Aufmerksam sah Althea zu, wie sich die Tür öffnen ließ, und merkte sich die Anordnung der zu drückenden Steine genau. Umsichtig reinigte sie das herumgedrehte Stück Wand von den Spinnenweben, sodass man es nicht mehr von der restlichen unterscheiden konnte.
Dann drückten sie noch einmal und drehten sich mit der Wand nach innen. Sie standen in einem niedrigen Gang, der gerade groß genug war, dass ein groß gewachsener Mensch wie Thorald aufrecht darin stehen konnte. Er war über und über mit Spinnweben bedeckt.
„Uähh!“, machte Phelan „Dein Besen ist wohl doch nützlicher als mein Schwert. Wohin zuerst?“ Er wollte Althea die Wahl lassen, schließlich hatte sie den Gang entdeckt.
Althea deutete nach rechts. „Dort liegen die Häuser der hl. Asklepia. Wäre es nicht spannend, wenn auch sie einen Zugang hätten?“ Sie hob den Besen, aber Phelan hielt sie zurück.
„Zuerst sichern wir uns mit einem Seil“, wies er sie an und band ihr geschickt das eine Ende um. Das andere befestigte er an seinem Schwertgurt. Den Faden allerdings steckte er weg. „Solange wir uns den Weg durch Spinnweben bahnen müssen, wissen wir immer, wo wir langgegangen sind“, erklärte er.
Langsam arbeiteten sie sich durch die Spinnweben vorwärts. „Die Zwillinge wären schon längst kreischend davongerannt“, sagte Althea, als eine besonders fette Spinne vor ihrem Besen Reißaus nahm.
Phelan lachte. „Lelia ganz bestimmt, aber Leanna? Ich glaube, du unterschätzt sie.“
„Kann schon sein, aber die erste Woche bei ihnen war wirklich schrecklich. Nein, nie wieder bleibe ich bei ihnen!“ Sie blieb abrupt stehen, sodass Phelan auf sie auflief. Vor ihnen öffnete sich ein hoher, aber schmaler Raum. Eine Treppe führte zur Decke, wo ein runder Kreis zu sehen war, und es roch noch feuchter und modriger.
„Hörst du das?“, fragte Althea. Es war wie ein regelmäßiges dumpfes Trommeln zu hören.
„Das ist Wasser“, sagte Phelan.
Althea war zu der Treppe gelaufen und sah forschend nach oben. Auf einmal wusste sie, wo sie sich befanden. „Das muss der Brunnen der hl. Asklepia sein. Wir sind unter dem Innenhof der Häuser.“
Phelan folgte ihrem Blick nach oben. Er entdeckte die gleiche Steinformation wie auch an ihrer Tür. „Schade, dass wir sie nicht ausprobieren können, aber die Schwestern wären doch sehr erstaunt, wenn wir plötzlich in ihrem Brunnen auftauchen würden.“ Sie lachten übermütig. Die Sache begann, entschieden Spaß zu machen.
Dann bemerkte er, dass mehrere Gänge von dem Raum abgingen. Aus dem auf der linken Seite abzweigenden Gang wehte feuchte, aber auch frische Luft herein.
„Ich glaube, ich weiß, wohin dieser Gang führt. Komm mit!“ Er zog Althea hinter sich her. Nach einigen Schritten standen sie vor einer Wand aus Wasser, durch die das Tageslicht hereinschimmerte. Es war der Wasserfall.
„Pass auf, dass die Fackel nicht nass wird!“, rief Althea und zog Phelan ein Stück zurück. „Oh nein, hier kommen wir nicht weiter. Na los, dann probieren wir halt die anderen Gänge aus.“
Wenig später standen sie vor einer weiteren Sackgasse. Auch hier gab es eine kurze Treppe, die zu einer höher gelegenen Wand führte. Sie war aus grob behauenen Steinen gefertigt und sah sehr alt aus.
Althea legte die Finger an die Lippen. Sie hörte Stimmen. Vorsichtig schlich sie die Treppe hoch und entdeckte an deren Ende einen schmalen Spalt. Aufgeregt winkte sie Phelan heran, und gemeinsam sahen sie erstaunt den Schwestern beim Arbeiten in der Kräuterkammer zu. Sie mussten sich auf Höhe des Fußbodens befinden, denn unmittelbar vor ihren Nasen liefen Füße vorbei.
Phelan sah auf seine Fackel herab. „Wir dürfen auf keinen Fall nachts mit Licht hier drin unterwegs sein, das könnte man von außen sehen“, legte er augenblicklich fest. Althea nickte. Vorsichtig erkundeten sie noch die beiden anderen Gänge. Sie entdeckten, dass diese in einem Behandlungsraum und in einem Vorhof endeten.
