„Du bist nicht gern hier, nicht wahr, mein Kind?“, unterbrach der alte Graf ihre Gedanken.
„Doch, ich ...“, begann sie hilflos.
„Nein“, unterbrach er sie. „Lass uns ehrlich miteinander sein. Versprich mir, dass du mir gegenüber immer ehrlich bist. Ich verspreche dir im Gegenzug, dass du keine Konsequenzen dafür zu fürchten hast. In Ordnung?“
Er sah sie aus scharfen Augen an und sie nickte.
„Gut. Beginnen wir mit der Hochzeit vor drei Jahren. Hat mein Sohn dir wehgetan? Bist du deswegen abgereist?“
„Nein!“ Sie schüttelte den Kopf. „Er hat mir nicht ... Er verhielt sich sehr ... anständig. Ich ... ich bin nicht abgereist, vielmehr hat dein Sohn ... Er sandte mich zurück.“
Der alte Mann nickte.
„Hat er dir gesagt, warum?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Hast du eine Ahnung, warum du wieder hier bist?“, fragte der alte Graf.
„Dein Sohn ließ nach mir schicken, doch ich weiß nicht, warum.“
„ Ich habe deine Rückkehr angeordnet“, erklärte der Graf. „Ich möchte, dass ihr beiden jungen Leute eure Verbindung ehrt, wie ihr vor Gott gelobt habt. Es ist nicht richtig, dass Mann und Weib getrennt leben. Mein Sohn braucht einen Erben.“
Gisela erbleichte und der Graf musterte sie stirnrunzelnd.
„Du fürchtest dich. Er hat dir doch wehgetan.“
„Nein, wirklich nicht. Es ist nur ...“
„Du findest es nicht erfreulich, bei deinem Gatten zu liegen“, stellte er fest. „Nun, dass ergeht leider vielen Frauen so. Jedoch ist es deine Gott gegebene Pflicht, deinem Mann zur Verfügung zu stehen, um einen Erben zu zeugen. Ich bin sicher, mein Sohn wird so viel Rücksicht auf dich nehmen, dass er dich nicht mehr belästigen wird, wenn es vollbracht ist.“
Gisela schluckte.
„Ich ... ich werde mich nicht vor meinen Pflichten drücken“, erwiderte sie schwach.
Der Graf nickte.
„Schön. Aber wenn mein Sohn sich dir gegenüber irgendwie grob verhalten sollte, dann scheu dich nicht, mich aufzusuchen. Ich werde dann mit ihm reden. Ich finde, ein Mann sollte seinem Weib immer mit Respekt begegnen, auch wenn gewisse Pflichten zu erfüllen sind.“
„Ähm, ... danke“, murmelte Gisela unbehaglich.
„Dann geh, meine Liebe und erhol dich erst einmal ein wenig von der langen Reise.“
Gisela erhob sich, froh, die Unterredung endlich hinter sich gebracht zu haben.
„Danke“, sagte sie. „Das werde ich.“
Der Graf ergriff ihre Hand und schenkte ihr ein Lächeln.
„Du bist eine gute Frau. Ich würde mich freuen, wenn diese Ehe funktionieren würde. Gib meinem Sohn ein wenig Zeit und zeige dich verständnisvoll und zugänglich. Ich bin sicher, er wird schon noch erkennen, was für ein Juwel er da an seiner Seite hat.“
Gisela nickte nur, denn sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Als er ihr Hand los ließ, machte sie einen hastigen Knicks und eilte aus dem Raum.
Es war beinaheeine Woche vergangen, seitdem sie auf Burg Trugstein angekommen war und Gisela wurde immer nervöser. Nach ihrem Gespräch mit dem alten Grafen hatte sie erfahren, dass ihr Gatte kurzfristig verreist war. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihr Gemahl es mit der Erfüllung seiner Ehepflichten auch nicht sonderlich eilig hatte. Obwohl sie froh darüber sein sollte, verletzte sie sein offensichtliches Desinteresse an ihr. Sie war zwar nicht übermäßig eitel, hielt sich aber dennoch für recht hübsch. Ihre langen schwarzen Haare glänzten wie poliertes Ebenholz, ihr Teint war makellos und ihre zierliche Gestalt war an den richtigen Stellen gerundet. Zwar sah sie den ehelichen Pflichten mit einem unguten Gefühl entgegen, doch sie fand es noch viel schlimmer, darauf warten zu müssen. Sie wollte es endlich hinter sich bringen. Je schneller sie ein Kind unter dem Herzen trug, desto schneller hatte sie ihre Freiheit wieder. Da Alberic sie anscheinend nicht besonders begehrenswert fand, würde er sie sicher wieder in Ruhe lassen, sobald sie guter Hoffnung war. Ein Kind zu haben wäre etwas, das ihr Freude in dieser ungewollten Ehe geben konnte. Sie liebte Kinder und sie war sich sicher, dass sie eine gute Mutter sein würde.
