Stefanie Grimm - Feiertage und andere Katastrophen

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»Da saß Mary am Tisch, flirtete mit Paul und wur­de von einem wütenden Max angestarrt. Ich musste mich getäuscht haben. Ed und Daisy erzählten wie immer und das Essen war hervorragend. So weit war alles wieder wunder­ bar. Als sich Mary aber erhob und umdrehte, sah ich auf ihrem Kleid einen großen blutroten Fleck, in dem ein langes Küchenmesser steckte. Ich kniff ungläubig die Augen zu und als ich sie wieder öffnete, war Mary verschwunden. Keiner der anderen, auch nicht Anny, schien es gesehen zu haben. Ich schenkte mir einen doppelten Whiskey ein.«
Sieben Geschichten nicht nur mit phantastischen Wesen zeigen, dass Feiertage ihre Besonderheiten haben. Ob Sie Ostern in einem B&B übernachten oder auf der Halloween-Party eigenartige Dinge vorgehen, seien Sie gewappnet. Oder geben Sie acht, wenn an Allerheiligen der schwarze Abt kommt …

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Feiertage und andere Katastrophen

Phantastische Geschichten

Stefanie Grimm

© 2018 Begedia Verlag

© 2018 Stefanie Grimm

Umschlagbild — Atelier Tag Eins, www.tageins.de

eBook-Bearbeitung — Harald Giersche

ISBN-13 — 978-3-95777-121-6 (epub)

Besuchen Sie uns im Web:

http://verlag.begedia.de

1. (rumänisches) Frühlingsfest – Festivalul Primăverii

»Vegetarier? Vegetarier! Warum nicht gleich Veganer!« Onkel Theobalds Faust landete so heftig auf dem schweren Eichentisch, dass Tante Edeltrauds gute Kristallgläser beängstigend hohe Sprünge taten. Ich beobachtete fasziniert, wie die rote Flüssigkeit, einem sturmgepeitschten Ozean gleich, in den edlen Kelchen hin- und herschwappte. Dem Nachthimmel sei Dank ohne die blütenweiße Tischdecke zu bekleckern. Tante Edeltraud legte größten Wert auf gute Etikette. Wären die Gläser umgekippt, hätte sie uns ganz schön in die Sonne gestellt. Blutflecken ließen sich so schlecht auswaschen. Onkel Theobald war im Grunde sehr verständig. Deswegen wollte ich ihn als Ersten in meine Pläne einweihen.

»Junge! Hast du dir das auch wirklich überlegt?« Theobald raufte sich sein schütteres Haar, strich es wieder glatt und erhob sich. Er ging zum Erkerfenster und starrte in die tiefdunkle Nacht. Gleich würde der Rest der Familie zum Frühstück heraufkommen. Mein Onkel war Frühaufsteher und auch meine Tante war wie immer schon in der Küche, hatte den Morgentrunk gepresst und hörte gerade die zwanzig Uhr Nachrichten. Mir blieben noch zehn Minuten, um Onkel Theobald auf meine Seite zu bringen.

»Mir hat es eigentlich nie geschmeckt und daher dachte ich ...«, versuchte ich eine Erklärung.

Onkel Theodor drehte sich abrupt um. »Geschmeckt? Papperlapapp. Das ist doch unwichtig. Geschmack ist etwas für Warmbluttrinker. Das liegt an dem modernen Fernsehen, das ihr Grünschnäbel immer schaut. Ich war dagegen, so etwas für unser Haus anzuschaffen. Und jetzt kommst du daher mit so einem neumodischen Ferz.«

Theobald trat wieder an den Tisch, griff sich einen der mit dunkelrotem Samt bezogenen Stühle und setzte sich rittlings darauf. Der Tadel seiner Frau war ihm gewiss. »Thomas, du bist erst knapp 150 Jahre alt. Das ist doch nur so eine Laune. Die hat jeder mal. Das geht vorbei.« Onkel Theobald versuchte es jetzt mit Herunterspielen. Mit dieser Taktik hatte ich gerechnet. Aber da gab es nichts herunterzuspielen und es war wirklich keine Laune.

Jetzt waren es nur noch fünf Minuten.

»Nein. Ich meine es ernst. Bluternst. Ich habe schon lange darüber nachgedacht. Es ist mir wirklich, wirklich wichtig.«

Theobald sah mich direkt an. Der Blick aus seinen dunkelroten Augen drang tief in mich. Das Ticken der Standuhr wurde unerträglich. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. »Du willst dich also wirklich selber ausstoßen? Denk an Großvater Hubert.« Großvater Hubert zu erwähnen, war seine stärkste Waffe. Ein dunkles Geheimnis rankte sich um ihn. Man munkelte, dass Hubert dem vampirischen Leben entsagt hatte und seitdem ausgestoßen und in einem Kanalschacht dahinvegetierte. Ich zuckte kurz zusammen, straffte aber sofort meine Schultern.

»Es ist dir wirklich ernst.«, sagte er leise.

Ich nickte und antwortete heiser: »Ja, und ich bitte dich heute nur um Eins: sag meinen Eltern noch nichts. Hilf mir, eine gute Gelegenheit zu finden.«

Die Küchentür sprang auf und Tante Edeltraud kam mit dem Frühstückstablett in den Salon herein.