Nachdenklich setzten sie sich auf die Treppe unter dem Brunnen. „Meda hat mir erzählt, dass der Wasserfall früher wirklich anders verlaufen ist“, berichtete Althea.
„Das bedeutet, dass der Gang, den Mutter benutzt, auch hierzu gehört“, spann Phelan die Gedanken fort.
„Das wiederum kann nur bedeuten, dass der Gang in die andere Richtung“, Althea sah Phelan feierlich an, „in den Palast führen muss.“
„Oh Mann, wir könnten Brida belauschen!“ Phelan sprang auf und zog Althea hinter sich her.
„Und Alia eine Geisterstunde bescheren“, kicherte Althea. Übermütig hüpfte sie durch den Gang zurück. Schließlich standen sie wieder vor ihrer Geheimtür.
„Lass mich nur kurz schauen, wie spät es ist“, sagte Phelan und betätigte den Mechanismus. Er schlüpfte in den Innenhof des Hauses und schätzte den Stand der Sonne. Enttäuscht kam er wieder herein. „Es ist schon die fünfte Stunde, mehr schaffen wir heute wohl nicht.“
„Dann halt am nächsten Herrentag“, tröstet Althea. Sie würde die Zeit bis dahin kaum erwarten können.
Schon als Phelan am nächsten Tag die ersten beiden Stunden in der Heerschule verbracht hatte, merkte er, dass sich etwas entscheidend verändert hatte. Zum einen war der Oberstörenfried nicht da. Zum anderen aber begegneten ihm die Mitschüler mit einem, wenn auch etwas widerwilligen, Respekt.
Die Hänseleien hörten gänzlich auf. Phelan entspannte sich zusehends, und der Unterricht begann, ihm richtig Spaß zu machen. Es kehrte eine Ruhe in die Gruppe ein, die dazu führte, dass alle mehr von den Lektionen hatten. Auch der Hauptmann bemerkte, dass sich etwas verändert hatte, und förderte die Entwicklung nach Kräften. Mit Rynan musste er sich allerdings etwas überlegen, wenn der wiederkam, so viel war klar. Daher kam ihm Phelans Bitte, den Jungen besuchen zu dürfen, gerade recht. Gerne entließ er ihn dafür einige Augenblicke früher. Sollten sich die beiden zusammenraufen, damit wäre ihnen allen gedient.
Nachdem Phelan die Glocke am Tor der Heilerinnen geläutet hatte, wurde er erst mit Verzögerung von Althea eingelassen. Diesmal waren ihre Hände ganz schmutzig, und sie war in eine übergroße Schürze gewickelt.
„Wir räumen die Beete ab“, erklärte sie knapp auf seinen verwunderten Blick. Schnell führte sie ihn in Rynans Krankenkammer und machte sich wieder an die Arbeit.
Phelan blieb verlegen in der Tür stehen. Rynan war noch sehr blass, aber sein Blick war klar.
„Hallo“, sagte er und schaute Phelan erwartungsvoll an. Dieser setzte sich vorsichtig auf den Besucherschemel an der Wand.
„Du hast verdammt viel Glück gehabt“, begann Phelan schließlich. Warum nicht in die Offensive gehen? „Der Hauptmann will uns beiden eine saftige Strafe aufbrummen, wenn du wieder gesund bist“, setzte er nach.
Rynan richtete sich weiter in seinem Bett auf. „Ich sollte dir wohl dankbar sein, dass du mich unter dem Stein hervorgezogen hast, was, Majestät?“, schnappte er.
„Ja, das solltest du. Deine hirnlosen Freunde wollten schon aufgeben“, erwiderte Phelan verächtlich.
Rynan lehnte sich grinsend in den Kissen zurück. „Willst du ein Geschenk dafür haben?“, fragte er hinterhältig.
Phelan schnaubte verächtlich. „Das beste Geschenk wäre, wenn ich dein hässliches Gesicht nie wieder sehen müsste!“, spottete er.
„Tja, da gibt es aber ein Problem: Deine kleine Cousine war vorhin hier und hat mir gehörig den Marsch geblasen. Sie hat mir angedroht, ich würde noch Monate hier verbringen, wenn ich nicht nett zu dir bin. Sie ist ein freches kleines Biest, aber Frauen soll man ja nicht widersprechen, nicht wahr?“ Rynan kehrte den Erfahrenen raus.
„Als wenn du viel Erfahrung mit Frauen hast, du wirst ja schon rot, wenn nur die Wäscherin vorbeigeht!“ Treffer, dachte Phelan, als er Rynan rot anlaufen sah. Wütend riss dieser das Kissen hinter sich heraus und warf es nach Phelan, der sich lachend in Sicherheit brachte. Innerlich und äußerlich grinsend lief er nach Hause. Ein Anfang war gemacht.
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