1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 »Fahrt zur Hölle, ihr Schweine«, brüllte die Frau den Kerlen aus vollem Halse hinterher – doch die tauben Ohren der Schergen blockten die Flüche ab, als seien sie winzige, sachte dahingleitende Federn. Unterdessen wurde das kitzlige Gefühl an den weiblichen Fußsohlen immer unerträglicher und Pepino machte keine Anstalten, von dem Salz abzulassen. Der Bock leckte gierig weiter, als habe er seit Ewigkeiten keine Gelegenheit mehr dazu gehabt. Lange würde die Frau das schier unerträgliche Gefühl nicht mehr aushalten. Sie schrie. Wilde, undefinierbare Laute, ein Gemisch aus Angst, Pein und Wollust verließen ihre Lippen. Dann betete die Philosophin zum Himmel: »Oh mio Dio, lieber Gott, bitte lass mich ohnmächtig werden.« Sie verspürte einen fürchterlichen Durst, denn die stickige Luft lag wie Blei in der Lunge. Und sie fürchtete, den Verstand zu verlieren, vollkommen irrezuwerden, überwältigt von einer Reizfülle, die Körper und Verstand nicht mehr verarbeiten konnten. Bedeutete jeder einzelne stimulierende Zauber für sich genommen das vollkommene, sinnliche Glücksgefühl, so beinhalteten alle zusammen am Ende nur das Schlimmste: den tödlichen Krampf, den Atemstillstand. Aber sie wollte sich nicht totlachen. – Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Mit dem aufgemotzten Motorroller blieb der Reporter dem Lieferwagen problemlos auf den Fersen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die alte Karre einzuholen, aber er musste auf Distanz bleiben. Der Fahrer des Wagens durfte nicht merken, dass ihm jemand folgte. Der Fotoreporter vermutete, dass neben der entfleuchten Studentin noch mindestens zwei weitere Leute in dem Auto saßen.
Zunächst ging es in östlicher Richtung hinaus aus der Stadt, auf der belebten Hauptstraße immer entlang des Flusses, den sie nach ungefähr zehn Minuten überquerten. Dann bog das Auto in südliche Richtung ab. Die wenig befahrene, schmale Landstraße schlängelte sich durch sanft gewellte Hügel, vorbei an zwei malerischen, kleinen Ansiedlungen. Hier und da gackerten ein paar Hühner am Wegesrand. Die Verfolgten machten aber keine Anstalten anzuhalten. Stattdessen änderten sie an einer Straßengabel nochmals die Richtung nach Südwesten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wechselten sie von der gut zu befahrenden Asphaltstraße auf eine nur schwer zugängliche, ungepflasterte Nebenstraße, ausgelegt mit grobkörnigem Schotter. Dann überquerte der Lieferwagen eine kleine Rampe, die als Brückenersatz für ein unschuldig dahinfließendes kleines Bächlein diente, und fuhr einen Hügel hinauf durch die Weinberge, bis zu einem mit unzähligen Säulenzypressen bewachsenen Plateau. Hinter einer scharfen Rechtskurve tauchte ein verfallenes Landhaus auf, umgeben von einem im leichten Wind wogenden gelben Meer üppiger Sonnenblumen, die stolz den Blick zu ihrer Licht spendenden Namenspatronin richteten. Die Landschaft offenbarte sich als einzigartiges Idyll sich immer wieder wandelnder Farbflächen, deren starke Kontraste dennoch ein harmonisches Ganzes bildeten, in dem Mensch und Natur zu etwas Vollkommenem verschmelzen konnten.
Es war wie ausgestorben, nicht eine Menschenseele weit und breit – der Fotoreporter konnte nur schätzen, wie viele Kilometer zurücklagen, seit er das Stadtgebiet hinter sich ließ; vielleicht zwanzig oder gar dreißig? Er zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung, jedenfalls ist es ganz schön einsam hier draußen. Ideal für eine Ménage-à-trois , dachte er mit einem verschmitzten Lächeln und ertappte sich dabei, eifersüchtig zu sein. Vielleicht versteckt sich hinter meinem Engel in Wirklichkeit ein kleines, hintertriebenes Teufelchen mit Sinn für das Außergewöhnliche? Er fing an Spaß an diesem Gedanken zu hegen und begann sich allerlei Erotisches vorzustellen. Du Idiot , rief er sich zur Räson. Deine Fantasie geht mit dir durch . Er musste sich wieder konzentrieren, die verführerischen Gedanken bremsen, auch wenn es ihm verdammt schwerfiel.
