Doch dieses Mal war es nicht ihre Entscheidung. Dieses Mal gab es keine andere Wahl für Mathilda. Dieses Mal ging es darum, mit dieser Heirat den helfensteinischen Besitz wieder zu mehren, nachdem die Ulmer einen Teil des Familienbesitzes der Helfensteiner an sich gerissen hatten. Zwar behaupteten diese, es würde an der schlechten Haushaltung der schon verstorbenen Herzogin Maria gelegen haben, Friedrichs Mutter und Mathildas Oma. Doch Tatsache war, dass diese nach dem Tod ihres Mannes das Gut hatte nicht führen dürfen. Dies war allein den Männern vorbehalten. Daher wurden zwei Vormunde für die Verwaltung des Guts eingesetzt, bis die Söhne volljährig gewesen waren. Der eine, ein Freund der Helfensteiner, hatte ordentlich gearbeitet, die finanziellen Mittel zusammengehalten und im Sinne der unmündigen Kinder gehandelt. Doch der andere, ein Ulmer Vogt, hatte das Geld nur so zum Fenster herausgeworfen, was zuerst zur Verschuldung, danach sogar zur Verpfändung der Güter geführt hatte und letztendlich zum Verlust dieser Güter an die Stadt Ulm. Welch Zufall...
Friedrich grunzte abfällig, während er den Blick vom Feuer abwand und sich seine Stiefel wieder anzog. Mathildas Oma traf keine Schuld. Sie war eine gute Frau gewesen, die auch viel für die hiesige Bevölkerung getan hatte. Aber es war natürlich sehr einfach, die Schuld ihr unterzuschieben, stammte sie doch nicht aus dieser Gegend, sondern war aus dem fremden Bosnien nach hier gekommen.
Friedrich selbst hatte damals als unmündiges Kind nur zähneknirschend zusehen können, bis endlich einer seiner Brüder erwachsen war und dem bunten Treiben des falschen Vogts Einhalt gebieten konnte. Doch es war zu spät gewesen. Der Geislinger und Heidenheimer Teil der Grafschaft war lange verloren, als Friedrich selbst die Grafschaft mit dem neuen Hauptsitz der Helfensteiner, die Hiltenburg bei Tizimbach, übernahm.
Mathildas Heirat würde ein wenig von dem alten Glanz zurückbringen, so hoffte Graf Friedrich insgeheim.
Er erhob sich und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Er war schon lange im Familienbesitz. Das dunkle Holz war mit Schnitzereien und Intarsien verziert. An Stellen, die oft angefasst oder an denen durch den Gebrauch darüber gerieben wurde, glänzte das Holz mehr als an anderen Stellen. Friedrich wusste, dass es eigentlich an der Zeit war, den Tisch überholen zu lassen, aber es wäre eine unnötige Ausgabe gewesen. Also beließ er ihn erst mal so wie er war. Dann schob er eine Schublade auf, fischte einiges an Papierkram heraus und legte es vor sich ab auf die Tischplatte.
Durch einen Bediensteten ließ er wenig später seine älteste Tochter zu sich rufen.
Mathilda ereilte die Nachricht, dass sie bei ihrem Vater vorstellig werden sollte, als sie gerade dabei war, einen Ochsen in die Führung eines Fuhrwerks einzuspannen. Es war wieder einmal ein trüber Tag. Über dem Tal lag der Nebel, es war kalt und die Blätter der Bäume hatten bereits begonnen, von den Ästen abzufallen.
"Mathilda, euer Vater schickt nach euch. Er erwartet euch", meldete der Diener und sah ängstlich auf die Hörner des Ochsen, die Mathildas Kopf ziemlich nahe waren. Offiziell sollte sie das hier nur beaufsichtigen und nicht selbst Hand anlegen, aber Mathilda hielt sich wie üblich nicht an das, was man ihr gesagt hatte. Sie erledigte gerne Arbeiten, die den Bediensteten oblagen oder aber dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren. Ihre Familie sah es nicht gerne und sie bekam deshalb des Öfteren Ärger. Die Bediensteten hingegen ließen die Grafentochter gewähren. Sie mochten sie deshalb umso mehr, als sie die anderen mochten, da Mathilda sich in ihren Augen nicht so sehr abhob. Sie war eine Helfensteinerin des einfachen Volkes geworden. Und sie hatte keine Angst vor dieser ollen Kuh. Sie strich dem Ochsen über die Nase. Dieser quittierte die Liebkosung, indem er mit der Zunge versuchte, ihre Hand abzulecken.
"Ich komme schon, Daniel."
Sie ließ von dem Tier ab und nickte einem Stallburschen zu, der ihre Bemühungen fortsetzen sollte.
"Hier, übernehmt den guten Kerl für mich." Dabei warf sie ihm das eine Ende des Stricks zu, dessen anderes Ende um den Hals des Ochsen geschlungen war.
