„Los, denk nach, wo sind deine Leute heute hin?“, drängte Althea ihn.
„Yola ist mit den Mädchen hoffentlich noch im Tempel, und Mutter .. keine Ahnung. Aber sie kommt selten tagsüber zu unseren Räumen. Wollen wir die Tür ausprobieren?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern drückte die Steine. Augenblicklich ertönte ein Knirschen, und sie sprangen vorsichtshalber ein paar Schritte zurück.
Nichts rührte sich. Sie probierten, die Platte anzuheben, aber diese war zu schwer.
„Verflucht, wie funktioniert das nur? Irgendwie muss doch die Platte von dort weg!“ Phelan betrachtete frustriert die Decke. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf. „Schau, sie kann nicht weg, denn sie ist in der Wand. Nach oben geht es also nicht. Aber vielleicht zurück ..“ Er klemmte sein Schwert in den Spalt und begann zu hebeln.
„Pass auf, dass es nicht verbiegt oder zerbricht!“, rief Althea.
Phelan winkte ab, denn die Platte begann, sich langsam nach hinten zu bewegen. „Hilf mir mal!“ Gemeinsam zogen sie an der Platte. Jetzt entdeckten sie auch die Grifflöcher, die so versteckt angebracht waren, dass man sie nicht ohne Weiteres fand. Ab da war es ganz einfach. Sie zogen die Platte so weit beiseite, dass sie hindurchschlüpfen konnten.
Phelan sprang sofort zur Tür und verriegelte sie von innen. Strahlend sahen sie sich an. „Das war das Abenteuer des Jahres! Currann wird grün vor Neid sein!“ Althea hüpfte übermütig auf das Bett.
„Pst, leise, niemand darf uns hören“, mahnte Phelan sie. Er überlegte schon weiter. „Ich würde Currann erstmal nichts davon erzählen wollen, glaube ich. Was meinst du?“
„Mir ist es recht, denn dann erfährt er auch nicht von unserer Kammer.“ Althea beäugte schon wieder die Geheimtür. „Wie macht man die von außen zu?“
Wie Phelan richtig vermutete hatte, war die Platte nicht nach oben aufgegangen, sondern hatte sich in der Wand nach hinten bewegt. Er sah genauer hin. Dabei fiel ihm auf, dass zwei Kissen, die vorher auf dem Bett gelegen hatten, heruntergefallen waren. Das konnte nicht Althea gewesen sein, dachte er und untersuchte die Wand hinter seinem Bett genauer. Schließlich begann er zu tasten. Ein kleiner Stein ließ sich hereindrücken, und knirschend schloss sich die Wand wieder. Er wollte noch einmal drücken, aber der Stein ließ sich nicht mehr bewegen. „Wo ist das Gegenstück?“
Althea sah erschreckt auf, denn draußen auf dem Gang waren die Stimmen der Zwillinge zu hören. „Beeil dich!“, flüsterte sie.
Aber zu spät, die beiden Mädchen waren vor Phelans Kammertür stehen geblieben. Phelan zog lautlos den Riegel zurück und wollte die Tür schon aufreißen, da fiel Althea auf, dass sie ja noch Schwert, Seil und den Besen bei sich hatten. Schnell schoben sie die Sachen unter das Bett und versteckten sich dann hinter der Tür.
Die beiden Mädchen schoben kichernd und flüsternd die Tür auf. Leanna war die Erste, die in den Raum blickte. „Und du glaubst wirklich, dass er das Messer hier versteckt hält?“
„Bestimmt, in der Heerschule hätten sie es ihm sofort weggenommen. Ich möchte es unbedingt mal sehen. Currann hat es uns nicht einmal anfassen lassen. Komm, wir schauen in seiner Truhe nach.“
Althea merkte, dass Phelan neben ihr vor Wut rot anschwoll. Sie nickte ihm zu, warf die Tür zu, und gemeinsam stürzten sie sich auf die überraschten Zwillinge. Mit einem Griff hatten sie den Mädchen den Mund zugehalten und zu Boden gerungen.
Phelan blickte mit blitzenden Augen auf Leanna herunter. „In meiner Kammer werdet ihr gar nichts suchen. Das war Lelias Einfall, stimmt’s?“ Leanna konnte nicht antworten, denn er hielt ihr immer noch den Mund zu. Sie nickte.