Das Haus schien verlassen. Ein Geisterhaus, die nächsten Nachbarn außer Sichtweite. Der verputzte Mörtel bröckelte von der Fassade, vereinzelt blinzelten bereits rötliche Ziegelbausteine vorwitzig in die inzwischen tiefer stehende Nachmittagssonne. Ringsherum erfreute sich ein überwuchernder Garten seines Lebens. Alles strahlte den stillen Charme längst vergangener Zeiten aus. Allerdings machte den Reporter die auf dem Dach montierte Satellitenschüssel stutzig. Ein Relikt aus belebteren Tagen? Langsam rollte er die Vespa mit ausgeschaltetem Motor in den Schatten einer frei stehenden Pinie, die den für Bäume ihres Alters typischen, pyramidenförmigen Schirm aufwies. Schnell näherte er sich dem Haus bis auf wenige Schritte. Ein paar bizarr knorrige Olivenbäume schützten ihn vor dem Entdecktwerden. Wie ein niederfallender Grauschleier schwebte eine Staubwolke gemächlich über der Straße – aufgewirbelt vom kurzen Bremsen des Lieferwagens vor dem verwitterten Eingangsportal.
Augen und Ohren weit offen beobachtete der Reporter, wie ein dunkel gekleideter, groß gewachsener Mann mittleren Alters das Führerhaus des Wagens verließ, um dann die rückseitige Liefertür zu öffnen. Sein Gesicht war mit einer Wollmütze vermummt. Seltsam, hier ist doch niemand , dachte der Reporter. Es schien, als trage der vermummte Mann einen Kartoffelsack aus dem Auto. Wo ist die Frau? Er konnte sich des unguten Gefühls nicht erwehren, hier stimme etwas nicht. Die ungleichmäßigen Umrisse des Sackes ließen ihn aber sogleich vermuten, dass der Mann keine Kartoffeln weggeschaffte, eher schon eine regungslose, starre menschliche Gestalt. Das leblose Etwas musste das Himmelsgeschöpf sein. Und der vermummte Mann dann wohl ein Entführer.
Der Reporter wollte sofort losrennen, um sich zu vergewissern. Mit einem Entführer würde er schon fertig werden. Sein Atem beschleunigte sich, der Körper mobilisierte sämtliche Kraftquellen und spannte die laufbereiten Muskeln in den Oberschenkeln an: Alles einsatzbereit , meldete das Hirn. Doch als die Augen einen zweiten Mann erblickten, der aus dem Laderaum kam, brach der Reporter das Vorhaben ab. Zu gefährlich , überlegte er, denn auch dieser Mann trug – dies sah er selbst aus der schützenden Distanz – eine vermummende, schäbig aussehende Wollmütze. »Verdammt, was haben die vor?«, fragte er sich leise. Ihm stand die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Er wartete.
Die Sekunden, die Minuten verrannen so langsam wie Stunden. Ungeduld schlich auf leisen Sohlen heran. Im behütenden Geflecht der sommerlichen Vegetation kauernd, schien ihm die Situation höchst unübersichtlich. Er schätzte sich zwar nicht als Hasenfuß ein, aber beileibe auch nicht als Elitesoldat, gedrillt auf Geiselbefreiung. Er blieb eben doch nur ein einfacher Paparazzo, der mit seinen fünfunddreißig Lenzen seit vielen Jahren gute Fotos von Prominenten, den Reichen und den Schönen machte. Am besten nackt oder zumindest halb nackt und in verfänglichen Situationen. In dieser Hinsicht beherrschte er sein Metier – immer auf der Lauer nach dem Exclusiven, der außergewöhnlichen Story und der absoluten, vollkommenen Schönheit. Deshalb musste er auf die Studentin schießen – natürlich nur fotografisch. Nur deshalb war er hier.
Die Gedanken des Mannes drohten sich in der idyllischen Harmonie der Landschaft zu verlieren, als er völlig überraschend laut meckernde, ungeduldige Störgeräusche vernahm. Dann sah er die Ziege. »Also scheint doch jemand hier zu wohnen.« Der Reporter vernahm die staunende Ängstlichkeit der eigenen Stimme. Er beobachtete, wie einer der Entführer versuchte, den stattlichen Ziegenbock ins Haus zu ziehen. Aber noch verspürte der Bock wenig Neigung, dem Mann zu folgen. Der Reporter konnte sich ein hämisches Schmunzeln nicht verkneifen. Dennoch, Vorsicht war geboten, vielleicht verweilten ja noch mehr Männer im Haus. Egal, jetzt musste er handeln, denn es machte keinen Sinn, die Polizei zu rufen. Was sollte er denen auch sagen? Geiler Fotoreporter ist hinter junger Kunststudentin her und muss nun feststellen, dass ihm andere zuvorgekommen sind? Die Carabinieri würden sich auf die Schenkel klopfen und einen Lachanfall bekommen. Es ist sinnlos , entschied er – jetzt zum Äußersten bereit, und selbst am meisten überrascht von der eigenen Verwegenheit.
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