„Frau Gisela“, erklang die Stimme ihrer Magd.
„Ja Ida? Ich bin hier bei dem Brunnen“, antwortete Gisela.
Ida trat um die hohen Heckenrosen herum und schüttelte missbilligend den Kopf, als sie ihre Herrin beim Unkraut jäten erspähte.
„Wirklich, Frau Gisela“, sagte sie tadelnd. „Das ist aber keine Aufgabe für eine Frau deines Standes.“
Gisela richtete sich auf und strich sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht, hinterließ dabei einen dunklen Schmutzstreifen auf ihrer Stirn.
„Wenn ich den ganzen Tag nur hier rumsitzen muss und auf meinen Gatten warten soll, der offenbar nichts mit mir zu tun haben will, dann werde ich noch verrückt.“
„Wegen deinem Gatten bin ich hier“, sagte Ida. „Er ist soeben zurückgekommen. Es wäre besser, du ziehst dich um, ehe du ihm gegenüber trittst. Er ist in keiner sehr guten Stimmung.“
„Ich komme gleich“, sagte Gisela und bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Die Nachricht, dass ihr Gemahl zurückgekehrt war, hatte sie ziemlich durcheinander gebracht. Gerade hatte sie sich noch gewünscht, es endlich hinter sich zu haben und jetzt wollte sie am Liebsten einfach davonlaufen.
„Ich lasse dir ein Bad richten und lege dir ein frisches Gewand raus“, sagte Ida und wandte sich ab.
Gisela starrte ihrer Magd hinterher, dann nahm sie den Korb mit dem Unkraut, um ihn auf dem Kompost zu entleeren. Ihr sehnsüchtiger Blick glitt zu dem großen Wald in der Ferne. Wenn sie nur den Mut hätte, einfach davonzulaufen. Doch sie wäre gar nicht in der Lage, allein und ohne Mittel zu überleben. Es war kindisch, übers Davonlaufen nachzudenken. Es war an der Zeit, dass sie sich ihrem Schicksal stellte. Sie hatte mit ihrem Bruder auch eine schwere Zeit durchgemacht, nachdem die Eltern und ihr Bruder gestorben waren. Damals hatte Fulk sich abgeschottet und das Trinken angefangen. Schließlich war sie es gewesen, die ihrem Bruder gesagt hatte, dass er seinen Problemen nicht ewig davonlaufen konnte. Damals war sie stark gewesen. Sie konnte es auch jetzt sein. Sie war jetzt älter, eine verheiratete Frau.
„Komm, Mädchen“, murmelte sie zu sich selbst. „Fang an, dein Leben wieder in die Hand zu nehmen!“
Entschlossen eilte siedurch den Garten. Sie würde es mit dem Teufel selbst aufnehmen, wenn es sein musste. Wenn sie nur aufrecht blieb und stark, dann würde er sie nicht brechen können. Vielleicht würde er sie wieder zurück nach Rabenfeld schicken, wenn er erst mal genug von ihr hatte.
Als sie um eine hohe Hecke bog, stieß sie hart mit einer hohen Mauer zusammen, die sich plötzlich vor ihr auftat. Zwei große Hände legten sich um ihre Taille, um sie zu stabilisieren, als sie strauchelte.
„Hoppla“, sagte eine tiefe Stimme.
Giselas Herz fing an zu rasen. Die Mauer war niemand anderer, als ihr finsterer Gatte. Sie konnte seinen kräftigen Herzschlag unter ihrer Hand spüren. Seine plötzliche Nähe überwältigte sie. Sie wollte ihre Hände wegziehen, doch sie standen so dicht voreinander, dass Gisela nichts anderes mit ihren Händen tun konnte, außer sie auf seiner Brust liegen zu lassen. Obwohl der Stoff seiner Tunika sie von seiner Haut trennte, konnte sie die Hitze spüren, die von ihm ausging. Und seine Muskeln, diese stahlharten Muskeln. Sie sollte sich nicht so kribbelig dabei fühlen.
Langsam hob sie den Blick und starrte in seine dunklen Augen. Irgendetwas war in seinem Blick, das sie nicht benennen konnte, doch es machte sie nervös und bescherte ihr ein seltsames Ziehen in den unteren Regionen. Ihr Atem kam auf einmal schwer und ihr wurde so warm. Dass musste an seiner Hitze liegen. Der Mann schien geradezu zu glühen. War er vielleicht krank?
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