Althea hatte drückte Lelia auf den Boden. „Wenn ihr euch noch einmal ohne Erlaubnis in Phelans Kammer wagt, dann verhaue ich euch so, dass ihr eine Woche nicht sitzen könnt, verstanden?“ Lelia fauchte wütend los. Althea begann es zu genießen. Diese Abreibung war längst fällig gewesen. „Und es ist mir egal, ob das deiner Mutter gefällt oder nicht!“ Lelia begann, sich zu wehren, und wollte Althea in die Hand beißen, doch diese verstärkte nur ihren Griff.
Phelan grollte: „Wir werden euch jetzt loslassen, aber wehe, ihr schreit los. Dann bekommt ihr die Prügel gleich.“ Die beiden kletterten von den Zwillingen herunter. „Und jetzt raus hier!“, fauchte er.
Die Zwillinge rannten zur Tür und brachten sich in Sicherheit. Lelia drehte sich aber noch einmal um und sah Althea hasserfüllt an. „Das wird dir noch leidtun!“
„Hau endlich ab!“ Althea gab der Tür einen Stoß, und Lelia landete unsanft im Gang. Rasch schob sie den Riegel wieder vor. Sie ließ sich an der Tür hinabgleiten und brach in Gelächter aus. „Hast du ihre Gesichter gesehen?“, gluckste sie.
Phelan war gar nicht zum Lachen zumute. Er drängte sie beiseite und versicherte sich, dass die Zwillinge wirklich fort waren. „Ich fasse es nicht, dass sie einfach so in meine Kammer gehen und meine Sachen durchwühlen!“ Er fasste sich an den linken Arm und fühlte den beruhigenden Druck seines Messers. „Das werden sie niemals berühren, das schwöre ich dir!“ Er blickte auf die Wand. „Oh nein, die Fackel ist noch im Gang und mein Proviantbeutel auch.“
„Den holen wir ein anderes Mal“, beruhigte ihn Althea.
Phelan sah sie zweifelnd an. „Und wie kommst du nun nach Hause, ohne dass dein Vater bemerkt, dass du das Haus verlassen hast?“
„Lass uns noch mal versuchen, den Gang zu öffnen“, schlug Althea vor, denn sie musste ihm recht geben. Doch ihre Suche an der Wand blieb erfolglos.
Frustriert versetzte Phelan seinem Bett einen Tritt. Dabei fiel sein Blick auf den Fußboden. „Natürlich, wie einfach!“ Er zog das Fell vor seinem Bett zur Seite. Dort sahen sie ein wohlbekanntes Muster aus Steinen vor sich. Sie lachten auf und hatten die Tür im Nu geöffnet.
„Jetzt wissen wir, wie es geht.“ Althea reichte Phelan die Provianttasche nach oben, während sie den Besen entgegennahm.
„Warte“, hielt er sie zurück. Feierlich zog er sein Messer unter dem Ärmel hervor. Althea tat das Gleiche mit ihrem. „Schwöre“, sagte Phelan und ritzte sich den Daumen ein. Ein Tropfen Blut erschien.
Althea tat es ihm nach und drückte ihren gegen seinen. „Niemals ein Wort!“
„Niemals ein Wort!“, wiederholte Phelan. Dann drehte sie sich um und verschwand die Stufen hinunter, allen Mut zusammennehmend, diesem unheimlichen Gefühl dort unten allein zu begegnen.
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Die Sonne brach sich nur mühsam ihre Bahn durch die dichten Schwaden des Herbstnebels, der über die Steppe von Morann waberte. Das Flussdelta war nahe, sie merkten es an der Feuchtigkeit und an dem unangenehmen, schneidenden Wind, der selbst die wärmsten Kleidungsschichten bis auf die Knochen durchdrang.
Dankbar zog Currann seinen warmen Umhang um sich und richtete sich gespannt auf seinem Tier auf, doch es war nichts zu sehen. Er war zusammen mit Jeldrik, dessen Vater und Bajan dem Tross vorausgeritten, der die alte Straße zum Lir-Delta entlang kroch.
Kriechen war das richtige Wort, dachte Currann verächtlich.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Seine Streitereien mit Phelan waren seiner Mutter derart auf die Nerven gefallen, dass er bereits in der Nacht vor dem Aufbruch bei Jeldrik hatte übernachten dürfen. Bis tief in die Nacht hatten sie miteinander geredet, sodass sie sich letztendlich von Roar eine schroffe Rüge eingefangen hatten, endlich Ruhe zu geben. Am nächsten Tag war er trotzdem pünktlich zum Aufbruch in den Stallungen erschienen, während Jeldrik bei den Saranern auf ihn gewartet hatte. Stolz war Currann mit den Soldaten durch die Menge der Schaulustigen aus den königlichen Stallungen geritten.
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