Doch jetzt hatte er etwas gefunden, dass er rauben und sein Eigen nennen würde. Etwas Wunderbares. Etwas von Wert. Und es musste seines alleine sein! Ganz allein seines!
Er, Ragnor'rok, wollte dieses Mädchen. Dieses eine Mädchen, das den ganzen Glanz der Sterne in ihren AugenHL, die Anmut des Mondlichts auf ihrer Haut und die glühende Hitze der Sonne in ihrem Geiste trug. Sie war furchtlos, stolz und einzigartig schön, fand er. Sie strahlte für ihn wie ein hell loderndes Feuer, das seinen Schein auf seine Umgebung warf. Für einen Drachen wie ihn war sie perfekt. Menschen sahen solche Dinge nicht.
Aber es war so. Denn so hatte er sie erlebt, als er sie einst an dem kleinen Flusslauf neben einem großen Findlingsfels beobachtet hatte, wie sie leise vor sich hin summend eine Libelle in ihrem Flug um das Ufer bewundert hatte. Sie hatte sein dunkles Blut in Schwingungen versetzt, seine Gier, sie seinem Hort beizufügen. Und das, obwohl sie ein Mensch war, die Ragnor’rok bisher nur als Futter angesehen hatte. Nur, indem sie dagesessen und vor sich hin geträumt hatte, war dies geschehen.
Bevor er jedoch erkannt hatte, dass sie ein Teil seines Horts sein musste, war sie gegangen. Erst als das Licht in seinem Innern erloschen war, als sie fort war, da hatte er gemerkt, wie sehr er sie wollte. Sie brauchte! Sie sich nehmen würde.
Instinktiv kroch er damals hinter ihr her, in der Absicht, sie sich gleich zu holen. Doch als er sie eingeholt hatte, war es zu spät. Sie war plötzlich in Gesellschaft vieler anderer Menschen gewesen.
Es wäre ihm zwar leicht gefallen, die andern zu töten und sie zu rauben. Doch mit all seiner Willenskraft unterdrückte er seinen wilden Dracheninstinkt. Wenn er SIE haben wollte, dann durfte er dabei niemanden töten, oder SIE würde ihm das nie verzeihen, das wusste er instinktiv. Menschen waren so. Immerhin hatte er bei dieser Gelegenheit ihren Namen erfahren. Und wo sie herkam.
Mathilda.
Ragnor'rok ließ sich diesen Namen förmlich auf der Zunge zergehen und blickte auf die Burg ihm gegenüber, als er an sie dachte... Dort war sie. Er konnte sie spüren, denn sie besaß das Feuer in ihrem Inneren, das nur für ihn zu singen schien und das er mit seinen Drachensinnen wahrnehmen konnte. Jede einzelne Strophe, jede noch so kurz angeschlagene Note brachte seine Sinne zum Vibrieren.
Es würde nicht mehr lange dauern, und Mathilda gehörte zu seinen Schätzen.
Er hatte viel über sie erfahren bei seinen Streifzügen in Tizimbach und Gosbach. Er hatte Gespräche belauscht. Drachen hatten gute Ohren, weit bessere als Menschen. Ebenfalls war seine Sicht um vieles besser als die menschliche. Vergleichbar wäre wohl ein Adler diesbezüglich. Nur einmal hatte er es gewagt, seine Magie einzusetzen. Dazu hatte er einen alten Säufer getötet und mithilfe seiner magischen Kräfte dessen Gestalt für einen ganzen Tag angenommen. 24 Stunden voller Gefahr, denn in einem solchen Augenblick war ein Drache verletzlich. Menschlich. Und vor allem: zeitlos. Ein Drache spürte unablässig den Fluss der Zeit in sich. In Menschengestalt unterbrach dieser Fluss kurzzeitig. Das war der Preis, wenn er diese Art von Magie anwandte. In diesen 24 Stunden konnte er sterben und war nicht mehr Herr über die Zeit. Als Drache ein höchst unangenehmes Gefühl.
Aber es hatte sich gelohnt. All die Schmerzen, die unterdrückte Angst, in dieser Zeit wahrhaftig verwundbar zu sein und unter die sonst so verhassten Menschen zu gehen, hatte ihn nicht abgeschreckt, das zu tun- für SIE.
Jetzt beobachtete er nur noch und wartete auf eine gute Gelegenheit.
Wie oft schon hatte er sich ausgemalt, Mathilda von der Hiltenburg herunter zu rauben. Er wusste genau, wie er dabei anfliegen würde. Wie er mit seinem heißen Atem alles in Schutt und Asche legen würde.
Die Stallungen als Erstes, denn sie brannten am besten. Er konnte förmlich die Todesschreie der Pferde, Schafe und Schweine in ihrem Innern hören, wenn er sich den fiktiven Angriff vorstellte, sich die Flammen vorstellte, die die Holzbretter der Ställe ergriffen und gierig verzehrten. Drachenfeuer war heißer als jedes gewöhnliche Feuer.
Musik in seinen Drachenohren.
Ragnor'rok lächelte. Es tat irgendwie gut, sich das vorzustellen.
