„Bring eine Fackel!“, brüllte Bajan. Mit gezücktem Schwert näherte er sich vorsichtig der Tür.
Die Männer kamen mit mehreren Fackeln zurück. Sie warfen eine in den Raum, dann schob sich Bajan langsam vor. Mit einem Blick erfasste er das Chaos und erblickte den Mann in der Ecke. Vorsichtig näherte er sich ihm, aber dieser schien sich nicht zu bewegen. Doch dann keuchte Bajan auf. Er sah eine schmale Hand unter dem Mann hervorragen.
Wutentbrannt zerrte er den Irren von Currann herunter. Die Soldaten, die hinter ihm in den Raum gedrängt waren, brachen in entsetzte Rufe aus. Currann war über und über mit Blut bedeckt. Schnell kniete Bajan sich neben ihn und fühlte seinen Puls. Erleichtert atmete er auf. „Er lebt, es ist nicht sein Blut!“ Er zog den Jungen zu sich heran. Dabei entdeckte er die Würgemale an seinem Hals.
„Seht, er wollte ihn töten!“, rief einer der Männer.
„Findet heraus, wie der Irre aus der Zelle entkommen konnte, und bringt mir den Schuldigen her!“ Bajan wäre am liebsten selbst zur Tat geschritten, so wütend war er, aber jetzt galt es erst einmal, Currann zu versorgen.
„Fürst Bajan, seht her!“ Einer der Männer hatte den Umhang des Mannes beiseite gezogen. Nun sahen alle das kleine Messer aus seinem Hals ragen.
„Currann hat ihn getötet!“, riefen die Soldaten verwundert und nicht wenig stolz. Bajan und einer seiner Leute hoben den Jungen vorsichtig auf und trugen ihn aus dem Raum zu Jeldriks Krankenlager. Unterwegs brüllte Bajan quer über die ganze Anlage nach Anwyll.
Ohne anzuklopfen, stießen sie die Tür auf. Roar fuhr aus seinem Schlaf auf. „Was ist passiert?“ Er blickte ungläubig auf den Jungen, den sie hereintrugen, und nahm die aufgeregten Rufe draußen wahr. Umgehend machte er den beiden Männern Platz, damit sie Currann auf Roars Lager legen konnten, und meinte finster: „Der Gefangene ist entkommen, nicht wahr?“
Bajan bettete mit fahrigen Bewegungen den bewusstlosen Jungen bequemer hin. „Er hat den Irren getötet, Roar. Hier sind wir, ein Haufen erfahrener Soldaten, und wir schaffen es nicht, unsere Jungen zu beschützen. Wie kann das sein?“ Er rieb sich fassungslos übers Gesicht.
Roar drückte ihm verständnisvoll die Schulter. Bajan sah zu ihm auf. Auf einmal schien sich etwas zwischen ihnen verändert zu haben. Sie waren keine Fremden mehr, sie waren Gleichgesinnte. Mühsam raffte er seine Gedanken zusammen. „Wir haben einen Mann verloren. Der Irre hat ihn getötet. Es ist einer von Euren Leuten.“
Roars stieß einen Fluch aus. Schnell eilte er aus dem Raum und schob dabei Anwyll beiseite, der zu ihnen geeilt kam. Umsichtig untersuchte der alte Mann den Jungen, stellte aber fest, dass ihm augenscheinlich nichts fehlte.
Als er ihm die blutige Kleidung abstreifen wollte, begann Currann, sich zu rühren. Schließlich schlug er die Augen auf. „Was ist passiert?“, fragte er verwirrt. Seine Stimme kratzte. Mit großen Augen starrte er auf die beiden Männer, die sich über ihn beugten. Dann fiel ihm alles wieder ein. „Ihr seid rechtzeitig gekommen, nicht wahr?“, keuchte er.
Bajan schüttelte den Kopf. „Du hast dir selbst geholfen und den Angreifer getötet.“
Currann wurde schwindelig. „Ich habe den Mann getötet!?“ Ihm blieb die Luft weg. Erschöpft schloss er die Augen und ließ zu, dass Anwyll ihn entkleidete.
Bajan strich ihm beruhigend über die Stirn. „Versuche, etwas zu schlafen, wir bleiben bei dir. Keine Angst.“
Anwyll deckte den Jungen zu. Dabei beobachtete er Bajan aufmerksam. Es war deutlich zu sehen, dass dieser sich schwere Vorwürfe machte. „Ich bleibe hier und passe auf die beiden auf. Geht Ihr zu Roar und seht zu, was Ihr herausfinden könnt.“ Für Bajan war es jetzt das Beste, zur Tat zu schreiten.
