? Jetzt mal ernsthaft. Wir sind weder das was man Freunde nennt, noch sind wir uns sonderlich ähnlich. Warum baut ein Wolf eine telepathische Beziehung zu einem Vampir auf?“ Die Lautstärke seiner Stimme bereitete ihm Kopfschmerzen und Gabriel musste Dampf ablassen. Zudem fühlte sich Gabriel seitdem Faolan mit ihm sprach etwas seltsam. Du irrst dich, wir sind nicht allzu verschieden. Und diese alte Vampir-Werwolf-Fehde interessiert mich nicht im Geringsten. Auch wenn dir die Tatsache nicht gefällt, bist du mir ähnlicher als du es dir eingestehen willst. „Das sehe ich anders. Ich bin in keinster Weise wie du! Du mein Lieber, bist lediglich ein aufgeblasener arroganter Nichtsnutz auf einem abgedrehten Egotrip!“ Faolan verdrehte theatralisch die Augen, schnaubte wie ein Hund es nur konnte. Ich sagte ja, wir sind uns ähnlicher als gedacht. „Hast du mir nicht zugehört?“ Doch gewiss. Allerdings verdrehst du die Tatsachen, Vampir. Über die Details könnten wir uns jetzt ewig Streiten aber in einem kannst du mir definitiv nicht wiedersprechen: Shana. Du willst sie auch beschützen nicht wahr? Reicht das dann nicht fürs Erste als gemeinsamer Nenner? Gabriel schwieg. Faolan hatte voll ins Schwarze getroffen. Dachte ich mir. Zufrieden ließ er wieder den Kopf sinken. Solange ich nicht weiß in welcher Verbindung sie mit meinem sich lösenden Fluch steht, werden weder du noch ich sie einweihen, verstanden Vampir? „Du sagtest ein Fluch?“ Kümmere dich nicht drum. Das Wort klingt immer grausamer als die Realität ist. Also kann ich mich darauf verlassen, dass du schweigst? Gabriel nickte stumm. Gut. Ich weiß das sehr zu schätzen. Dir gebührt mein Dank, Gabriel di Lusatis.
Die ersten Sonnenstrahlen rissen sie aus dem Schlaf. Ihr Körper fühlte sich ungewöhnlich schwer an du sie fragte sich ob Gabriel auf ihr eingeschlafen war. Doch statt dem vermuteten Vampir entdeckte sie Faolan neben sich. „Fao!“ Die Augen des Wolfes verdrehten sich unnatürlich als er aus seinem Schlaf hochschreckte doch viel Zeit hatte er nicht zu reagieren. Mit ordentlich Anlauf ward Shana sich ihm um den Hals, vergrub ihr Gesicht in seinem dicken Fell. „Ein Glück, Du bist wieder da! Ich habe mir riesige Sorgen gemacht! Wo warst du denn die ganze Zeit?“ Verdutzt starrte er sie mit seinen riesigen Kulleraugen an. Keine Antwort. Shana atmete tief durch. Wann kapiere ich endlich, dass er mir nicht antworten kann? Wahrscheinlich versteht er noch nicht mal was ich sage! Zärtlich und mit einem zufriedenen Lächeln streichelte sie dem weißen Riesen über den Kopf. „Weißt du was, vergiss es. Hauptsache du bist wieder bei mir mein Großer! So und jetzt, aufstehen, das Frühstück wartet!“
Schnellen Schrittes eilte Shana zu ihrer letzten Stunde. Auf keinen Fall durfte sie nach einem der anderen Elkada Schüler dort eintreffen – bis auf einen. Sie musste Gabriel zu Rede stellen sonst würde sie sich noch zu Tode grübeln müssen. Warum ist er gegangen? Warum hat er nicht einfach bei mir geschlafen? Sie hielt kurz inne, blieb mitten auf dem Flur stehen. Warte mal, wollte ich das überhaupt? Wieder einmal wusste sie keine Antwort. Seufzend bog sie in den Flur ein, wo sie in letzter Zeit ihren Kurs hatten. Dabei klopfte ihr Herz wie wild gegen ihre Brust, genauso wie gestern. Die Pause endet in zwanzig Minuten. Was mache ich, wenn er nicht alleine ist? Unsicher und aufgeregt erreichte sie den Klassenraum. Einen kurzen Augenblick lang blieb Shana davorstehen, den Türgriff fest in ihrer schwitzigen Hand. So langsam frage ich mich wirklich wieso Gabriel es immer schafft mich so aus der Fassung zu bringen. Was mache ich eigentlich hier? Zweifel befielen ihr Herz. Warum hätte er bleiben sollen, es war ja nicht so als wären wir ein Paar. Allein bei dem Gedanken regte sich was in ihr. Reiß dich zusammen, ihr seid Freunde. Reicht das nicht als Vorwand? Mit einem kräftigen Ruck schwang die Türe auf.
Sichtlich überrascht drehte er sich um und betrachtete sie mit weit aufgerissenen Augen. Gabriel lehnte – wie immer in seiner typischen Haltung - lässig am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt. Shanas Blick streifte über seinen wohlgeformten Oberkörper, der sich durch das schwarze Shirt abzeichnete. Sie schluckte schwer. Gabriel sah einfach umwerfend gefährlich aus. Und nach gestern wusste sie endlich auch wie das Muskelland sich anfühlte. Hart und weich zugleich. Gerade wollte sie ansetzten als er die Stille brach. „Ziemlich dramatischer Auftritt. Bin ich von dir gar nicht gewohnt.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein melodisches Flüstern, doch es reichte um Shana durcheinander zu bringen. „Ich wollte mal was Neues ausprobieren.“ So ertappt wie gerade hatte sie sich noch nie gefühlt aber das war nun mal das Risiko. Entweder Klarheit oder lebenslange Fragezeichen. Gabriels Mimik Spiel zeigte mehr als deutlich, dass er ihr das nicht abkaufte. „Willst du nach deiner Einlage nicht reinkommen oder gefällt es dir mitten in der Türe?“ Sein schelmisches Grinsen brachte ihre Füße dazu sich ganz von allein zu bewegen. Hinter ihr fiel die Türe wieder ins Schloss. Shana hätte schwören können ein Knistern zu hören, ein leises Fiepen in der Luft. Aber vielleicht war es nur Einbildung, denn noch immer schlug ihr Herz so stark gegen ihre Rippen, dass sie sie fast brechen hörte. Wie soll ich anfangen? Gabriels Augen folgten aufmerksam jeden ihrer Schritte. Er war durch und durch Jäger, ließ seine Beute nie länger als nötig aus den Augen. „W-was hast du beobachtet?“ Shana bemühte sich so beiläufig wie nur möglich zu klingen und strich mit den Fingern über das Fensterbrett. „Nichts Wichtiges.“ Gabriels Blick, der bisher keine ihrer Bewegungen entgangen war verlor sich wieder in der Ferne. Die sonst silbern glänzenden Augen wirkten verschleiert als wäre er in einer anderen Welt – genauso wie gestern waren sie mehr Gewitterwolke als glänzender Stahl.
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