Sie wusch sich kurz die Hände an der zweiten Zisterne, die auf der Vorburg vor den Stallungen zu finden war, und stand binnen fünf Minuten vor ihres Vaters Schreibtisch im ersten Stock des Herrenhauses. Es musste wichtig sein, wenn er sie in seinen Arbeitsraum rief, was er selten tat. Aber wenn er es getan hatte, dann war es immer wichtig gewesen. Deshalb hatte Mathilda sich auch so beeilt.
Friedrich von Helfenstein blickte auf und sah seiner Tochter in die Augen. Sie trug ihr Haare zwar wie eine echte Dame von Stand eng am Kopf geflochten, doch der restliche Aufzug seiner Tochter entsprach nicht gerade dem Adelsbild. Früher, als Kind hatte sie blondes Haar gehabt. Mit der Zeit war es nachgedunkelt, so dass es nun einen hellen Braunton durchzogen von einzelnen helleren blonden Strähnen inne hatte. Sie trug ein altes, ausgewaschenes Kleid, das eher zu einer Magd passte als zu seiner Tochter. Und die momentan übliche eng anliegende Kopfbedeckung fehlte leider gänzlich. Innerlich seufzte er. Er hätte schon lange gegen ihre aufmüpfigen kleinen Spielchen reagieren und diese unterbinden sollen, dachte er. Jetzt war es vermutlich zu spät. Nun ja. Wenn sie erst verheiratet war, würde sich in Mathildas Leben einiges ändern. Spätestens wenn sie Kinder bekam, sollten die jugendlichen Flausen, die in ihrem Kopf herumgeisterten, verschwunden sein. Außerdem musste ihr Ehemann sie dann zurechtweisen, wenn sie sich entsprechend verhielt, nicht mehr ihr Vater.
Er legte seine Sachen zur Seite und begann zu sprechen:
"Setz dich, Mathilda." Dann erreichte ihn eine dezente Duftwolke nach Kuhdung und der Graf schnaubte laut. Es war an der Zeit, dass sie ihre Marotten ablegte. Je früher, desto besser.
"Du riechst nach Kuhstall.
Wo hast du dich nur wieder rumgetrieben, Kind? Du bist meine Tochter! Die Tochter des hiesigen Burgherrn, wenn ich das mal so erwähnen darf. Und nicht irgendeine Magd der Burg, Mathilda! Nebenbei bemerkt riechen die vermutlich besser als du jetzt gerade.
Ist es denn so schwer, das zu akzeptieren?", fragte er scharf. Wenn die Beiden alleine waren, redeten sie meist in einem lockeren Umgangston miteinander Die Förmlichkeiten mit 'ihr‘ und 'euch‘ lagen dem Grafen ebenfalls nicht innerhalb der Familie.
"Du hast Recht, Papa", antwortete seine Tochter und nahm ihm mit diesem einen Satz den Wind aus den Segeln, bevor er diesbezüglich weiter machte.
"Gleich nachher gehe ich mich waschen und umziehen. Nachdem du mir gesagt hast, warum ich hier bin", schob sie hinterher. Friedrich nickte. Zufrieden war er allerdings nicht ganz, lag ihm doch das, was er ihr eröffnen musste, schwer auf seiner Seele. Er setzte sich aufrecht in seinen Stuhl und faltete die Hände, um ruhiger zu wirken.
Irgendetwas beschäftigte ihren Vater, das konnte Mathilda sehen. Ihr schwante etwas. Und dieser Gedanke gefiel ihr gar nicht. Ihr Vater würde doch nicht... er konnte doch nicht... oder doch? Sie würde es ja gleich erfahren.
"Womit wir gleich beim Thema wären", begann ihr Gegenüber nun und riss sie aus ihren Gedanken. Mathilda saß ebenfalls aufrecht mit den Händen im Schoß und sah auf ihres Vaters Lippen, aus denen gleich das strömen würde, was Friedrich von Helfenstein ihr sagen wollte und sie sicherlich nicht hören wollte.
"Nun, Mathilda, du bist mittlerweile 18, eine junge Frau im besten Alter, ein wenig wild und ungestüm, aber sehr hübsch und durchaus in der Lage, zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert.
Wie du weißt, bin ich oft am Hofe des deutschen Kaisers unterwegs. Die Ehe deines Oheims wurde dort vermittelt als Ehrbezeugung für die Dienste, die er dem Kaiser geleistet hat. Wir Helfensteiner stehen immer noch in der Gunst des Kaisers, und so wurde mir bei meinem letzten Aufenthalt dort ebenfalls ein lukratives Angebot dich betreffend unterbreitet, das ich weder ablehnen konnte noch wollte. Und das ich bereits in deinem Namen angenommen habe." Schon während ihr Vater sprach, begannen Mathilda die Ohren vor Zorn zu summen und sie hörte die weiteren Worte ihres Vaters wie durch Watte. Schon als er ihren Opa, Graf Ulrich X. von Helfenstein erwähnte, war ihr klar, in welche Richtung das Gespräch ging, auch wenn ihr Vater noch nicht auf den Punkt gekommen war und in ihren Augen um den heißen Brei herumredete.
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