1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 Mathilda huschte weiter und schlich sich in die Burgbäckerei, welche sich nahe am inneren Tor befand. Sie hatte ihren kleinen Geschwistern ja etwas versprochen. Das war der Ort, an dem sie ihr Versprechen diesbezüglich erfüllen konnte, denn heute war Backtag.
Mehrere Frauen waren in dem kleinen Gebäude zugange. Die einen kneteten Teig, eine andere passte darauf auf, dass der Ofen genug Hitze hatte und legte bei Bedarf Holz nach. Brigitte, die Burgköchin, war ebenfalls hier und hatte die Oberaufsicht. Sie half tatkräftig mit. Ein geschäftiges Geschnatter erfüllte den engen, heißen Raum.
Neben der Arbeit wurde sowohl geschwatzt als auch gelacht unter den Frauen. Die Kinder, die mit auf der Burg lebten, drückten sich zusätzlich hier herum. Es war bekannt, dass am Backtag die eine oder andere Leckerei für sie abfiel. Mathilda fiel in dem ganzen herrschenden Trubel kaum auf. Sie reihte sich in die Reihen der neugierigen Kinder ein und tuschelte leise mit ihnen. Heute gab es Kirschennudeln, erfuhr sie von einem kleinen Mädchen. Dafür lohnte es sich wirklich, ein wenig zu warten.
Brigitte nahm gerade den Backschieber in die Hand und arbeitete damit am Ofen. Sie schob ihn hinein. Ein fertiges Brot nach dem anderen glitt heraus und neben die fünf, die bereits auf dem Tisch nebenan zum Abkühlen lagen. Als letztes kamen die Kirschennudeln. Wie wilde Hunde stürzten sich die Kinder darauf, auch wenn sie noch heiß waren. Brigitte, welche die Verteilung übernommen hatte, hatte alle Hände voll zu tun, die Nudeln aus ihrer Schale zu holen, bevor übereilige Kinderhände danach griffen und sich daran verbrannten. Mathilda schob sich zwischen die Kinder und wartete auf ihren Anteil.
Letzten Endes stolzierte sie mit fünf der begehrten Backwaren, welche in ein Tuch eingeschlagen waren, aus der Hofküche heraus. Auf dem Weg nach draußen stibitzte sie eine der Karotten, die in einem Korb am Rand der Küche lagen. Ihre Stute Dara würde sich sicherlich darüber sehr freuen. Sie versteckte sie unter den Kirschennudeln, von denen eine für sie selbst und jeweils eine für ihre Geschwister gedacht waren. Und natürlich eine als Bestechung für Tante Lisbet, welche bekanntermaßen auch ein Süßmäulchen war.
Mathilda musste einem Fuhrwerk ausweichen, das gerade zur Burg hereinrumpelte, als sie die kleine Stufe aus der Burgküche heraus trat .Der feine Nieselregen hatte aufgehört, immerhin. Aber die Wege waren weiterhin matschig und für Schuhwerk schlüpfrig. Man musste aufpassen, wo man hin trat. Für das Fuhrwerk war solch ein Tag eine Qual. Die Ochsen, die es zogen, waren bis zu den Achseln mit Matsch bespritzt. Bei solch einem Wetter mussten sie sich den steilen Zugang zur Burg regelrecht erkämpfen.
Mathilda tigerte weiter. Tante Lisbet hatte sie noch gar nicht entdeckt, was auch gut so war. Sonst müsste sie nur wieder ins Haus.
Doch kaum hatte sie es gedacht, hörte sie Lisbets Stimme über den Hof schallen. Sie zuckte zusammen, als sie direkt angesprochen wurde. Ertappt.
"Mathilda? Mathilda! Was sucht ihr denn hier? Kommt sofort wieder zurück, ihr seid im Haus noch nicht fertig! Ich hatte euch doch eine Aufgabe übertragen!"
"Gleich, Tante Lisbet!"
Ihre Tante kam mit einem Kleinkind von etwa einem knappen Jahr auf dem Arm auf den Hof gelaufen, welches zum Burgvogt gehörte und Christian hieß, wenn sie sich recht erinnerte. Ihre beiden Geschwister waren vermutlich noch in der Stube.
"Nicht gleich, sondern sofort." Dabei zeigte Lisbet mit dem Finger auf den Boden vor ihr. Sie war verärgert, das war ihr deutlich anzusehen. Dass der kleine Christian dabei an ihren Haaren herumzupfte, machte es nicht gerade besser. Lisbet wies ihn zurecht und das Kind sah sie nur glücklich brabbelnd an, seinen Kopf an ihrer Schulter. Mathilda beobachtete es gelassen. Sie zog eine Schnute und schüttelte energisch den Kopf. Lisbets Befehl würde sie jetzt nicht Folge leisten. Ob das klug war, würde sich noch zeigen. Also probierte sie es ausnahmsweise einmal mit der Wahrheit.