Dann würde er beim zweiten und dritten Anflug zu den Mauern übergehen. Die Wehrgänge wären sein nächstes Ziel, nachdem er vor dem Tor eine Feuerkaskade errichtet hätte. Dazwischen würde er die herumirrenden Menschen mit seinen Krallen anheben und irgendwo hoch oben wieder loslassen. Die Schreie wären phantastisch! Die hölzernen Aufbauten würde er nebenbei mit seinen Pranken von der Steinmauer stürzen. Das wäre ein Leichtes für ihn. Und wenn Mathilda dann mit ihrer Familie versuchen würde, das Herrenhaus zu verlassen und den Bergfried zu erreichen, wie es die Menschen nun mal taten, dann würde er sie sich einfach schnappen.
Schwups! Einfach so!
Er würde sie davon tragen und der Rest der gräflichen Brut würde in einer prächtigen, von ihm ausgesandten Feuerlanze verglühen!
Ragnor'rok schmatzte vor Freude bei diesem Szenario. Doch er wusste sogleich auch, dass es reine Fiktion bleiben würde, was ihm ein unwilliges Brummen entlockte. Mathilda würde er so nicht für sich gewinnen können, das wusste er. Er musste behutsam vorgehen. Mit List. Und vor allem: mit viel Geduld.
In der übte er sich schon eine ganze Weile. Zeit spielte für einen Drachen schließlich keine Rolle. Ein paar Tage oder Jahre mehr oder weniger waren völlig egal. Selbst wenn Mathilda alterte könnte er dies mit einem Zauber wieder in Ordnung bringen. Ein leichtes Unterfangen. Ebenso, Mathilda an seine Lebensspanne zu knüpfen, damit sie auf ewig sein Schicksal teilte. Auch das wäre leicht.
Was ihm zu schaffen machte, war jedoch sein drachischer Instinkt, der ihn unaufhörlich drängte und quälte, endlich aktiv zu werden und seiner ständig lodernden Gier nachzugeben, Mathilda zu einem Teil seines Horts zu machen.
Kapitel 7
Nochmals 3 Jahre später, herrschaftlicher Wohnsaal auf Burg Hiltenburg, im November anno 1427
Graf Friedrich saß in einem Lehnstuhl vor dem offenen Kamin in seinem Arbeitszimmer und wärmte sich die kalten Füße am Feuer. Er war erst vor kurzem vom kaiserlichen Hof heimgekehrt, um eine Weile bei seiner Familie zu verbringen. Außerdem hatte sich etwas ergeben, das er dringend arrangieren musste.
Schon seit Jahren hatte die Familie auf solch eine Gelegenheit gewartet, um die maroden Finanzen der Helfensteiner ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Jetzt hatte sich ihm diese einzigartige Möglichkeit geboten, und er gedachte sie zu ergreifen. Allerdings... wenn da nicht Mathildas Sturheit im Wege stünde...
Der Graf brummte unwillig vor sich hin. Wohl war ihm nicht dabei, Mathilda zu eröffnen, dass er den perfekten Ehegatten für sie gefunden hatte. Sie würde außer sich sein vor Wut, schätzte er. Wenn ihm auch die ganzen Hofintrigen beim Kaiser wenig ausmachten, umso mehr fürchtete er sich vor Mathildas Zorn. Sie war sein Goldschatz. Und er befürchtete, sie dadurch zu verlieren. Er hatte all die Jahre Mathilda vor allem bewahrt, was irgendetwas mit Politik zu tun gehabt hatte. Er hatte sie verhätschelt und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Aber nun konnte er sich den Tatsachen nicht mehr verschließen. Sie war schon 18. Eigentlich verheiratete man seine Töchter eher oder schickte sie ins Kloster, daher war es längst an der Zeit dazu. Agnes, seine Frau, redete diesbezüglich schon seit langer Zeit immer wieder auf ihn ein, dass dieser Schritt unvermeidlich und längst überfällig wäre. Und, dass es bald zu spät wäre, etwas Vernünftiges für seine Tochter zu finden, denn bisher hatte er Mathilda die Wahl gelassen, mit wem und wann sie den Bund der Ehe eingehen wollte. Seine Tochter hatte jedoch in den letzten Jahren jeden Freier abgewiesen, der um ihre Hand angehalten hatte. Es waren einige gewesen, zum Beispiel Benno von Rechberghausen, oder auch Sigmund vom Reußenstein, zwei gute Partien. Sogar den Junker Hans von Berlingen aus dem nahe gelegenen Gosbach, das zur Gemarkung Trackenstein gehörte, hatte sie abgelehnt. Hans war ein junger verliebter Bursche, ein Freund seines Sohnes Ulrich, der zwar zugegebenermaßen nicht der Reichste der Bewerber war, aber sie immerhin auf Händen getragen hätte und sie sicherlich glücklich gemacht hätte, nach Meinung ihres Vaters jedenfalls. Schließlich war er der Hartnäckigste von allen und warb immer wieder um ihre Hand, wenn er auf der Burg weilte. Aber Mathilda wollte keinen.
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