»Ja.«
»Warum dann so einsilbig?«
»Abschied ist ein bisschen wie Sterben.«
»Katja Eb …«
»Sag jetzt besser nichts.«
Rolf will allein sein. In sich gekehrt schaut er zurück nach Mpulungu und lässt noch einmal unsere Wege der letzten Tage Revue passieren. Vom Hafengelände rüber zum kleinen Markt mit der Anlegestelle für die lokalen Fischer und weiter zur Bar des investitionsfreudigen Engländers direkt am Strand vor der Nkupi Lodge.
Derweil hat die Besatzung an Bord alle Hände voll zu tun. Die Relikte des Jahrmarkts müssen weggefegt, die Planken geschrubbt werden. Das Frachtdeck wird mit Reisigbesen bearbeitet. Die Matrosen kehren Millionen von Maiskörnern zu kleinen Häuflein und schippen sie in den See. Dann wird in der Nähe des Vordecks ein dicker Schlauch an einem Rohrende befestigt. Der kräftige Wasserstrahl entfernt auch den letzten Dreck. Nasses Metall strahlt im grellen Sonnenlicht.
Erst jetzt ist zu erkennen, dass außer uns nur wenige Passagiere die erste Etappe nach Kasanga angehen wollen. Vereinzelt flanieren sie über die Decks oder stehen entspannt an der Reling. Die Liemba zeigt ihre andere Seite, wirkt unnatürlich leer. Die Schiffsbar, noch vor wenigen Minuten Zentrum von Jubel und Heiterkeit, ist umweht von Einsamkeit. Der leere Frachtraum reißt, einem zahnlosen Greis gleich, seinen tiefen Schlund auf, gierig nach neuer Befüllung.
Zwei Stunden dauert die Fahrt bis zum nächsten Halt. Auf See werden wir Sambia verlassen und in Tansania einreisen. Zwischendurch müssen die Uhren vorgestellt und Passformalitäten erledigt werden. Ein bürokratischer Akt, der Aufmerksamkeit verlangt. Für uns verwöhnte Schengen-Bürger mittlerweile ein lästiges Übel. Erstaunlich, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, unbehelligt durch Europa zu düsen. Eine Selbstverständlichkeit, die einen sich angesichts der offensichtlichen Vorteile heute wundern lässt, warum die alten Nationen so viele Jahrzehnte dafür streiten mussten.
»Keine Einreise ohne Ausreise.«
»Wie bitte?« Ich drehe mich um.
»Sind Sie offiziell ausgereist?«
»Was, wenn nicht?«, entgegne ich in einem Anflug von Übermut.
Vor mir steht ein untersetzter Beamter mit freundlichen Gesichtszügen. Er hat seine Zelte in einer Kabine der 1. Klasse aufgeschlagen. Ein Vertreter der tansanischen Administration, der mit der Aufgabe betraut ist, an Bord hoheitliche Rechte zu vollstrecken. »Wenn Sie nicht ordnungsgemäß ausgereist sind, müssten Sie in Kasanga von Bord gehen und zurück auf die sambische Seite«, erläutert er in ernstem Ton. Kein Stempel im Pass wäre eine fatale Unterlassung der Vorschriften. Ich seufze tief und kratze mich am Kopf. Seine Mundwinkel versuchen ein Lächeln zu verbergen. Soweit ich es einschätzen kann, haben wir alles getan, um vorschriftsgemäß reisen zu dürfen, ob ein oder aus. »Dann folgen Sie mir doch bitte.« Täusche ich mich oder hat er mir gerade fröhlich zugezwinkert?
Rolf steht bereits vor dem Immigration Office und fächelt sich mit dem Pass Luft zu. Mein Beamter drängelt in die enge Kabine, vorbei an einem weiteren Offiziellen. Er schiebt sich auf einen kleinen Stuhl, rückt an den Tisch heran und beginnt, umgeben von Formularstapeln, mit dem Vollzug. Zwischendurch wirft er einen Blick durch die Kabinentür, überlegt und zeigt auf das ferne Ufer. »Kalambo River.« Die Flussmündung, vom Schiff aus kaum zu erkennen, bildet die natürliche Grenze zwischen Sambia und Tansania.
»Haben Sie den Wasserfall gesehen?« Wir nicken. Ja, haben wir. Wenige Kilometer von der Flussmündung landeinwärts stürzen die Kalambo Falls 235 m in die Tiefe. Genau genommen keine Fälle, sondern ein einziger, der zweithöchste Afrikas. Ohne Übertreibung kann die Anreise als beschwerlich bezeichnet werden. Da sich der Wasserfall auf sambischem Staatsgebiet befindet, sollte die Tour der Einfachheit halber dort begonnen werden. Zwei Routen bieten sich an. Von Mpulungu aus gilt es mit einem Bötchen die Flussmündung zu erreichen, um danach einen zweistündigen, schweißtreibenden Fußmarsch anzutreten.