»Theobald! Wie sitzt du nur da? Jetzt steh ich seit Stunden in der Küche, passiere Blutsuppe, rühre Plasmakuchen, und du? Du lümmelst hier herum. Du solltest dem Jungen ein Vorbild sein. Thomas, was machst du überhaupt schon hier? Normalerweise verschläfst du die halbe Nacht.« Sie setzte das Tablett ab und sah sich suchend um: »Hast du deine Schwester schon gesehen? Keine Ahnung, wann sie nach Haus gekommen ist. Ich will nicht, dass sie sich in der Dämmerung herumtreibt. Das ist viel zu gefährlich ...«

So ging das noch eine Weile. Theobald setzte sich ordentlich auf den Stuhl und ich half meiner Tante, die Schüsseln auf den Tisch zu stellen. Ich liebte Tante Edeltraud sehr. Sie war immer noch eine sehr schöne Frau mit ihren nachtschwarzen Haaren und den weißen Lippen. Aber sie konnte auf ihre Art auch nervig sein.

»Danke fürs Frühstück, liebe Tante.« Ich hauchte ihr einen Kuss auf den Nacken, der sie zu einem Jungmädchenquietschen verleitete, und sagte: »Aber ich hab schon gegessen. Wartet nicht auf mich.«

Ich wand mich zur Tür und hörte sie noch verwundert fragen: »Theobald, was ist mit dem Jungen? Der hat doch sonst einen tüchtigen Hunger.«

»Ach, lass ihn. Die Jugend von heute.«

»Ist er verliebt?«

Wie nahe meine Tante der Wahrheit kam, ahnte sie sicher nicht. Aber vielleicht zählte mein Onkel jetzt eins und eins zusammen. Ob es dadurch einfacher würde? Vielleicht. Ich hoffte es jedenfalls.

Zehn Minuten später fuhr ich mit meinem Motorrad in die Stadt. Durch eine schöne und trockene Frühlingsnacht. Heute wollte ich es Nadine sagen.

Nadine. Der Polarstern meiner Nächte. Das fröhlich-leuchtende Grau in der Dunkelheit. Mein Magen kribbelte bei der Vorstellung, ihr nah zu sein. Ich konnte und wollte nicht mehr ohne sie leben. Nadine arbeitete im Night Cafe und studierte tagsüber Geschichte. Geschichte war es, die uns zusammengebracht hatte. Ich war der Erste, mit dem sie sich über Geschichte unterhalten konnte. Geschichte – nicht staubig trocken in Bücher verbannt, sondern lebendig wie Breitleinwandkino. Wir erweckten Geschichte zum Leben. Sie aus Leidenschaft und ich hatte einiges davon selber erlebt. Ihre Freunde hatten sich erst ungläubig und dann sehr amüsiert zurückgezogen, als wir uns eines nachts in den Verträgen von Locarno aus dem Jahr 1925 verloren hatten. In dieser Nacht hatte ich mich auch in ihren hellblauen Augen verloren, und das bis in alle Ewigkeit.

»Hi, Thomas.« Nadine strahlte mich an und gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. Sie band sich geschickt ihre langen, blonden Haare zu einem Zopf zusammen. Die feinen silbernen Härchen auf ihrem zarten Nacken brachten mein Blut in Wallung. Sie dort zu streicheln, sie dort zu küssen, sie dort zu beißen ... Stopp!

Darüber war ich hinaus. Zu Beginn unserer Freundschaft hatte ich versucht, meinen Hunger auf Nadine durch übermäßige Sättigung zu unterbinden. Ich war nicht weit davon entfernt gewesen, mir einen Blutrausch zu verpassen. Was alles hätte passieren können! Ich musste meine Strategie umstellen. Radikal und mit Erfolg. Je weniger Blut ich zu mir nahm, desto geringer wurde mein Bedürfnis. Markus, ein menschlicher Kumpel, hatte mir einmal von seiner Null-Diät berichtet. Nach anfänglichem Magenknurren hatte er irgendwann überhaupt keinen Hunger mehr gehabt. Es funktionierte auch bei mir. Aber ich wusste, dass ich so nicht ewig weitermachen konnte. Meine Kräfte würden schwinden. Nicht schnell, denn ich war jung, doch irgendwann wäre es auch bei mir soweit. Aber darüber verbannte ich alle Gedanken. Ich war verliebt.

»Du schaust so ernst? Dabei wollte ich dich überraschen. Ich habe ein Stipendium bekommen. Dann brauch ich das hier nicht mehr zu machen und wir könnten uns früher treffen.« Nadine strahlte mich an, während ich fieberhaft über die Konsequenzen nachdachte. Früher. Ausgerechnet jetzt im Frühling. Mit jeder Woche wurden die Tage länger. Ich hasste den Sommer. Durch mein vegetarisches Leben konnte ich es zwar schon etwas länger in der Dämmerung aushalten, aber irgendwann würde ihr auffallen, dass wir uns nur in der Nacht sahen. Bisher hatte ich meinen vermeintlichen Job als Chemiker vorgeschoben. Ich hatte ihr erklärt, ich müsste an den Wochenenden oft wichtige Versuchsreihen betreuen. Nadine hatte mir den Blödsinn abgekauft. Aber ich fühlte, dass sie es nicht tat, weil sie dumm war, sondern weil sie spürte, dass ich etwas verheimlichen musste, obwohl ich es nicht wollte. Ich war die Heimlichtuerei leid.

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