"Ich muss aber noch in die Ställe nach Dara sehen. Außerdem soll der Sattler heute kommen und ich muss ihm etwas zeigen. An Daras Zaumzeug stimmt etwas nicht."
"Dann sagt es einem Stallburschen", bestimmte Lisbet ärgerlich.
"Das geht schlecht, Tante, die Stelle lässt sich so schwer beschreiben, das muss ich schon selbst mit dem Sattler ausmachen."
Lisbet sah sie skeptisch an und fing die kleinen Händchen ab, die sich nun ihrem Kinn entgegenreckten.
"Ah, ja. Und das soll ich glauben?"
"Ja!" Das Mädchen kam zu Lisbet herüber. Bevor sie beteuern konnte, dass es der Wahrheit entsprach, redete die Kindsmagd aber schon weiter. Mathilda war verwirrt, da Lisbet plötzlich das Thema zu wechseln schien. Das erste Wort betonte sie etwas deutlicher als den Rest.
"Er ist übrigens schon da."
"Wer? Wen meint ihr denn mit 'er‘?", fragte sie verblüfft.
"Na, euer Freund und sein Vater, der Sattler. Wie heißt er noch gleich? Kolin oder Kevin?"
"Korvin, er heißt Korvin", rutschte es der Grafentochter heraus. In dem Moment merkte Mathilda, dass Lisbet sie überrumpelt hatte und sie in eine Falle getappt war.
"Aha. Korvin also", triumphierte Lisbet mit einem befriedigten Ausdruck im Gesicht, dass es ihr gelungen war, Mathilda zu überfahren. Sie sah den kleinen Christian an, der vor sich hin brabbelte und mit seinen Fingern spielte. Normalerweise lief das meist anders herum. Mathilda fühlte sich elend. Jetzt würde sie erst recht nicht in die Stallungen gehen dürfen. Na toll.
"Ihr seid so was von gemein!", war alles, was sie herausbrachte.
"Mathilda, haltet ihr mich für so dumm? Oder für so alt? Glaubt ihr, ich bin schon blind und taub? Glaubt ihr, ich weiß nicht, woher die kleinen Geschenke kommen?" Doch Lisbets Gesichtsausdruck war nicht rechthaberisch dabei, sondern warmherzig und voller Güte. Ihr Ärger war schon längst wieder verflogen. Dann wurde ihre Stimme leise und verschwörerisch.
"Na los, geht schon. Ihr beiden seht euch so selten. Und da ist ja nichts dabei, oder?" Dabei sah sie Mathilda eindringlich an. Was? Sie durfte gehen? Hoffnung keimte in Mathilda auf, daher beeilte sie sich, die Frage zügig zu beantworten.
"Nein, natürlich nicht, Tante Lisbet. Wir sind Freunde. Die allerbesten sozusagen. Wie man das eben sein kann unter solchen Umständen", sagte sie aufrichtig und mit einem bedauernden Unterton in der Stimme, weil sie Korvin lieber öfter sehen würde. Aber es war ihnen nicht vergönnt. Mathilda hatte tatsächlich noch nie ernsthaft einen Gedanken daran verschwendet, dass zwischen ihr und Korvin mehr als nur Freundschaft bestehen könnte, weil es einfach unmöglich war. Eine Liebesbeziehung? Einfach lächerlich. Sie war doch erst 13. Mathilda wusste, dass sie irgendwann einmal heiraten musste. Im Grunde war sie schon im heiratsfähigen Alter. Aber ihr Vater hatte es noch nicht übers Herz gebracht, sie zu vermählen. In 3 bis 4 Jahren, wenn sich eine passende Gelegenheit fand, würde sie nicht drum herum kommen, das wusste sie. Aber bis dahin wäre sie noch frei. Frei, zu tun und zu lassen, wozu sie Lust hatte. In gewissen Grenzen verstand sich.
Mathilda war irgendwie froh. Die Geheimniskrämerei war ihr Lisbet gegenüber immer schwer gefallen. Hatte das Kindermädchen doch die ganze Zeit über etwas geahnt und doch geschwiegen. Sie war eine Verbündete gewesen, und Mathilda hatte es nicht gewusst! Lisbet wusste ihrerseits, dass Mathilda bisher keine Anstalten machte, dem männlichen Geschlecht nachzusehen. Daher glaubte sie ihr, hakte dennoch noch einmal nach.
"Wirklich?"
"Wirklich, wirklich", antwortete Mathilda voller Inbrunst, nickte zur weiteren Bestätigung mit dem Kopf und nutzte die Tatsache aus, dass Lisbet ihr nie lange böse sein konnte. Der Blick, den sie dabei auflegte, hatte etwas so ehrliches an sich, dass Lisbet wie üblich nicht widerstehen konnte.
Читать дальше