Ebenfalls von Mpulungu aus, mit entsprechender Ausrüstung jedoch unbestreitbar bequemer, startet die Alternativroute. Ein Landweg, den wir vor ein paar Tagen gewählt haben. Nach etwa der Hälfte der insgesamt rund 80 km langen Strecke, gleich hinter dem kleinen Nest Mbala, mündet die elegante Teerstraße in eine üble Sandpiste. Schon auf den ersten Metern fühlten wir uns wie auf einem Truppenübungsplatz, der üblicherweise nur von Panzern befahren wird. Eine Herausforderung für Mensch und Material, beide sollten unbedingt geländetauglich sein. Ein Hinweis, den wir offen gestanden ignoriert hatten, und Edwin, einen charmanten lokalen Taxifahrer mit betagter Limousine, aus dem Stand engagierten, um den schönen Ausflug mit uns zu unternehmen.
Auf und nieder, nimmer wieder. Ein Höllenritt. Kurz vor dem Wasserfall wären wir um ein Haar in einer steilen Neigung stecken geblieben. Unser Gefährt ächzte unter der tödlichen Belastung und konnte trotz beherzter Anstrengungen des Fahrers nur schwer befreit werden. Edwin blieb äußerlich gelassen, seine für einen kurzen Moment freie Hand prüfte dennoch unauffällig die Wasservorräte. Und während wir mitten im Überlebenskampf steckten, surrte ein schnittiger Geländewagen mir nichts, dir nichts an uns vorbei. Allrad, ein Segen für den Nutzer. Der Leopard überrundete unseren Go-Kart aufreizend leichtfüßig, um gleich darauf wieder im Busch zu verschwinden. Natürlich nicht, ohne eine Wolke aus Staub und roter Erde zu hinterlassen.
Kurz darauf war klar, dass wir uns verfahren hatten. Verschämt prüfte auch ich nun die Wasservorräte, um nebenbei festzustellen, dass es keinen Handy-Empfang gab. »Wenn man den Weg verliert, lernt man ihn kennen«, heißt es in Afrika. Edwin muss das genauso gesehen haben, er blieb weiter völlig entspannt, pufferte eine Zigarette und lenkte das Gefährt betont lässig mit einer Hand. Mit mehr Glück als Verstand erreichten wir unser Ausflugsziel und besichtigten den Wasserfall auf einer hastigen Wanderung zu den verschiedenen Aussichtspunkten. Wer mag, kann sich am Ziel der Tour in einem Becken erfrischen, das sich unmittelbar am Wassersturz aufstaut. Kein Geländer trennt den Badenden vom Abgrund. Dennoch ein beliebter Treffpunkt für Einheimische diesseits und jenseits der Grenze. Die einen planschen, andere waschen ihre Wäsche.
Der Beamte wirft einen letzten Blick in unsere Pässe. Die Ausreise ist ordentlich dokumentiert. Der Stempel schnappt. Wir dürfen einreisen. Zeitgleich erscheint an der Kabinentür ein unscheinbarer, älterer Mann. »I am Mr. Masimba«, sagt der verschollen geglaubte Schlüsselmann, Kabinenchef, Vertrauensoffizier. Im Ort sei er gewesen, um Einkäufe zu erledigen, lässt er den Stempelbeamten übersetzen. Wir erhalten unseren Kabinenschlüssel. Das Schloss gibt nach, Sesam öffne dich.
Doppelstockbett. Waschbecken, Schrank und Tisch. Davor ein Stuhl. Dazu ein Ventilator und vier Fenster. Die etwa fünf Quadratmeter sind schnell überblickt. Schlichte Funktionalität mit dem Charme einer Jugendherberge vor dreißig Jahren. Wir klappen die Fenster auf, sorgen für Durchzug und testen kurz die Betten, um anschließend richtig einzuziehen. Die Habseligkeiten werden überall in der Kabine verteilt. Nach wenigen Minuten gleicht die winzige Herberge einem Wühltisch beim Sommerschlussverkauf.
Kaffee wäre jetzt schön. Die Steckdose funktioniert, der Tauchsieder heizt. Das braune Pulver schäumt im brodelnden Wasser. Ein behaglicher Duft von Luxus, den ich Rolf verdanke. »Ich hab dir da was mitgebracht«, so der Allerbeste bei unserer Ankunft in Dar es Salaam. Den kleinen Miniheizer und ein Päckchen Kaffee. Genüsslich ziehe ich an einer Zigarette. Wie lange fahren wir? Nur zwei Tage? Schade, ich könnte ewig bleiben. Heimat Liemba.
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