Bajan dankte Anwyll und gesellte sich zu Roar, der mit seinen Männern mit grimmiger Miene um den toten Kameraden herum stand. Da fiel Bajan siedend heiß etwas ein. Er zog alarmiert die Luft ein und nahm Roar beiseite. „Ich hatte eine Wache vor der Zelle des Gefangenen postiert! Habt Ihr schon nach dem Mann gesehen?“ Roar schüttelte den Kopf.
Bajan eilte alarmiert hinüber zu der Zelle des Gefangenen. „Wo ist die Wache?“, rief er seine Leute an.
„Der Mann ist nicht da, Fürst“, berichtete einer der Soldaten.
„Sucht ihn und bringt ihn mir!“ Bajan spürte, wie er allmählich seine Beherrschung verlor. Wie konnte der Mann nur derartig seine Pflicht vernachlässigen? In der Zelle hörte er das Lamentieren der Mönche. „Lasst mich durch!“ Er zerrte die Männer grob beiseite. Der Tote in der Zelle war Bruder Askar.
Roar, der inzwischen ebenfalls hereingekommen war, packte Stiig am Kragen seiner Kutte. „Wie konnte das passieren, Mönch? Unsere Anweisungen waren deutlich gewesen, und doch hat Euer Mann dagegen verstoßen. Dies hat einen meiner Männer das Leben gekostet!“
Stiig wand sich unter dem steinharten Griff des Saraners. „Er wollte nur helfen, seht selbst, was wir gefunden haben“, winselte er und zeigte auf ein kleines Fläschchen, das einer der Brüder in der Hand hielt.
Bajan nahm es und roch vorsichtig daran. „Mohnsaft!“, stellte er fest und reichte das Fläschchen an Roar weiter.
Dieser stieß Stiig wie eine lästige Fliege von sich. Wütend knurrte er die Mönche an: „Geht zurück in Euer Quartier und lasst Euch ja nicht mehr hier blicken!“
„Wie könnt Ihr es wagen!“ Empört wandte sich Stiig an Bajan. „Klärt Euren heidnischen Freund darüber auf, dass die Männer des Einen Herrn sich von niemandem befehlen lassen, schon gar nicht in unserem eigenen..“
Bajan jedoch war mit seiner Geduld endgültig am Ende. Er unterbrach ihn einfach. „Ihr habt gegen meine ausdrücklichen Anordnungen verstoßen und dadurch das Leben des Thronfolgers in Gefahr gebracht.“
Stiig giftete zurück: „Ach ja, und wo ist Eure Wache? Sie hat ihre Pflicht nicht..“
„Genug!“, fuhr Bajan ihn an. „Ich stelle Euch hiermit unter Kriegsrecht, bis wir wieder zu Hause sind. Der Rat von Gilda wird dann darüber entscheiden, was weiter mit Euch geschieht! Nehmt nun Euren toten Bruder und bereitet ihn zur Bestattung vor. Wir werden ihn nicht mitnehmen.“ Er ließ seine Männer die protestierenden Mönche zu ihrem Lager abführen.
„Das wird noch ein Nachspiel haben, Bajan!“, kreischte Stiig über die Schulter, bevor sich die Tür ihres Quartiers hinter ihnen schloss.
Erschöpft lehnte Bajan an der Wand der leeren Zelle. Roar sah mit finsterer Miene den Soldaten hinterher. „Ist die Macht der Mönche so groß, dass der Rat sich mit diesem Vorfall beschäftigen muss?“
Bajan seufzte. „Oh ja. Dieser Vorfall könnte mich sogar meinen Posten kosten, mein Freund. Die Mönche sind sehr einflussreich, unterschätzt sie bloß nicht.“ Er stieß sich von der Wand ab und verließ vor Roar die Zelle.
Die Männer hatten inzwischen das Gelände abgesucht. „Der Soldat wurde nicht gefunden, Fürst“, erstatte ihm der Hauptmann Bericht.
Bajan hörte in besorgtem Schweigen zu. Er dankte dem Soldaten und zog Roar beiseite. „Ich kann nicht glauben, dass der Mann einen solchen Verrat begangen hat.“
„Alle Hinweise deuten darauf hin, Bajan. Warum sollte der Mann sonst verschwinden?“ Verwunderung schwang in Roars Stimme mit. Für ihn war die Sache eindeutig.
Bajan war sich durchaus bewusst, dass es abwegig klang. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass ein Verräter unter uns und nicht in den Reihen der Soldaten zu finden ist. Aber Bruder Askar war es mit Sicherheit nicht. Er war harmlos und wollte wohl tatsächlich bloß helfen.“ Er wartete auf eine Reaktion von Roar, doch als dieser ihn nur schweigend ansah, seufzte er. „Kommt, lasst uns das Lager abbrechen. Bei Sonnenaufgang bestatten wir Euren Mann, dann brechen wir umgehend auf. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.“
Читать дальше